Gewalt in Großbritannien:Das unvereinte Königreich

Gewalt in Großbritannien: Ein Anhänger der rechtsextremen English Defence League (EDL) wird in Leicester verhaftet.

Ein Anhänger der rechtsextremen English Defence League (EDL) wird in Leicester verhaftet.

(Foto: AFP)

London ist mit New York die Welthauptstadt der Vielfalt. Allerdings führt das Miteinander immer wieder zu Spannungen. Zu hoffen wäre, dass für das so europaskeptische Königreich das europäische Motto mehr gilt als für sonst ein Land auf den Kontinent: in Vielfalt geeint.

Ein Kommentar von Christian Zaschke, London

Hier ist das verstörendste Bild des Jahres 2013 aus Großbritannien: Wie Michael Adebolajo und Michael Adebowale am helllichten Tag blutverschmiert auf einer Londoner Straße stehen, Messer und Fleischerbeil noch in der Hand, und sich des eben begangenen Mordes am Soldaten Lee Rigby rühmen.

Im Schock über die Tat stellten sich viele Fragen: Was sind die Ursachen dieser grausamen Bluttat? Oder weiterreichend, an die Grundfeste der britischen Gesellschaft rührend: Was bedeutet das für das friedliche Miteinander der Kulturen und Religionen auf der Insel?

2013 haben sich die Angriffe auf Muslime laut Polizeiangaben im Vergleich zum Vorjahr auf mehr als 1000 verdoppelt. Als Ursache gilt die Tat von Adebolajo und Adebowale. Beide sind Kinder nigerianischer Einwanderer. Beide wurden in Großbritannien geboren und wuchsen als Christen auf. Beide konvertierten zum Islam und wurden von Hasspredigern radikalisiert. Nach Schätzungen des Inlandsgeheimdienstes MI5 gibt es Tausende Männer im Land, die auf ähnliche Weise sozialisiert worden sind.

Offen für die Welt

Das prägende Bild des Jahres 2012 war ein ganz anderes. Während der Olympischen Spiele in London hatten am sogenannten Super Saturday innerhalb weniger Stunden drei Briten Gold gewonnen: ein rothaariger Weitspringer, eine Siebenkämpferin mit jamaikanischen Eltern, ein Langstreckenläufer, der aus Somalia eingewandert ist. Die drei Sportler, so hieß es damals, stünden beispielhaft für die vielfältige Gesellschaft. Sie seien ein Symbol für die Integrationskraft des Landes, das sich - im Einklang mit seiner Geschichte - eben nicht nur an Europa orientiere, sondern offen sei für die Welt.

Gemeinsam mit New York ist London die Welthauptstadt der Vielfalt. Auch im Rest des Landes ist die kulturelle Diversität hoch, knapp zehn Prozent der Briten sind Zuwanderer. Wer in Birmingham aus dem Zug steigt, wähnt sich bisweilen in einer halb asiatischen Stadt.

Unterschwellig gärt es

Dass das Miteinander allerdings doch nicht so harmonisch läuft, wie es das Bild von 2012 glauben machen sollte, zeigt sich in regelmäßigen Abständen. 2001 lieferten sich weiße und asiatische Jugendliche in mehreren nordenglischen Städten Straßenschlachten. 2005 legten vier muslimische Männer mehrere Bomben im Londoner Nahverkehrsnetz, weitere Anschläge wurden verhindert. 2011 entlud sich die Wut über soziale Ungerechtigkeit, mangelnde Aufstiegschancen und latenten behördlichen Rassismus in mehreren Großstädten in tagelangen Unruhen.

Oberflächlich steckt die Gesellschaft das weg, unterschwellig gärt es. Nach dem brutalen Soldatenmord wurden Moscheen in Brand gesetzt, bärtige Männer und verschleierte Frauen wurden tätlich angegriffen, im Internet schwelte der Hass. Rechtsextreme Gruppen argumentierten, der Mord sei auf die "massenhafte Einwanderung" zurückzuführen. Auch gemäßigte konservative Kräfte fragen mittlerweile offen, ob die Grenzen des Königreichs nicht zu durchlässig seien.

"Illegal hier?"

Die Regierung hat diese Stimmung zum Teil geschürt. Innenministerin Theresa May ließ Kleinlaster durch besonders gemischte Viertel fahren, auf denen stand: "Illegal hier? Fahren Sie nach Hause, oder Sie werden festgenommen." Das wurde auch von legalen Migranten als Provokation empfunden.

Zudem kommen die Einwanderer schon lange nicht mehr nur aus den ehemaligen Kolonien des Empire, sondern aus der EU und vor allem aus Osteuropa. Premierminister David Cameron hat kurz vor Weihnachten im Eilverfahren ein Gesetz durchs Parlament gebracht, das für Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien den Anspruch auf Sozialleistungen einschränkt. So oft betonen führende konservative Politiker ihr Vorhaben, die Netto-Immigration drastisch zu senken, dass in der Bevölkerung der Eindruck entstehen muss, die Insel sei schon jetzt überlaufen.

Der Soldatenmord von 2013 mag einerseits zu einer Zunahme an Übergriffen geführt haben. Er hat aber anderseits auch eine Gegenreaktion hervorgerufen: In vielen Gemeinden haben Menschen verschiedenster Konfession und Herkunft demonstrativ zusammen gefeiert. Zu sehen war auf diesen Festen eine bunte Bevölkerung. Und diese Bevölkerung wird größer: Dank der Zuwanderung - und weil die zugewanderten Briten mehr Kinder bekommen - wird Großbritannien 2050 das bevölkerungsreichste Land Europas sein.

Realistisch betrachtet ist davon auszugehen, dass dieser Prozess zu Spannungen führt, die sich immer wieder einmal gewaltsam entladen. Zu hoffen wäre dennoch, dass für das so europaskeptische Königreich das europäische Motto mehr gilt als für sonst ein Land auf den Kontinent: in Vielfalt geeint.

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