Gewalt in Tibet:China ruft zum "Volkskrieg" auf

Mit einem "Volkskrieg gegen den Separatismus" versucht China wieder Herr der Lage in Tibet zu werden. Aus dem Ausland kommen Appelle zur Besonnenheit. Zugleich hat der Volkskongress Staatspräsident und Regierungschef für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt.

China hat als Reaktion auf die Unruhen in Tibet einen "Volkskrieg gegen den Separatismus" ausgerufen. Die Sicherheitsvorkehrungen in der Region müssten verschärft und die Unterstützung für den Dalai Lama untergraben werden, beschloss ein Treffen hochrangiger chinesischer Regional- und Sicherheitsbeamter, wie die amtliche Zeitung Tibet Daily am Sonntag berichtete.

In einer Erklärung hätten sie bei dem Treffen tags zuvor "reaktionäre separatistische Kräfte" aus dem In- und Ausland für die Proteste verantwortlich gemacht, die sorgfältig geplant gewesen seien. Es gelte, das bösartige Vorgehen dieser Kräfte offenzulegen, zitierte das Blatt aus den Beschlüssen. An dem Treffen nahm unter anderem der als Hardliner geltende Chef der Kommunistischen Partei in Tibet, Zhang Qingli, teil.

Der Zeitung zufolge will die Regierung in Peking auch mit Hilfe regimetreuer buddhistischer Mönche gegen die Proteste und gegen den im Exil lebenden Dalai Lama Stimmung machen, den die Tibeter als ihr geistliches Oberhaupt verehren. Einwohner Lhasas berichteten am Sonntag, Sicherheitskräfte zeigten auf den Straßen der tibetischen Hauptstadt Präsenz und kontrollierten die Häuser der einheimischen Bevölkerung.

Bei den Unruhen in Tibet sind nach Angaben der Exilregierung 80 Menschen getötet worden. Weitere 72 Menschen wurden verletzt, wie ein Sprecher der Organisation mit Sitz in Nordindien am Sonntag sagte.

Ein im Ausland lebender Tibeter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, ein Augenzeuge in Lhasa habe in einem einzigen Leichenschauhaus 67 Tote gesehen. Dabei handle es sich um Opfer der Zusammenstöße oder des anschließenden Vorgehens der Sicherheitskräfte. "Er hat sie mit seinen eigenen Augen gesehen", sagte der Auslands-Tibeter. Eine Geschäftsfrau sagte am Telefon: "Wir wagen uns unter keinen Umständen aus dem Haus. Es ist zu unruhig."

Die USA äußerten sich besorgt über die Entwicklung. Es sei bedenklich, dass die Gewalt offenbar andauere und es Berichte über eine massive Erhöhung der Polizei- und Militärpräsenz in der tibetischen Hauptstadt Lhasa gebe, erklärte Außenministerin Condoleezza Rice: "Wir appellieren an die chinesische Regierung, Zurückhaltung bei ihrer Reaktion auf diese Demonstrationen zu beweisen". Peking müsse alle in Tibet, die lediglich wegen ihrer Meinungsäußerungen inhaftiert worden seien, freilassen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Günter Nooke forderte in der BamS, China müsse "endlich einen weitgehenden Autonomiestatus für Tibet akzeptieren".

Appelle aus Deutschland

Deutsche Politiker haben am Wochenende parteiübergreifend zu Gewaltverzicht und Dialog aufgerufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte: "Gewalt - egal von welcher Seite - führt zu keiner Lösung der offenen Fragen". Sie forderte China zum Dialog mit dem religiösen Führer der Tibeter, dem Dalai Lama, auf. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärte im Namen der Kanzlerin, wichtig sei, dass Demonstranten und Sicherheitskräfte zur Mäßigung aufgerufen und die Rechte des Einzelnen geachtet würden.

Nur über einen friedlichen und direkten Dialog zwischen der chinesischen Regierung und dem Dalai Lama könne eine nachhaltige Lösung der Tibetfrage gefunden werden. Die Bundesregierung unterstütze den Anspruch der Tibeter auf religiöse und kulturelle Autonomie. Sie verfolge zugleich eine "Ein-China-Politik" und wende sich gegen alle separatistischen Bestrebungen. Merkel hatte den Dalai Lama im September 2007 im Kanzleramt empfangen und damit vorübergehend Verstimmungen in Peking ausgelöst.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) erklärte am Samstag in London, die chinesischen Behörden müssten eine unabhängige UN-Untersuchung über die Ereignisse der vergangenen Woche zulassen. Dafür hatte sich auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch stark gemacht.

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China ruft zum "Volkskrieg" auf

Mehrtägige Demonstrationen zum 49. Jahrestag des gescheiterten Aufstands gegen die chinesische Herrschaft in Tibet waren am Freitag in gewaltsame Unruhen umgeschlagen. China warf den Demonstranten vor, sie hätten in Schulen, Krankenhäusern und Geschäften Brände gelegt und dabei zehn Menschen getötet. Die tibetische Exilregierung in Nordindien sprach von rund 30 Menschen, die bei Zusammenstößen mit den chinesischen Behörden ums Leben gekommen seien.

Wen Jiabao und Hu Jintao wiedergewählt

Der chinesische Volkskongress hat unterdessen am Sonntag in Peking Staatspräsident Hu Jintao und Regierungschef Wen Jiabao für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Gegenkandidaten gab es nicht. Hu wurde auch als Chef der Militärkommission wiedergewählt.

Insbesondere Staatschef Hu ist für viele anti-chinesisch eingestellte Tibeter ein rotes Tuch. Er giblt als "Schlächter von Lhasa", nachdem er 1989, damals noch als Parteichef von Tibet, ähnliche Unruhen wie die derzeit stattfindenden blutig niederschlagen ließ. Dutzende Menschen kamen binnen drei Tagen ums Leben.

Entgegen ersten Erwartungen wurde der am Vortag auf der jährlichen Plenarsitzung neu gewählte Vizepräsident Xi Jinping, dem gute Chancen auf die Nachfolge von Staats- und Parteichef Hu Jintao nachgesagt werden, noch nicht zum Vizevorsitzenden der mächtigen Militärkommission bestimmt.

Beobachter wiesen darauf hin, dass es offenbar noch zu früh für eine solche Beförderung sei. Ähnlich sei auch der heutige Präsident Hu Jintao zur Vorbereitung auf sein Amt als Staats- und Parteichef 1998 zunächst Vizepräsident geworden und erst ein Jahr später als Vizechef in die Militärkommission berufen worden. Als neuer Präsident des Obersten Gerichts wurde das wenig bekannte Mitglied des Zentralkomitees, Wang Shengjun, bestimmt. Er steht seit 1998 dem Parteikomitee für politische Wissenschaften und Recht vor.

Neuer Generalstaatsanwalt wurde der 52-jährige bisherige Vizepräsident des Obersten Gerichts, Cao Jianming (52). Die knapp 3000 Delegierten werden erst am Montag die neuen Vize-Regierungschefs billigen und aller Voraussicht nach den Nachwuchspolitiker Li Keqiang zum Vizepremier befördern. Der 52-Jährige soll federführend für die Finanz- und Wirtschaftspolitik zuständig werden und gilt als potenzieller Nachfolger von Regierungschef Wen Jiabao.

Pantschen Lama äußert sich

Der von China eingesetzte Pantschen Lama hat die Unruhen in Tibet derweil als Verstoß gegen buddhistische Lehren verurteilt. "Die Randalierer haben nicht nur gegen die Interessen der Nation und des Volkes verstoßen, sondern auch die Ziele des Buddhismus verletzt", teilte der buddhistische Religionsführer am Sonntag nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua mit. Der Pantschen Lama ist nach dem Dalai Lama traditionell eigentlich das zweithöchste Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, doch genießt der heute 18-Jährige, der unter kommunistischer Obhut aufgewachsen ist, wenig Anerkennung unter den streng gläubigen Tibetern.

In einem Streit mit dem Dalai Lama um die Wiedergeburt des 1989 gestorbenen letzten Pantschen Lama hatte ihn Chinas Regierung im Dezember 1995 gegen den Willen der zuständigen Klosterkommission als 11. Pantschen Lama eingesetzt. Zuvor hatte die Kommission allerdings mit dem Segen des Dalai Lamas einen anderen Jungen zur Wiedergeburt des Pantschen Lamas erkoren. Der damals sechsjährige Gedhun Choekyi Nyima war von Chinas Behörden in Gewahrsam genommen worden und soll heute mit seiner Familie an einem unbekannten Ort leben. Viele Tibeter sehen in ihm heute den wahren Pantschen Lama. Der Dalai Lama wiederum wollte am Sonntag im indischen Dharamsala vor die Presse treten. Es wird ein Aufruf zum Gewaltverzicht erwartet.

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