Gewalt in der Ukraine:Kiews Anteil an der Eskalation

Crisis in Ukraine

Prorussische Demonstranten am 8. April vor dem besetzten Gebäude der Regionalverwaltung in Donezk

(Foto: dpa)

Gewaltbereite Separatisten und Russlands Präsident Putin haben die Eskalation in der Ukraine verursacht. Aber auch die Übergangsregierung in Kiew ist verantwortlich. Sie demonstriert Stärke, die sie nicht hat. Die Präsidentschaftswahl verspricht wenig Verbesserung.

Ein Essay von Markus C. Schulte von Drach

Die Menschen in der Ukraine wählen am Sonntag einen neuen Präsidenten. Doch nicht alle Bürgerinnen und Bürger werden an der Wahl teilnehmen können - oder wollen. Vor allem in den Regionen Donezk und Lugansk wird die Arbeit der Wahlhelfer von separatistischen Kräften behindert oder sogar verhindert.

Das bedeutet, die Ukraine wird nach dem 25. Mai zwar voraussichtlich ein neues Staatsoberhaupt haben. Doch die Separatisten dürften dem kaum Bedeutung beimessen. Sie haben die Regionen Donezk und Lugansk bereits für unabhängig erklärt. Und Russland hat die entsprechenden illegalen Referenden als "Ausdruck des Willens der Bevölkerung" anerkannt.

Außerhalb der Ostukraine und Russlands hofft man, dass die demokratische Wahl den russischen Vorwurf widerlegen wird, in Kiew seien Faschisten an der Macht. Doch die prorussischen Kräfte wird lediglich interessieren, wie der neue Präsident - am ehesten dürfte es der Oligarch Petro Poroschenko werden - oder die Präsidentin - falls Julia Timoschenko gewählt wird - mit ihren Ansprüchen umgehen wird.

Daily Life In Kiev Ahead Of The Ukrainian Presidential Election

Wahlplakat des Oligarchen Petro Poroshenko in Kiew

(Foto: Getty Images)

Kiews fundamentale Fehler

Es gibt allerdings wenig Anlass, zu erwarten, dass es nach der Wahl zu einer anderen Politik oder Rhetorik gegenüber der Ostukraine kommen wird. Die beiden aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten standen bisher hinter der Politik der Übergangsregierung und ihrem Umgang mit der russischen und russischsprachigen Bevölkerung. Und Kiew hat seit der Machtübernahme im Februar die Lage in der Ukraine offensichtlich falsch eingeschätzt oder die Entwicklungen auf der Krim und im Süden und Osten des Landes bewusst riskiert.

Die Politik der Übergangsregierung ist neben der Brandstifter-Rolle des russischen Präsidenten Wladimir Putins und den gewaltbereiten Separatisten die wichtigste Ursache für die Entwicklung zur Eskalation.

Der erste Fehler der Übergangsregierung war, dass die ukrainische Opposition nach der Flucht von Präsident Viktor Janukowitsch am 22. Februar die Vereinbarung nicht einhielt, die dieser am Tag zuvor mit ihnen sowie den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Polens ausgehandelt hatte. Es war ein Kompromiss, den auch Russland akzeptiert hatte. Doch obwohl darin eine "Regierung der nationalen Einheit" vereinbart worden war, wurde ein Kabinett gebildet, in der lediglich die Vaterlandspartei von Julia Timoschenko, die rechtsextreme Partei Swoboda sowie parteilose Minister vertreten waren, die überwiegend aus der Maidanbewegung stammten.

Vereinbarung über Krisenlösung in Kiew unterzeichnet

Am 21. Februar 2014 einigen sich Opposition und Regierung in Kiew auf eine Lösung der Krise. Auf dem Bild: Vermittler Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, die Oppositionspolitiker Vitali Klitschko und Oleg Tjagnibok, der ukrainische Staatspräsident Viktor Janukowitsch, Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk und der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski.

(Foto: dpa)

Es gab kaum Vertreter, mit denen sich die Mehrheit der Bewohner der östlichen und südlichen Regionen hatte identifizieren können, schrieben Steffen Halling und Susan Stewart in einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dabei hätte es eine der höchsten Prioritäten der neuen Regierung sein müssen, die Bevölkerung dort "davon zu überzeugen, dass sie auch ihre Interessen vertritt".

Statt Kompromissbereitschaft zu zeigen, beschloss die Regierung, ein Gesetz abzuschaffen, nach dem Russisch und andere Sprachen ethnischer Minderheiten auf regionaler Ebene Amtssprache sein können. Auch wenn Übergangspräsident Alexander Turtschinow das Gesetz nie unterschrieb, war das Signal in Richtung Süden und Osten fatal. Dazu kam zum Beispiel noch das Verbot von Fernsehkanälen aus Russland.

"So vergrößert sich der Nährboden, den Russland nutzen kann, um Teile der Bevölkerung für seine Zwecke zu mobilisieren. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit einer schleichenden Intervention in den östlichen Landesteilen", warnten Halling und Stewart bereits im März.

Pauschale Diffamierung der Proteste

Es kam nun zu Protesten der prorussischen Bevölkerungsteile im Süden und Osten gegen die Übergangsregierung.

In manchen Städten gingen einige Tausend Menschen auf die Straße und forderten teils mehr regionale Rechte, teils mehr Föderalismus oder sogar ein Referendum über die Abspaltung der Regionen von der Ukraine.

Der Gouverneur der Region Charkow, Michailo Dobkin, rief nach Autonomierechte für den Süden und Osten. Es gab allerdings auch Demonstrationen von Anhängern der Regierung in Kiew.

Crisis in Ukraine

Anhänger einer einigen Ukraine demonstrieren am 17. April in Donezk

(Foto: dpa)

Zugleich tauchten allerdings Gruppen bewaffneter und uniformierter Separatisten auf, stürmten öffentliche Gebäude und übernahmen in einigen Städten mit Gewalt die Kontrolle. Unterstützung fanden sie sogar unter lokalen Polizeikräften und Soldaten. Außerdem waren offenbar russische Spezialeinheiten an einigen Aktionen beteiligt. In der Region Donezk tritt inzwischen sogar ein Russe öffentlich als "Verteidigungsminister" der "Volksrepublik Donezk" auf.

Clashes escalate in eastern Ukraine

Bewaffnete prorussische Separatisten spielen sich als Ordnungsmacht in Donezk auf

(Foto: dpa)

Doch auch wenn Russland die Bevölkerung im Osten und Süden mit Lügen aufstachelt, Russen an den Aktionen beteiligt sind und manche sogar aus Russland gesteuert sein könnten - alles dies fand "im Kontext von großen, selbstorganisierten sozialen Graswurzelprotesten in den östlichen und südlichen Regionen statt, die sich gegen die neue Regierung in Kiew richten", schreibt Volodymyr Ishchenko vom Zentrum für Gesellschaftsforschung der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie im britischen Guardian.

In Kiew aber wurden sowohl die Proteste als auch das Vorgehen der bewaffneten Separatisten pauschal als von Moskau organisierte Aktionen eingeordnet. So erklärte Übergangspräsident Alexander Turtschinow, hinter den "Massenprotesten" steckten "Kreml-Agenten" und warnte vor einer russischen Invasion der Ostukraine, die einer Einverleibung der Krim folgen könnte. Der amtierende Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk machte russische "Rädelsführer" für die Proteste verantwortlich.

Kontraproduktiver Widerstand gegen ein Referendum

Statt die Motivation aller Demonstranten auf diese Weise pauschal zu verurteilen, hätte Kiew sich auch daran orientieren können, was die Menschen im Osten und Süden wirklich wollten. Das hat zum Beispiel im April das Kiewer Internationale Institut für Soziologie (KIIS) untersucht. Demnach unterstützten nur 27 Prozent beziehungsweise 30 Prozent der Menschen in den Regionen Donezk und Lugansk tatsächlich die Idee, sich Russland anzuschließen. Mit 52 Prozent war die Mehrheit in beiden Regionen dagegen. In Charkow waren lediglich 16 Prozent für den Anschluss, 66 Prozent dagegen. (Hier die Umfrageergebnisse auf deutsch.)

Die Eroberung von Verwaltungsgebäuden mit Waffengewalt fanden in den beiden Regionen 18 Prozent bzw. 24 Prozent richtig, während 72 Prozent beziehungsweise 58 Prozent sie nicht unterstützten. In Charkow lag die Zustimmung bei zehn Prozent, die Ablehnung bei 73 Prozent.

Mit einer Föderation als staatlicher Struktur der Ukraine zufrieden gewesen wären in Donezk 38 Prozent, in Lugansk 42 Prozent und in Charkow mehr als 17 Prozent. Dezentralisierung und Erweiterung der Rechte in den Regionen wollten 41 Prozent beziehungsweise 34 Prozent und 44 Prozent. Und elf beziehungsweise zwölf und 23 Prozent waren dafür, dass alles so bleibt, wie es ist.

Der größte Teil der Bevölkerung im Süden und Osten - nämlich insgesamt 70 Prozent der Befragten - war gegen den Anschluss an Russland. 45 Prozent sprachen sich für eine Dezentralisierung aus, 25 Prozent für eine Föderation. Die Ergebnisse einer Umfrage der "Stiftung Demokratische Initiativen hatten zuvor ganz ähnlich ausgesehen. Diese Verhältnisse spiegeln sich inzwischen offenbar auch darin wieder, dass der lokale Widerstand gegen die bewaffneten Separatisten wächst.

Kämpfe bei Lugansk

Prorussische Miliz auf dem Weg in den Kampf gegen ukrainische Soldaten am 22. Mai bei Lugansk. Die Mehrheit der Menschen im Osten der Ukraine ist gegen den Anschluss an Russland.

(Foto: AP)

Angesichts der Zahlen hätte die Übergangsregierung in Erwägung ziehen sollen, der Forderung der Separatisten nach einem Referendum zum Status der Regionen nachzugeben. Dass auch Russland sich dafür ausgesprochen hat, machte das für Kiew nicht einfacher - aber auch nicht unmöglich.

Eine Volksabstimmung hätte zum einen ein deutlich positives Signal an die Bevölkerung dargestellt und offengelegt, dass der russische Vorwurf, in Kiew regierten Faschisten, falsch ist.

Zudem hätten die bewaffneten Milizen und Moskau jegliche Möglichkeit verloren, Gewalt mit dem Hinweis auf die angebliche Unterdrückung durch Kiew zu rechtfertigen. Das Referendum selbst hätte von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überwacht worden können. Und das Ergebnis hätte die Separatisten bloßgestellt - auch wenn sie die Wahlen manipuliert hätten. Und wenn doch eine Mehrheit für die Abspaltung gestimmt hätte, wären die Verhältnisse jedenfalls geklärt gewesen.

Voraussetzung für ein Referendum wäre eine Veränderung oder Verletzung der Verfassung gewesen, die solche Volksabstimmungen nur für die gesamte Ukraine erlaubt. Aber war eine Änderung tatsächlich völlig undenkbar? Mit dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung hatten die Politiker, die jetzt an der Macht sind, bereits gegen die Verfassung verstoßen. Eine Veränderung wäre kein noch tiefergehender Eingriff.

Doch die Übergangsregierung hat sich von den bewaffneten Separatisten und Moskau zu einer harten Haltung und einer kriegerischen Rhetorik gegenüber der prorussischen Bevölkerung provozieren lassen. Sie hat, gerade erst an der Macht, versucht, eine nicht vorhandene Stärke zu demonstrieren.

Zwar versprach Ministerpräsident Jazenjuk der Bevölkerung in der Ostukraine in der ersten Märzhälfte bei einem Besuch in Donezk mehr Kompetenzen und Rechte. Wenige Tage später aber sagte er in einem Interview mit der SZ, es läge auf der Hand, dass Russland die Ostukraine wolle. "Ich habe keine Zweifel daran, dass sie deshalb ihre sogenannten Demonstranten und bezahlten Provokateure über die Grenze schicken." Man werde sich nicht "auf terroristische Forderungen der russischen Regierung einlassen". Auch eine föderale Struktur der Ukraine - wie Russland sie vorgeschlagen hatte - kam für ihn nicht in Frage: Mehr Föderalismus, so sagte er im SZ-Interview, sei ein Schritt im Sinne Russlands, um die ukrainische Souveränität zu zerstören.

Entsprechend sah die Reaktion der Übergangsregierung aus. Bereits am zehnten März wurde der Gouverneur von Charkow, Michail Dobkin, wegen angeblicher Aufwiegelung zum Separatismus unter Hausarrest gestellt, genauso wie Hennadi Kernes, Bürgermeister der Stadt Charkow.

Die politische Führung, so stellten Halling und Stewart von der SWP dazu fest, schien demnach gewillt, ihre früheren Gegner in manchen Fällen einfach durch juristische Verfahren auszuschalten. "Solche Entscheidungen übermitteln eine verheerende Botschaft an die Bewohner der östlichen Regionen, indem sie ihnen zeigen, dass die Zentralregierung Vertreter des Ostens politisch und juristisch verfolgt."

Rhetorische Aufrüstung: Terroristen in der Ostukraine

Nachdem am 7. April Separatisten die "Volksrepublik Donezk" ausgerufen hatten, erklärte Präsident Turtschinow die Bewaffneten pauschal zu Terroristen und kündigte "Anti-Terrormaßnahmen" der ukrainischen Armee an. Ministerpräsident Jazenjuk warf Moskau vor, es würde den "Terrorismus in die Ukraine exportieren".

Weiter blutige Gewalt in der Ostukraine

Ukrainische Soldaten versuchen am 24. Mai die Kontrolle über Straßensperren bei Slawjansk zu übernehmen

(Foto: dpa)

Nach kleinen militärischen Erfolgen gegen bewaffnete Separatisten verkündete Präsident Turtschinow dann erfreut, nun werde es bald keine "Terroristen" in Donezk und anderen Regionen mehr geben. Dann liefen ukrainische Soldaten mitsamt ihren Panzerfahrzeugen über. "Um nicht auf die eigenen Leute schießen zu müssen", wie ein Fallschirmjäger der Nachrichtenagentur Reuters in Slawjansk sagte.

Einen "Anti-Terror-Einsatz" gegen radikale Regierungsgegner hatte das Verteidigungsministerium in Kiew übrigens auch schon Mitte Februar vorgeschlagen - inklusive Schusswaffengebrauch. Damals allerdings lautete der Name des Präsidenten noch Viktor Janukowitsch. Die als Terroristen diffamierten Demonstranten waren die Maidan-Aktivisten. Anschaulicher lässt sich die durchsichtige rhetorische Aufrüstung auf allen Seiten kaum demonstrieren.

Wiederholt erklärte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR), es sei "dringend notwendig, etwas zu tun gegen Fehlinformationen, Propaganda und die Aufhetzung zum Hass, um die weitere Eskalation der Spannungen im Land zu verhindern". Gemeint war nicht nur Moskau, das die Bevölkerung im Osten der Ukraine manipuliert. Die Situation werde von unterschiedlichen Gruppen völlig verschieden dargestellt, um daraus Schlüsse zu ziehen, die den eigenen Interessen dienen, warnte UN-Hochkommissarin Navi Pillay und wies auf weit verbreitete Fehlinformationen und Reden hin, die darauf zielten, mit nationalistischen, religiösen oder rassischen Rechtfertigungen zum Hass aufzustacheln.

An die Regierung in Kiew gerichtet, sagte Pillay schon Mitte April, es sei entscheidend, die Vielfalt im Lande zu respektieren und dafür zu sorgen, dass alle - auch die Minderheiten - am politischen Leben teilhaben können.

Auch die ersten Vorstöße des ukrainischen Militärs, den Separatisten die Kontrolle über Straßenblockaden abzunehmen, trieb den Keil zwischen Teilen der Bevölkerung im Osten und Kiew noch tiefer. Immerhin wurde darauf verzichtet, mit Unterstützung von Milizen, die sich in der Westukraine gebildet haben, einen massiven Angriff zu starten - der mit Sicherheit zu noch weit mehr Toten geführt hätte. Diese weitgehende militärische Zurückhaltung war angesichts der großen prorussischen Bevölkerungsanteile eine vernünftige Entscheidung der Übergangsregierung.

Bürger in Slawjansk hoffen auf Frieden

Ukrainische Soldaten stoßen bei Slawjansk auf Bürger, die eine Brücke blockieren

(Foto: dpa)

Für die Separatisten - soweit sie nicht tatsächlich von Russland bezahlt werden - bestätigt die harte Haltung der Regierung, dass Gewalt der einzige Weg ist, ihr Ziel zu erreichen. Und das Ausbleiben eines konsequenten Gegenangriffs war bislang für sie ein Zeichen, dass dieser Weg realistisch sein könnte. Inzwischen üben lokale Warlords eine Herrschaft aus, die für Oppositionelle und Journalisten tatsächlich Terror bedeutet: Ihnen droht Verschleppung, Folter, Mord.

Von "Irrsinn", der schnellstens beendet werden müsse, sprach im April schließlich sogar der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier angesichts der Toten und Verletzten - und forderte alle Seiten auf, zur Vernunft zu kommen.

"Die Führer auf nationaler und lokaler Ebene müssen ernsthafte Schritte ergreifen, um die Rhetorik des Hasses und der Konfrontation zu stoppen, bevor die Situation völlig außer Kontrolle gerät", sagte UN-Hochkommissarin Pillay Anfang Mai erneut. Für mehr als 40 Menschen, die am 2. Mai in Odessa erstickten, verbrannten oder in den Tod sprangen, kam ihre Warnung zu spät. Prorussische Demonstranten hatten sich mit ukrainischen Nationalisten geprügelt und waren ins Gewerkschaftsgebäude geflüchtet, das dann von Außen mit Molotow-Cocktails in Brand gesteckt wurde. Und Julia Timoschenko nutzte sogar diese Gelegenheit für Propaganda: Sie lobte die Nationalisten für ihre Bemühungen, administrative Gebäude zu schützen.

Als Reaktion auf die zunehmende Gewalt rief die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) einen Runden Tisch ins Leben, an dem Vertreter der Regierung, Abgeordnete der "Partei der Regionen" und offizielle Vertreter der Verwaltungen im Osten sitzen. Die Erwartungen waren allerdings nicht hoch, und bislang haben die Treffen keine Ergebnisse erbracht. Vertreter der militanten Separatisten durften aber auch nicht teilnehmen. "Wir reden nicht mit denen, die gegen uns sind", sagte deshalb kürzlich einer der Teilnehmer, der kommunistische Abgeordnete Alexander Bandurka. Man dürfe diese jedoch nicht ignorieren, forderte deshalb Walery Holenko, der Chef der Regionalverwaltung von Lugansk.

Was nutzt die Wahl dem Osten?

Die jetzt bevorstehende Präsidentschaftswahl ist kein Grund, auf eine Deeskalation zu hoffen. Die wichtigsten Präsidentschaftskandidaten haben sich bislang nicht mit Vorschlägen hervorgetan, die die Bevölkerung im Osten des Landes beruhigen könnten.

Petro Poroschenko, aussichtsreichster Kandidat und einer der reichsten Oligarchen der Ukraine, hat - jedenfalls im Wahlkampf - den Sprachgebrauch der Übergangsregierung übernommen und bezeichnet die prorussischen Milizen pauschal als "Terroristen", manche seien "geisteskrank". Deshalb könne die ukrainische Führung mit ihnen auch nicht verhandeln. Er ist für eine Einheit der Ukraine, möchte den Regionen aber mehr Autonomie zusprechen. Doch selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel sah sich kürzlich bemüßigt, den Präsidentschaftskandidaten auf die "Bedeutung von Gesprächsbereitschaft und Dialog" hinzuweisen.

Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko, Vorsitzende der Vaterlandspartei, redet so, als würde sie am liebsten selbst an der Spitze ihrer im April gegründeten Widerstandsbewegung in den Osten marschieren, oder gleich nach Moskau, um Russen und vor allem Wladimir Putin zu töten. So klingt es in einem vom russischen Geheimdienst mitgeschnittenen Telefongespräch. Im März hatte sie sogar schon einen Partisanenkrieg auf der Krim angekündigt. Bislang hat sich das zum Glück nur als Spruch erwiesen.

Gewalt in der Ukraine: Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko besucht am 6. Mai einen Stützpunkt der Armee im Süden

Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko besucht am 6. Mai einen Stützpunkt der Armee im Süden

(Foto: AFP)

Weitere Präsidentschaftskandidaten stehen ausdrücklich nicht für Deeskalation. So tritt der Ex-Verteidigungsminister Anatoli Gritsenko von der kleinen Partei "Die bürgerliche Position" im Wahlkampf bewusst in Tarnuniform auf, um seine Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Oleg Lyaschko von der "Radikalen Partei" wünscht sich eine Freiwilligenarmee zur Bekämpfung der Separatisten. Er weist stolz darauf hin, persönlich gegen die prorussischen Milizen in Slawjansk gekämpft zu haben. Auch Dmitri Jarosch vom "Rechten Sektor" will mit Gewalt gegen die prorussischen Kräfte vorgehen. Der Rechtsradikale Oleg Tjagnibok von Swoboda wünscht sich der Nachrichtenagentur dpa zufolge gar Atomwaffen, um sich vor Russland zu schützen.

Genauso wenig Hoffnung auf einen Wahlerfolg wie die Rechten haben der frühere stellvertretende Ministerpräsident der Ukraine Sergej Tigipko und der Ex-Verwaltungschef von Charkow, Michail Dobkin, beides Mitglieder von Viktor Janukowitschs "Partei der Regionen". Beide wollen der prorussischen Bevölkerung entgegenkommen und in Russland noch immer einen weiteren Verhandlungspartner sehen.

Es ist vor diesem Hintergrund damit zu rechnen, dass viele Menschen in der Ostukraine nicht werden wählen können - weil die Separatisten es verhindern - oder nicht wählen wollen. Und das wieder dürfte ganz im Sinne Putins sein. Denn es wird seiner "Propagandamaschine das Futter liefern, um eine Teilung der Ukraine in zwei Staaten zu propagieren", warnt Andreas Umland von der Nationalen Universität "Kiew-Mohyla-Akademie" in der Zeit. "Das Scheitern der Wahl könnte gar als Vorwand für einen Anschluss ostukrainischer Gebiete an Russland nach dem Muster der Krim-Annexion benutzt werden."

Es hätte nicht soweit kommen müssen. Theoretisch besteht noch immer die Möglichkeit, die Gewalt zu beenden, der Bevölkerung in der Ostukraine über ein Referendum ihre Stimme zurückzugeben und die bewaffneten Separatisten vorzuführen. Theoretisch.

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