Süddeutsche Zeitung

Gewalt in Syrien:Bewohner berichten von Massaker der Assad-Milizen

Milizen des Assad-Regimes sollen nahe Damaskus drei Massaker angerichtet und zahlreiche Zivilisten exekutiert haben. Augenzeugen in der Ortschaft Dschdaidat Artus berichten der "Süddeutschen Zeitung" von mehr als 60 getöteten Bewohnern.

Tomas Avenarius, Damaskus

Milizen des Assad-Regimes sollen in einer kleinen Ortschaft südwestlich von Damaskus drei Massaker mit insgesamt mehr als 60 Opfern angerichtet haben. Bewohner der Ortschaft Dschdaidat Artus berichteten der Süddeutschen Zeitung und dem "ARD"-Fernsehen von mindestens 64 Opfern, die von regimetreuen Shabiha-Milizen erschossen worden seien.

Vor zwei Tagen waren bereits erste Berichte über das Massaker in Dschdaidat Artus erschienen. In dem Bericht der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London war aber die Rede von 43 getöteten jungen Männern, die von Sicherheitskräften festgenommen, gefoltert und später einzeln oder in Gruppen getötet worden seien.

Vor Ort berichteten Anwohner der SZ und der ARD sowie einem Team von UN-Beobachtern nun von mindestens 20 weiteren Opfern bei diesem und zwei weiteren Massakern. Zudem würden mehrere Männer aus dem Ort vermisst.

Die Angaben der Anwohner lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Sie stimmten im Tenor aber überein; demnach seien Assad-Milizen für die Bluttaten verantwortlich. Allerdings beschuldigen sich in Syrien das Regime und die Aufständischen regelmäßig gegenseitig, für solche Bluttaten verantwortlich zu sein.

Anwohner machen alawitische Shabiha-Milizen verantwortlich

Das syrische Staatsfernsehen hatte laut dem US-Sender ABC von einer Militäroperation in Dschdaidat Artus berichtet, bei der "Dutzende Terroristen" bei der Erstürmung einer Farm getötet worden seien. Die Truppen seien an dem Bauernhof von einer großen Anzahl Kämpfer beschossen worden. Man habe viele Waffen sichergestellt.

Den Berichten der Einwohner zufolge war die 20.000-Einwohner-Ortschaft am Dienstag von Elite-Einheiten der syrischen Armee mit Panzern umstellt und für drei Tage abgeriegelt worden. Es seien Razzien durchgeführt und gezielt junge Männer festgenommen worden. Für die Exekutionen machten die meisten der befragten Anwohner nicht die Armee selbst verantwortlich, sondern alawitische Shabiha-Milizionäre, die der selben Religionsgemeinschaft angehören wie Präsident Assad. Shabiha-Milizen sind fast immer an Armeeeinsätzen beteiligt.

Die Opfer der Erschießungen seien Einwohner von Dschdaidat Artus gewesen, erklärten die Anwohner, und gehörten zu mehreren Familien. Sie seien keine Kämpfer der aufständischen Freien Syrischen Armee gewesen.

Blutlachen und Einschusslöcher in den Wänden

Ein Bewohner sprach allerdings auch von einzelnen "Aktivisten" unter den Opfern. In einem Olivenhain einer Farm am Ortsrand im Gebiet al-Sirai war ein angebliches Massengrab für acht Opfer aus einer Familie namens al-Boukai zu sehen, das aber bereits zugeschüttet war. Im Nachbarhaus fanden sich mehrere Blutlachen und Einschüsse in den Wänden sowie Patronenhülsen von Sturmgewehren. An der Wand des Hauses stand "Assads Männer", an einer anderen Hauswand in der Nähe das Graffiti: "Assad oder der Untergang Syriens". Derartige Slogans stehen oft auf Fahrzeugen der syrischen Armee.

In einem ausgebrannten Haus im selben Teil der Ortschaft waren angeblich mehrere Leichen verbrannt worden. Auch hier waren Einschüsse und Blutlachen zu sehen sowie Rückstände verbrannter Kleider. In Dschdaidat Artus zeigten zahlreiche Häuser Spuren von Beschuss. Der Asphalt der Straßen war von Panzerketten aufgerissen, ein Personenwagen war von einem Panzer überrollt worden. An der Hauswand dahinter stand: "Hier ist Assads Armee vorbei gekommen".

Alle befragten Bewohner bestritten, dass Kämpfer der aufständischen Freien Syrischen Armee überhaupt in Dschdaidat Artus gewesen seien. Es sei jedoch im Ort immer wieder zu Anti-Assad-Demonstrationen gekommen. Zumindest die umliegenden Ortschaften rund um die Kleinstadt gelten jedoch ausdrücklich als Rebellengebiet. Im Ortskern von Dschdaidat Artus waren die Wände zahlloser Gebäude mit Assad-feindlichen Parolen besprüht. Die meisten der Bewohner haben den Ort inzwischen angeblich verlassen.

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