Eine kurze Pause nur zwischen zwei Wahlkampf-Terminen in Sachsen-Anhalt. Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, setzt sich in ein Café in Magdeburg. Eine Frau kommt auf sie zu, in keiner Weise auffällig, jedenfalls nicht erkennbar verwirrt. Dann dies: Die Frau spuckt Göring-Eckardt ins Gesicht. Einfach so, in aller Öffentlichkeit. Und beschimpft sie wegen ihrer offenen Haltung zu Flüchtlingen. Die Frau geht. Und lässt eine perplexe Politikerin zurück. Zeit für ein Gespräch.
SZ.de: Frau Göring-Eckardt, neue Zahlen zeigen, die Gewalt gegen Mandatsträger hat deutlich zugenommen. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Katrin Göring-Eckardt: Das betrifft nicht nur Mandatsträger, sondern viele Menschen, die sich engagieren, etwa in der Flüchtlingshilfe. Also Leute, die im weitesten Sinne in die Kategorie "Gutmenschen" fallen.
Ist es gefährlicher geworden, mit seiner politischen Überzeugung in die Öffentlichkeit zu gehen?
Das kann ich nicht einschätzen. Solche Angriffe hat es früher auch gegeben. Was ich aber sehe, ist, dass die Hemmschwelle, Personen in der Öffentlichkeit auch persönlich anzugehen, deutlich gesunken ist. Politiker werden angeschrien, beschimpft oder bespuckt. Da hat sich etwas verändert.
Am vergangenen Wochenende hat Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht eine Torte ins Gesicht bekommen. Gleiches erlebte vor einigen Wochen die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Justizminister Heiko Maas wäre fast verprügelt worden nach einer 1. Mai-Rede in Zwickaufrede. Ihnen selbst hat eine Frau in Magdeburg in einem Café ins Gesicht gespuckt.
Ja.
Ist es ein Unterschied zu wissen, dass so etwas passieren kann und es dann tatsächlich am eigenen Leib zu erleben?
Im ersten Moment habe ich mich hilflos gefühlt. Meine Reflexe haben nicht funktioniert. Ich war so verdattert, dass ich nicht mal auf die Idee gekommen bin, Zeugen um Hilfe zu bitten, um die Frau anzeigen zu können.
Und dann?
Im zweiten Moment werde ich wütend. Am liebsten hätte ich ihr ja eine runtergehauen. Das habe ich zum Glück nicht getan. Um im dritten Moment werde ich aktiv. Die Frau hat mich für meine Flüchtlingspolitik beschimpft und angespuckt. Da sage ich: So kriegt ihr mich nicht klein. Jetzt erst recht.
Bleibt nur gewonnene Stärke zurück?
Nein. Wer so etwas erlebt, der fühlt sich danach angreifbarer und verletzlicher als zuvor. Dennoch würde ich keinen einzigen Schritt zurückweichen. Und solange es nur mich betrifft, kann ich damit umgehen. Was gar nicht geht: wenn Mitarbeiter oder meine Familie wegen meiner Arbeit bedroht werden. Dagegen gehe ich mit allen juristischen Mitteln vor.
Glauben Sie, die Frau wollte Sie überzeugen, eine andere Politik zu machen?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn es so wäre, dann funktioniert das so bestimmt nicht. Bei mir nicht und sicher auch nicht bei anderen Politikern. Da mache ich keinen Unterscheid zwischen mir, der Torte auf Frau Wagenknecht oder jener auf Frau von Storch. Auch wenn mich Frau von Storch mit ihren Positionen oft wütend macht.
Nach den beiden Tortenwürfen hat sich jeweils sehr viele Häme über die beiden Politikerinnen ergossen. Können Sie Tortenwürfen auf öffentliche Personen etwas Lustiges abgewinnen?
Nein, ich finde das gar nicht lustig, in keiner Weise. Alles, was tätlich gegen eine einzelne Person geht oder die Person beleidigt, da ist bei mir Schicht im Schacht. Politik darf auch lustig sein. Aber es gibt Grenzen. Völlig egal, um wen es da geht.
Haben Sie heute mehr Angst, auf die Straße zu gehen?
Das nicht. Aber seitdem ich in der Öffentlichkeit bekannter bin, überlege ich mir schon, ob ich im Dunkeln noch allein von A nach B gehe, wenn andere wissen können, dass ich da gleich entlanglaufe. Da muss ja nur einer ein Foto auf Twitter posten, am besten noch mit Standort. Ich bin vorsichtiger geworden, lasse mir die Freiheit aber nicht nehmen.