Süddeutsche Zeitung

Gewalt in Libanon:Alter Hass kehrt zurück

Wer das Land zum Explodieren bringen will, konnte kein besseres Ziel finden: Der Mord an dem Polizeigeheimdienstchef al-Hassan schwächt in Libanon die Kräfte, die sich gegen das Regime in Syrien stellen. Ein alter Konflikt könnte jetzt wieder eskalieren.

Sonja Zekri

Es ist kein Trost, dass diese Eskalation nur eine Frage der Zeit war: Der Bürgerkrieg in Syrien droht die alten Fronten in Libanon aufzureißen. In Beirut, wo die Häuser bis heute die Narben des Bürgerkrieges tragen, wo unter elegant verspiegelten Fassade noch immer die vormoderne Ordnung in Clans und Stämme, Konfessionen und Volksgruppen herrscht, in Beirut also fühlen sich die Menschen immer etwas verwundbarer als anderswo durch die Gewalt im Nachbarland.

Syrien und Libanon - das ist schon historisch ein symbiotisches Verhältnis. Und auch später, Ende des 20. Jahrhunderts, beherrschte Syrien das kleine Nachbarland, wirtschaftlich, militärisch, politisch. Erst der Bombenanschlag auf den früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri hatte die Libanesen 2005 auf die Straßen getrieben und die syrische Armee aus dem Land. Das Regime in Damaskus galt als verdächtig, als unerträglich.

Nun hat wieder ein Anschlag das Land erbeben lassen. Und wieder richten sich alle Augen auf Syrien. Der Mord an dem libanesischen Polizeigeheimdienstchef Wissam al-Hassan traf einen der effektivsten Gegner Assads in Beirut. Wer das ohnehin wankende Land zum Explodieren bringen will, konnte kein besseres Ziel finden.

Doppelwesen aus Miliz und politischer Krake

Der Sunnit Al-Hassan jagte libanesische Politiker, die im Auftrag Syriens in Libanon Bomben legen sollten. Und er ermittelte im Mordfall Hariri gegen Syrien und gegen die schiitische Hisbollah - jenes einzigartige Doppelwesen aus Miliz und politischer Krake. Der ermordete Geheimdienstchef kommt hochsymbolisch an prominentester Stelle auf dem Märtyrer-Platz neben Rafik Hariri zur Ruhe, er galt als Vertrauter von Hariris Sohn Saad und dessen oppositionellen Sunniten-Bündnis.

Der Zerfall in konfessionelle Zwergstaaten oder quasifeudale Kantone unter der Herrschaft verschiedener Warlords gilt als eine der schlimmeren Visionen für die Zukunft in Syrien. In Libanon war diese Konstellation jahrelang bitterer Alltag. Wenn nun wieder Reifen brennen in Beirut und bewaffnete Milizen durch die Sunnitenviertel streifen, wenn in Tripolis im libanesischen Norden ein alter Zwist zwischen Sunniten und schiitischen Alawiten als Kampf gegen oder für den syrischen Präsidenten Assad wieder virulent ist, dann wissen alle, was auf dem Spiel steht.

Nur wäre womöglich alles noch schlimmer als damals. Die Hisbollah - Assads Verbündete - ist besser bewaffnet denn je, und auch die Sunniten Hariris und die christlichen Falangisten bereiten sich auf einen Machtkampf vor, der nur vorübergehend in die politische Arena verlagert wurde. Längst droht auch eine politische Krise. Premierminister Mikati ist als Sunnit Regierungschef eines von der schiitischen Hisbollah kontrollierten Kabinetts, seine Gegner wollen ihn stürzen; er selbst hat den Rücktritt angeboten.

Libanon hatte große Anstrengungen unternommen, um die Umklammerung durch die syrische Nemesis abzuschütteln. Versinkt es nun in altem Hass, wäre es erneut ein Marionettenstaat.

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SZ vom 22.10.2012/olkl
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