Innenministerin Nancy Faeser prangert den starken Anstieg von Attacken gegen politisch aktive Menschen an. Vergangenes Jahr seien 3691 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sowie Parteivertreter erfasst worden, davon 80 Gewaltdelikte, schrieb die SPD-Politikerin in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag. 2022 waren es demnach noch 1994 Delikte, davon 67 Gewaltdelikte. "Die Betroffenen werden bedroht, ihre Büros angegriffen, ihre Wohnungen belagert, ihr privates Eigentum beschädigt oder zerstört." Deutschland erlebe gerade eine gefährliche Eskalationsspirale aus Politikverachtung und Aggressivität, beklagte Faeser. "Diese Spirale müssen wir stoppen." Am Dienstag will sie die Statistik zu politisch motivierter Kriminalität für 2023 vorstellen.
Insbesondere erinnerte die Ministerin an die Attacke Anfang Mai in Dresden auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke (SPD), der ins Krankenhaus geprügelt wurde. "Es war der traurige Kulminationspunkt der großen Zahl von Einschüchterungsversuchen, Bedrohungen und Gewalttaten in den letzten Wochen. Wir müssen unmissverständlich zeigen, dass der Rechtsstaat diese Gewalt nicht hinnimmt - nicht gegen Grüne, nicht gegen AfD-Politiker, nicht gegen Vertreter irgendeiner anderen Partei." Ziel der Angriffe sei nicht nur die Politik, sagte die Ministerin. Auch die Gewalt gegen Ehrenamtler oder gegen Polizei- und Rettungskräfte richte sich gegen das Gemeinwesen. "Die Täter feiern sich für ihren Kampf gegen ein 'System', das sie verachten. Doch sie sind und bleiben stumpfe Gewalttäter, verachtenswerte Kriminelle." Und genau so müssten sie auch verfolgt werden, mit hohem Ermittlungsdruck. Das sei vor allem eine Ressourcenfrage. "Wir haben die Bundespolizei jedes Jahr um 1000 Beamtinnen und Beamte verstärkt. Einige Länder verstärken ihre Behörden ebenfalls - genau das brauchen wir, bei der Polizei und auch bei der Justiz." Faeser betonte, ihr gehe es nicht darum, bestimmte Personengruppen besser zu schützen als andere. "Eine Körperverletzung ist eine Körperverletzung, das gilt für alle gleich." Doch gelte es etwa, Bedrohungen bis an die private Haustür von Kommunalpolitikern zu verhindern. "Hier sind gezielte Strafverschärfungen sinnvoll. Außerdem ändern wir das Melderecht, damit Privatadressen von Kommunalpolitikern geschützt werden."
Noch wichtiger aber sei eine konsequentere Strafverfolgung. "Wenn Menschen, die bedroht werden, den Eindruck haben, dass eine Strafanzeige nichts bringt und nicht verfolgt wird, dann ist das verheerend." Nach den jüngsten Gewalttaten gegen Politiker und Wahlkampfhelfer wird in den meisten Bundesländern der polizeiliche Schutz nicht pauschal erhöht. Wie eine epd-Umfrage unter den Innenministerien der Länder ergab, setzen diese zumeist auf Prävention, konkrete Lagebeurteilungen und stärkere Sicherheitsvorkehrungen, wenn es geboten erscheint. Der Schutz könne nicht allein durch die Polizeien und Sicherheitsbehörden gewährleistet werden, hieß es etwa aus Brandenburg. Wahlkampfhelfern gezielt polizeilichen Schutz zu gewähren, sei personell nicht darstellbar, erklärte das Bremer Innenressort. Es bedürfe einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung, erklärte das brandenburgische Innenministerium in Potsdam, das zugleich von "Symptomen einer zunehmenden Verrohung in der Gesellschaft" sprach.
Der Städte- und Gemeindebund rief unterdessen Prominente aus Sport und Kultur dazu auf, öffentlich für die Demokratie einzustehen. "Es ist höchste Zeit, eine Kultur des Respekts wieder zu etablieren und für die Demokratie Gesicht zu zeigen", sagte der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbandes, André Berghegger, den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag).