Gewalt in Damaskus:Was jetzt in Syrien passieren muss

Um Syrien vor dem Untergang zu bewahren, sollte der Westen sich nun mit der Opposition verbünden. Selbst bei einem baldigen Sturz von Präsident Assad muss jedoch klar sein: Jede neue syrische Regierung wird Hilfe aus der ganzen Welt brauchen.

Michael Singh

Nach einem Jahr Bürgerkrieg in Syrien scheint das Ende des Regimes Baschar al-Assads anzubrechen, ein Ende, von dem westliche Politiker schon lange sagen, es sei unvermeidlich. Der Anschlag auf Assads Getreue, die zunehmende Zahl hochrangiger Militärs, die sich vom Regime absetzen und immer größere militärische Erfolge der Oppositionstruppen - alles scheint diese These zu belegen.

Unrest in Damascus

Regimetreue Soldaten erheben zum Zeichen der Ehrerbietung für Präsident Baschar al-Assad ihre Gewehre. Doch wie lange kann sich Assad noch an der Macht halten?

(Foto: dpa)

Aber Assad ist noch nicht am Ende. Obwohl sein innerer Machtzirkel schwer getroffen ist: Er ist nicht isoliert. Seine wichtigsten Berater stehen ihm treu zur Seite, auch die Alawiten, zu denen Assad selbst gehört, und andere ethnische Minderheiten, die eine Machtergreifung durch die Islamisten fürchten. Treu sind immer noch die reichen Geschäftsmänner, die unter dem Regime gut verdient haben. Assad kann sich auch nach wie vor auf ausländische Verbündete verlassen, Iran, die Hisbollah, Russland und China.

Schließlich hat Assad offensichtlich auch die Kontrolle über Syriens Armee und deren chemische Waffen. Sie geben ihm die Macht, mit noch mehr Gewalt gegen die Aufständischen vorzugehen. Ja: Assads Möglichkeiten werden immer weniger, vielleicht schlägt er bald in seiner Verzweiflung aus wie ein Pferd; auch wird die Opposition keine Lösung des Konflikts akzeptieren, in dem Assad an der Macht bleibt. Und trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass er bald abtritt.

Selbst wenn Assad abtritt, wird die Krise in Syrien nicht enden, sondern eher in eine neue Phase eintreten. Die Politik im Lande war immer hitzig. Zwischen Syriens Unabhängigkeit 1946 und der Machtübernahme durch Assads Vater Hafis al-Assad 1971 gab es immer wieder Staatsstreiche. Allein in den 60er Jahren hatte das Land sieben verschiedene Präsidenten.

Risiko für Syriens Nachbarn

Es besteht die Gefahr, dass nach dem Kollaps des Regimes auf Assads Herrschaft nicht Friede und Demobilisierung folgt, sondern ein sektiererischer Kampf und territoriale Desintegration, bei der die Kurden, Alawiten und andere Stämme ihre eigenen Enklaven bilden könnten. Die darauf folgende Gewalt würde Flüchtlingsströme auslösen und Syrien zu einem fruchtbaren Boden für Extremisten machen.

Das wäre dann nicht nur ein Risiko für Syrien selbst, sondern auch für seine Nachbarn: Waffen und Flüchtlinge aus Libyen haben auch zur Destabilisierung Malis beigetragen. Für den Westen wäre der Fall Assads und Syriens Flucht aus seiner brutalen Autokratie eine willkommene Entwicklung und wahrscheinlich auch ein strategischer Segen; noch mehr Chaos würde aber genau das Gegenteil bedeuten.

Assad verliert an Macht. Das ist aber kein Grund für die internationale Gemeinschaft, erleichtert durchzuschnaufen. Sie sollte alles daran setzen, eine positive Rolle beim Ausgang des Konfliktes zu spielen - und das kann auch gelingen.

Syriens Opposition braucht Unterstützung

Erstens sollte der Westen alles tun, um Assads Abschied zu beschleunigen. Der Westen kann die Sanktionen verschärfen - vor allem aber sollte er Assad, seine Familie und seine Topmilitärs auffordern, ins Exil zu gehen. Die militärischen Führer müssen dazu gedrängt werden überzulaufen, ihnen muss nachdrücklich klargemacht werden, was passiert, wenn sie es nicht tun. Zudem kann das Geld der syrischen Wirtschaftsmänner, die das Regime unterstützen, eingefroren, gegen sie selber ein Reiseverbot verhängt werden.

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Michael Singh, 35, ist Geschäftsführer der Denkfabrik Washington Institute for Near East Policy. Von 2007 bis 2008 saß er als Nahost-Experte im Nationalen Sicherheitsrat von US-Präsident George W. Bush.

(Foto: AFP)

Auch sollte Assads Unterstützung von außen begrenzt werden. Der Westen muss die Hisbollah und Iran warnen: Jede weitere Unterstützung des syrischen Regimes würde harte und schnelle Reaktionen des Westens nach sich ziehen. Die Waffenlieferungen aus Iran und von der Hisbollah müssen gestoppt werden. Iranische Waffenlieferungen sind sowieso eine Verletzung der UN-Sanktion, die den Kauf von Waffen aus Teheran verbietet. Wer in eine solche Transaktion verwickelt ist, muss schnell und hart bestraft werden.

Um den militärischen Druck auf das Regime zu verstärken, sollte die Opposition dabei unterstützt werden, Gebiete zu halten und weitere zu erobern. Solange der Westen zögert, direkte militärische Unterstützung zu liefern - was sich so schnell nicht ändern wird - können andere Formen der Unterstützung (Training, Kommunikation, geheimdienstliche und logistische Unterstützung) wertvoll sein. Dies würde die Oppositionstruppen weiter professionalisieren und Verbindungen zwischen ihnen und westlichen Militärs schaffen. Dies wird helfen, einen Zusammenbruch der Ordnung und Sicherheit im Land nach dem Fall Assads zu vermeiden.

Zweitens sollte die internationale Gemeinschaft versuchen, die Risiken, die sich mit dem Zusammenbruch des Regimes ergeben, zu verringern. Die Syrer werden Unterstützung brauchen, eine neue Regierung zu installieren. Sie werden Hilfe dabei brauchen, die chemischen und konventionellen Waffen des Regimes möglichst schnell zu sichern. Es wird Flüchtlingsströme innerhalb Syriens und über die Grenzen hinweg geben; westliche Regierungen und internationale Organisationen sollten hier mit Syriens Nachbarn zusammenarbeiten. Es müssen Pläne erstellt werden, wie den Flüchtlingen geholfen werden kann und diese Ströme die Grenzregionen nicht zusätzlich destabilisieren.

Und dann besteht die Gefahr der Vergeltungsmaßnahmen. Die internationale Gemeinschaft sollte die syrische Opposition dazu bewegen, sich klar zum Schutz von Minderheiten zu bekennen. Sie müssen in eine zukünftige Regierung mit eingeschlossen werden. Zudem muss darüber nachgedacht werden, das Mandat der UN-Beobachtermission zu modifizieren und in eine fähigere Einheit umzuwandeln.

Möglichkeiten für die Zukunft

Syriens Zukunft besteht nicht nur aus Risiken, sondern auch aus unglaublichen Möglichkeiten. Um dem Land zu helfen, diese Möglichkeiten zu nutzen, sollte die internationale Gemeinschaft jetzt mit der Opposition zusammenarbeiten - eine Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen gibt es bereits. Im Licht der äußersten Gewalt der vergangenen 16 Monate und der Despotie über vier Jahrzehnte hinweg ist es schwierig, einen Übergang zu schaffen. Jede neue syrische Regierung wird Hilfe der ganzen Welt brauchen.

Bisher stand der Westen im syrischen Konflikt am Rande des Spielfeldes. Er hat es vorgezogen, Risiken zu vermeiden, statt die unerwarteten Möglichkeiten auszuschöpfen, die es den Syrern und dem ganzen Nahen Osten ermöglichen, ihre eigene Zukunft zu gestalten. Diese Politik ist nicht länger angebracht. Die Syrienkrise nähert sich ihrem Ende. Was die internationale Gemeinschaft nun tut oder nicht tut, könnte entscheidend sein, ob Syrien künftig Gegner oder Alliierter ist, Quelle der Instabilität oder des Friedens.

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