Gewalt in Großbritannien:Aufstand der Scheinheiligen

Rechte Briten zetteln Straßenschlachten mit Muslimen an und verteilen Anti-al-Qaida-T-Shirts: So wollen sie ihr Land gegen die Scharia verteidigen.

Wolfgang Koydl, London

Auf den ersten Blick gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der English Defence League und anderen rechtsextremen Gruppen in Großbritannien. Auch die Englische Verteidigungsliga bemüht sich einerseits um einen Ruf bürgerlicher Seriosität und rekrutiert andererseits unverhohlen im Skinhead- und Fußballrowdy-Milieu.

Auf den zweiten Blick freilich unterscheidet sich der Neuling insofern von älteren Organisationen, als er vorgibt, nicht rassistisch zu sein und lediglich den militanten Islam in Britanniens und Europas Städten bekämpfen zu wollen.

Indem sie sich als Teil einer Anti-Terror-Strategie ausgibt, hofft die EDL, in bürgerlichen Schichten Fuß zu fassen. Man habe nichts gegen "Muslime, Juden, irgendeine Rasse oder Religion", heißt es auf der Webseite, sondern "nur gegen islamische Extremisten und die Scharia". Es folgt die scheinheilige Frage: "Ist das so falsch?"

Die Gruppe wurde erst im März dieses Jahres in der nördlich von London gelegenen Kleinstadt Luton gegründet, nachdem dort radikale Muslime im Stadtzentrum gegen britische Soldaten demonstriert hatten, die von ihrem Einsatz im Irak und in Afghanistan heimkehrten. Auf Plakaten wurden die Truppen als "Schlächter von Basra" beschimpft. Auf anderen Transparenten stand - in Anlehnung an die Angelsachsen: "Anglische Soldaten fahrt zur Hölle."

Diese Demonstration, die in ganz Großbritannien Empörung ausgelöst hatte, war nach den Worten von Tommy Robinson der Katalysator für die Gründung der EDL. Der 28-jährige Schreiner aus Luton bezeichnet sich als den Führer der Verteidigungsliga. Der Name ist ein Pseudonym. Seine wahre Identität gibt er nicht preis; er will sich auch nicht fotografieren lassen.

Der für Lokalverwaltungen zuständige britische Minister John Denham hat dieser Tage davor gewarnt, die EDL zu unterschätzen. "Ich glaube zwar nicht, dass die English Defence League und andere Organisationen auf eine große Zahl an Leuten Zugriff hat", meinte er. "Aber es gibt bei ihnen ganz eindeutig Leute, die genau wissen, was sie tun. Wenn man sich die Art von Demonstrationen ansieht, die sie veranstalteten, dann wird klar, dass sie die Taktik verfolgen, zu provozieren, eine Antwort (muslimischer Gruppen) herauszufordern und Gewalt zu erzeugen."

Denham verglich dies mit der Strategie der britischen Union of Fascists in den dreißiger Jahren. Der Labour-Abgeordnete Tony McNulty, der den Wahlkreis Luton im Unterhaus vertritt, widersprach dem Minister. Dieser Vergleich, so meinte er, "verleiht diesem bunten Haufen von Lumpen einen Status, den er nun wirklich nicht verdient".

Dennoch wächst in der Labour-Partei die Sorge, dass immer mehr unterprivilegierte Briten sich von den Sozialdemokraten abwenden und ihre Stimme rechtsextremen Parteien geben. Bei den Lokal- und Europawahlen im vergangenen Juni verzeichnete die British National Party deutliche Zugewinne. In den traditionell mit Labour verbündeten Gewerkschaften hat die Unruhe über diese Entwicklung einen derartigen Grad erreicht, dass dort über die Aufstellung eigener, deutlich links gerichteter Kandidaten neben den Labour-Bewerbern nachgedacht wird, um Proteststimmen abzufangen, die derzeit den Rechten zugutekommen.

Als politische Organisation sieht sich die EDL freilich - noch - nicht. Aber in den vergangenen Monaten hat sie mehrmals ihr Ziel erreicht, Straßenschlachten zu provozieren. Zuletzt nahm die Polizei am Freitag vergangener Woche zehn Personen wegen des Verdachts auf Waffenbesitz fest, nachdem es zu Zusammenstößen zwischen einer kleinen Zahl von EDL-Mitgliedern und etwa tausend antifaschistischen Demonstranten der Organisation "Unite Against Fascism" vor dem Neubau der Zentralmoschee von Harrow gekommen war, einem Stadtteil im Nordwesten von London. Die EDL hatte zu einer Kundgebung am Jahrestag der Terroranschläge auf Washington und New York vom 11. September 2001 aufgerufen.

Für den Sonntag hatte die English Defence League ihre Mitglieder zu einer Demonstration auf dem Trafalgar Square im Herzen von London aufgerufen. Kundgebungen sind außerdem für Leeds und Manchester geplant. Im August und Anfang September war es in Birmingham, Britanniens zweitgrößter Stadt, zu Straßenschlachten zwischen Rechtsextremen und Muslimen gekommen, in deren Verlauf die Polizei 125 Personen verhaftete. Darunter befanden sich nach amtlichen Angaben einschlägig bekannte Neonazi-Aktivisten und Fußball-Hooligans.

Für Nick Lowles von der antifaschistischen Zeitschrift Searchlight ist die English Defence League keine faschistische Organisation. "Aber es befindet sich eine Handvoll organisierter Faschisten in Schlüsselpositionen", sagte er der Zeitung Guardian. "Unsere Sorge ist, dass die EDL umso mehr Extremisten und Faschisten anzieht, je mehr sie wächst."

Lowles wies zudem auf Parallelen zur rechtsextremen Szene in den achtziger und neunziger Jahren hin. Damals wurde die katholisch-irische Untergrundbewegung IRA als Bedrohung empfunden, und der Schlachtruf "Keine Kapitulation vor der IRA" war auch in englischen Fußballstadien zu hören. Heute bietet die EDL schwarze T-Shirts mit dem roten Georgskreuz auf weißem Grund an. Ergänzt wird das Wappen Englands von der Aufschrift: "Keine Kapitulation vor al-Qaida".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: