Gewalt unter Jugendlichen:Die Faust zum Gebet

Einfach mal eins aufs Maul geben? Muslimische Jugendliche neigten umso stärker zu Gewalttaten, je mehr sie sich ihrer Religion verbunden fühlen - sagen renommierte Kriminologen.

Roland Preuß

Wer sich nicht unterordnet, bekommt eins aufs Maul, das muss Michael schnell lernen. Knallhart heißt der Film des Regisseurs Detlev Buck, in dem der 15-jährige Junge aus dem gediegenen Berlin-Zehlendorf ins ärmliche Berlin-Neukölln umziehen muss. Der Hof seiner neuen Schule wird beherrscht von der Gang des Türken Erol, der den Neuen mit dem weichen Gesicht schnell als ideales Opfer ausmacht: Michael wird erpresst, ausgeraubt und zusammengeschlagen, es ist das knallharte Faustrecht, das Buck in dem Film vor ein paar Jahren gnadenlos zeichnete.

Symbolbild Gewalt: Geballte Faust

Für die Studie zur Gewalt des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wurden in 61 deutschen Städten und Landkreisen 45000 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren befragt.

(Foto: ag.dpa)

Das Bild könnte näher an der Realität liegen als Bucks Überspitzung vermuten lässt: Dies zumindest legt eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KfN) nahe. Die Forscher haben in 61 deutschen Städten und Landkreisen 45000 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren befragt, unter ihnen gut 10000 Migranten - mit erschreckendem Ergebnis: Vor allem Jungs aus muslimischen Zuwanderer-Familien zeigten sich im Vergleich zu ihren Altersgenossen als besonders gewalttätig, das heißt, sie begingen nach eigenen Angaben (und nach Angaben der Opfer) häufiger Delikte wie Körperverletzung und Raub.

Die Kriminologen interessierte zudem der Zusammenhang mit der Religion, sie fragten die Schüler, wie gläubig sie sind - mit ebenfalls sehr bedenklichen Resultaten: Häufiges Beten und Moscheebesuche bremsen die Gewaltbereitschaft nicht: Wer besonders religiös lebt, das legt die Statistik nahe, schlägt sogar häufiger zu (siehe Grafik). Bei evangelischen und katholischen Jugendlichen zeigte sich eine gegenläufige Tendenz: Wer seinen Glauben lebt, begeht seltener jugendtypische Straftaten wie Raub, Sachbeschädigung oder Ladendiebstahl. Dies gilt gerade auch für christliche Zuwanderer, die meist aus Polen oder der ehemaligen Sowjetunion stammen.

Nun ist es eine Binsenweisheit unter Kriminologen, dass soziale Ursachen hier eine große Rolle spielen, wer sie nicht berücksichtigt, vergleicht Äpfel mit Birnen. Deshalb erfassten die Autoren der Studie auch, welchen Schulabschluss die Jugendlichen anstreben, ob die Eltern arbeitslos sind oder Hartz IV beziehen und das Geschlecht. "Doch selbst wenn man diese Faktoren herausrechnet, bleibt ein signifikanter Zusammenhang zwischen Religiosität und Gewaltbereitschaft", sagt der federführende Autor, Christian Pfeiffer.

Allerdings, schränkt der Hannoveraner Professor ein, zeigten sich bei jungen Muslimen auch positive Wirkungen der Religion: Gläubige tranken angesichts des islamischen Gebots zur Nüchternheit seltener Alkohol und begingen weniger Ladendiebstähle - und schnitten hier sogar besser ab als ihre christlichen Mitschüler.

Sprengstoff in der Zuwanderer-Debatte

Bei den schwerer wiegenden Gewalttaten jedoch tut sich eine Schere zu Ungunsten muslimischer Jungen auf. Muslimische Mädchen, betont Pfeiffer, fielen ebenso selten auf wie ihre Mitschülerinnen anderer Konfession. Und so spricht Pfeiffer auch nicht von einem direkten Zusammenhang zwischen muslimischem Glauben und Gewaltbereitschaft, sondern von einem indirekten.

Gewalt in der Schule

Besonders muslimische Jugendliche sollen über eine höhere Gewaltbereitschaft verfügen. Für die Integrations-Debatte in Deutschland ist das Sprengstoff.

(Foto: Symbolbild: dpa)

Deshalb bohrten die Forscher weiter. Sie fragten, ob ein Bild von Männlichkeit vorherrscht, das Gewalt rechtfertigt (Wenn die Frau ihren Mann betrügt, darf der Mann sie schlagen?), ob Gewalt in Filmen oder Videospielen konsumiert wird, ob die Jugendlichen mit anderen Jugendlichen befreundet sind, die Straftaten begangen haben. Vor allem das Bild vom starken Mann, der zuschlagen kann, war bei den muslimischen Jungen aus Zuwandererfamilien weit verbreitet: Sie stimmten mehr als doppelt so häufig Macho-Aussagen zu wie christliche Zuwanderer - am häufigsten die "sehr Religiösen" (22,3 Prozent). Auch beim Konsum von Gewaltspielen und bei der Zahl straffälliger Freunde schnitten sie am schlechtesten ab. Hinzu kommt, dass sich gläubige Muslime auch am wenigsten im Land integriert fühlen: Unter den sehr religiösen Türken, der größten Muslim-Gruppe, fühlen sich nur 14,5 Prozent als Deutsche, obwohl sie zu 88,5 Prozent im Land geboren sind.

Solche Ergebnisse bergen Sprengstoff in der Zuwanderer-Debatte, sie klingen nach Roland Kochs Kampagne gegen ausländische Kriminelle und Thilo Sarrazins Muslim-Schelte; Islamfeinde werden sie dankbar aufnehmen. Das ist Christian Pfeiffer bewusst, auch er findet die Ergebnisse schwierig, schließlich zählte er zu den scharfen Kritikern von Kochs Ausländer-Kampagne. Die Ergebnisse lägen vor, sagt er, doch die Politik könne die Lage ändern. Er erinnert an die christliche Lehre, die ebenfalls lange die Herrschaft des Mannes und häusliche Gewalt gerechtfertigt habe. Die Verantwortung für die verhängnisvolle Machokultur sieht er vor allem bei den Vermittlern islamischer Religion, den Imamen, von denen die meisten aus dem Ausland kämen, ohne Sprache oder Kultur in Deutschland zu kennen. "Wir müssen verhindern, dass Integrationsbemühungen zunichte gemacht werden durch Imame, die türkische Heimatkunde und ein reaktionäres Männerbild predigen." Sie müssten künftig vor der Einreise Sprache und Kultur erlernen.

Doch auch das Verhalten der einheimischen Deutschen zu den Muslimen spiele eine gewichtige Rolle, seit den Anschlägen 2001 schlage den Muslimen ein schädliches Misstrauen entgegen. "Ausgrenzung beginnt schon damit, wenn das muslimische Kind nicht zum Geburtstag eingeladen wird", sagt Christian Pfeiffer.

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