Gewalt in Bangladesch:Zehntausende Jugendliche legen Dhaka lahm

  • Seit zwei Studenten in Bangladesch von zu schnell fahrenden Bussen getötet wurden, kommt es in Dhaka immer wieder zu Demonstrationen und Straßenblockaden.
  • Bangladeschs Machthaber geraten immer stärker in Bedrängnis. Im Dezember sind Parlamentswahlen.
  • Die Straßen sind in desolatem Zustand, die Korruption im Verkehrssystem wuchert, und die Proteste drohen außer Kontrolle zu geraten.

Von Carolin Werthmann

Dennis Schuster ist mitten in Dhaka, als die Protestierenden, so erzählt er es am Telefon, Busse und Autos umkreist, an den Fahrzeugen gerüttelt und sie mit Steinen beworfen hätten. Schuster, ein Student aus Deutschland, ist seit einem Monat in der Hauptstadt von Bangladesch und war dabei, als vor einer Woche Schüler und Studenten begonnen haben, für sicherere Straßen zu demonstrieren. Seinen echten Namen will er nicht im Internet lesen, er hat Angst vor Repressalien durch die Regierung, wenn er erzählt, was passiert ist.

"We want justice", hätten die Demonstranten gerufen. Dann hätten sie die Insassen aus den Fahrzeugen vertrieben - und weiter demoliert. Die Polizei sei ausgerückt. Mit Gummigeschossen und Tränengas. An ihrer Seite seien Vermummte gewesen. Motorrad- und Fahrradhelme hätten die Gesichter verdeckt. Mit Eisenstangen hätten sie die Protestierenden, darunter vor allem Schüler und Studenten, gejagt.

Der Anlass für die Proteste ist ein Unfall. Ein Bus raste in eine Gruppe Schüler, zwei von ihnen starben. Alltag in Dhaka. "Der Zustand der Straßen in Bangladesch ist mit Deutschland nicht zu vergleichen. Die Fahrbahnen sind gekennzeichnet, aber niemand hält sich daran. Keiner beachtet die Verkehrsordnung, keiner die Ampeln", sagt Dennis Schuster. Einen Führerschein braucht man nicht, um sich in Dhaka fortzubewegen. Unregistrierte Fahrzeuge sind Normalität - und Busse, die sich im dichten Verkehr der 18-Millionen-Einwohner-Stadt Wettrennen liefern.

Zustände, die vor allem Jugendliche und Studenten wohl nicht mehr länger hinnehmen wollen. Zehntausende sind inzwischen auf der Straße. Der komplette Verkehr Dhakas liegt lahm - und die Sicherheitskräfte reagieren mit brutaler Härte. Sie greifen nicht nur die Demonstranten tätlich an, sondern offenbar auch Journalisten, die über die Proteste berichten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat das Vorgehen der Regierung verurteilt. Ein Problem sind offenbar auch gewaltbereite, regierungsnahe Gegendemonstranten, die Chaos stiften. Medienberichten zufolge handelt es sich bei ihnen um Mitglieder der Bangladesh Chhatra League (BCL), einer Studentenorganisation, die über Verbindungen zur herrschenden Partei, der Awami-Liga, verfügt.

"Hinter den Protesten steckt mehr als die Forderung nach Sicherheit im Straßenverkehr", sagte der bekannte Fotojournalist Shahidul Alam in einem Interview mit dem Fernsehsender Al-Dschasira. Kurz darauf wurde er verhaftet. Er hatte auf die Zensur der Medien verwiesen - und auf die Bankenplünderungen, die Bestechung und die Korruption, die Dhakar beherrsche.

Alles falsch, meint die Regierung. Zusammen mit Studenten hatte Alam während der vergangenen Tage das Geschehen in Dhaka dokumentiert und über soziale Netzwerke verbreitet. "Sich mit Kamera in der Hand auf der Straße oder als Journalist zu zeigen, ist momentan extrem gefährlich", sagt auch Dennis Schuster. Die Macht der Medien sei allen bewusst. Smartphones oder kleine Digitalkameras von Passanten seien zerstört worden.

Seit diesem Dienstag protestieren auch die Journalisten selbst, formiert zu einer Menschenkette vor dem Presseklub in Dhaka. Sie fordern die Freilassung Alams und die Festnahme der Schläger, die auf Schüler und Studenten losgegangen sind. Es heißt, sie hätten der Regierung eine Frist von 72 Stunden gesetzt.

Augenzeugen zweifeln, dass sich die Lage in den kommenden Tagen beruhigen wird

Die Machthaber in Dhaka geraten immer stärker in Bedrängnis. Im Dezember sind Parlamentswahlen. Die Straßen sind in desolatem Zustand, die Korruption im Verkehrssystem wuchert, und die Proteste drohen außer Kontrolle zu geraten.

Augenzeugen zweifeln daran, dass sich die Lage in den kommenden Tagen beruhigen wird, auch Dennis Schuster glaubt das nicht. Im Gegenteil. Weitere Proteste sind angekündigt. Innenminister Asaduzzaman Khan warnte die Demonstranten: "Wir werden nicht ewig untätig bleiben und beobachten. Wir werden zu härteren Maßnahmen greifen, wenn die Grenze erreicht ist", sagte der Politiker in einem Gespräch mit Al-Dschasira.

Student Dennis Schuster will trotzdem bleiben. Und er will, obwohl es gefährlich ist, das Geschehen mit seiner Kamera dokumentieren, das ist ihm wichtig. "Ich gehe erst, wenn die Botschaft oder die Schule mich heimschicken", sagt er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: