Süddeutsche Zeitung

Gewalt gegen Kinder:Wer Kinder schützen will, muss sie stärken

Die größte Gefahr für Kinder lauert nicht im Gebüsch, sondern in der eigenen Familie. Sie müssen daher lernen, dass sie Nein sagen dürfen.

Von Henrike Roßbach

Selbst sehr kleine Kinder haben von ihm gehört. Vom bösen Mann, zu dem sie niemals ins Auto steigen dürfen, auch wenn er Gummibärchen, Hundewelpen und einen Besuch bei Prinzessin Lillifee verspricht. In Wahrheit aber verhält es sich mit dem bösen Mann wie mit dem Flugzeugabsturz: Am meisten fürchten wir uns vor dem, was uns eher nicht gefährlich werden wird. Autofahren ist viel riskanter als Fliegen. Und die größte Gefahr für Kinder lauert nicht im Gebüsch, sondern in der eigenen Familie.

Die Statistik zu kindlichen Gewaltopfern ist eine besonders erschütternde. Getötet, misshandelt, missbraucht; Babys, Kleinkinder, Schulkinder - jede Zahl ein kleines Leben und ein großes Drama. Mehr Befugnisse für die Ermittler, zeitgemäße Technik für die Polizei, mehr Mitarbeiter in den Jugendämtern, eine straffere Organisation des Kinderschutzes in den Ländern? All das ist notwendig.

Es wird aber nicht reichen, denn das Perfide ist, dass Gewalt gegen Kinder im innersten Kreis stattfindet, abgeschirmt von der Außenwelt. Ein gesellschaftlicher Auftrag ist es deshalb, starke, selbstbewusste Kinder heranzuziehen. Die lernen, nicht nur höflich, sondern auch mutig zu sein. Die nicht nur Nein sagen dürfen, sondern es sollen. Selbst wenn es nur der Kuss der geliebten Tante ist, den sie gerade eklig finden.

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Quelle:
SZ vom 07.06.2019
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