BKA-Bericht :Gewalt gegen Frauen nimmt deutlich zu

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Nur 7700 Plätze in Frauenhäusern gibt es deutschlandweit, nötig wären etwa dreimal so viele. (Foto: EyeEm Mobile/Getty)

Das zeigt ein Bericht des Bundeskriminalamts. Gleichzeitig mangelt es an Hilfsangeboten und Schutzeinrichtungen in Deutschland. Zeit für ein Gewalthilfegesetz?

Von Markus Balser, Sina-Maria Schweikle, Berlin

Catrin Seeger ist am Ende ihrer Möglichkeiten: Ihre fünf Frauenhausplätze sind belegt. Immer wieder bekommt sie Anrufe oder Hinweise von Frauen, die von ihren Männern oder Partnern misshandelt werden. Von Frauen, die einen sicheren Ort suchen, an dem sie Zuflucht und Verständnis finden. „Ich wünschte, ich könnte mehr tun. Aber es fehlt einfach der Platz“, sagt Seeger am Telefon.

Seit mehr als dreißig Jahren leitet die inzwischen 65-Jährige ein Frauenhaus im brandenburgischen Rathenow. Seit mehr als dreißig Jahren erlebt sie täglich, was Gewalt und Ausweglosigkeit mit Frauen machen. Gerne würde Seeger mehr tun – doch es fehlt an einer dauerhaften und verlässlichen Finanzierung ihrer Einrichtung „und sowieso an allen Ecken“, sagt Seeger. Es ist ein Problem, vor dem wohl alle Frauenhäuser in Deutschland stehen. Und dabei geht es nicht allein um die Finanzierung, sondern wie bei Catrin Seeger, um die verfügbaren Plätze im Allgemeinen. Nach Angaben des Vereins für Frauenhauskoordinierung stehen gewaltbetroffenen Frauen bundesweit rund 7700 Plätze zur Verfügung. Gemäß der Istanbul-Konvention, dem internationalen Abkommen gegen Gewalt an Frauen, wären in Relation zur Einwohnerzahl eigentlich 21 000 Plätze nötig.

181 000 Frauen wurden 2023 Opfer von innerfamiliärer oder Partnerschaftsgewalt

Dabei wird das Problem immer drängender, wie ein neuer BKA-Bericht zeigt. Das Lagebild des Bundeskriminalamts zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten dokumentiert eine besorgniserregende Entwicklung. In nahezu allen betrachteten Fallgruppen sind „in den letzten fünf Jahren deutliche Anstiege zu verzeichnen“, warnt das BKA. „Hass und Gewalt gegen Frauen“ seien ein „zunehmendes gesellschaftliches Problem“, sagte BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer. „Wir brauchen mehr Härte gegen die Täter und mehr Aufmerksamkeit und Hilfe für die Opfer“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung des Berichts.

Drastisch zugenommen hat etwa die häusliche Gewalt. Im vergangenen Jahr wurden etwa 181 000 Frauen Opfer von innerfamiliärer oder auch Partnerschaftsgewalt – ein Anstieg von fast sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gegenüber 2019 stieg die Zahl der Fälle sogar um 17 Prozent. Im Bereich digitaler Gewalt betrug die Zunahme 25 Prozent – auf gut 17 000 Fälle. Dabei warnt das BKA, dass diese Zahlen nur die Spitze des Eisbergs sind. Besonders bei häuslicher und digitaler Gewalt gehe man „von einem erheblichen Dunkelfeld aus“, heißt es in dem Bericht. Auch die Zahl der Sexualstraftaten stieg um sechs Prozent auf mehr als 52 000. Die Zahl der Femizide wuchs ebenfalls erneut.

Noch größer fallen die Steigerungen aus, wenn man nur jene Straftaten der Hasskriminalität betrachtet, bei denen die Tatmotive Vorurteile gegen Frauen oder das weibliche Geschlecht sind. Insgesamt kam es zu 322 solcher frauenfeindlichen Delikte, darunter Gewalttaten, Bedrohungen oder Beleidigungen – ein Anstieg um 56 Prozent. Fast die Hälfte der Straftaten wurde laut der BKA-Auswertung aus rechter Gesinnung verübt.

Eigentlich sollten Frauen in Deutschland längst deutlich besser vor Gewalt geschützt sein. In der Istanbul-Konvention haben sich Deutschland und andere Staaten auf Richtlinien zum Schutz von Frauen vor Gewalt geeinigt. 2018 trat der Vertrag in Kraft. Seitdem treffen sich Bund, Länder und Verbände an einem runden Tisch und beraten über den Ausbau und die finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen. Herausgekommen ist dabei bislang wenig.

Lisa Paus wirbt für das Gewalthilfegesetz – doch sie eckt an

Es fehlen nicht nur Plätze in den Frauenhäusern, sondern auch einheitliche Regelungen zur Finanzierung von Gewaltschutzmaßnahmen. Zudem muss jedes Frauenhaus die Kosten für die dort untergebrachten Personen individuell abrechnen. Frauen, die keine Sozialleistungen beziehen, müssen den Platz sogar meist selbst tragen. All das wollte die Koalition ändern, so steht es zumindest im Koalitionsvertrag.

Helfen soll ein Gesetzentwurf, den Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) wenige Stunden vor dem Regierungsbruch am 6. November vorstellte. Am Mittwoch kommender Woche könnte der Entwurf in das Kabinett eingebracht werden, wie ein Sprecher von Lisa Paus bestätigte. Demnach habe das Familienministerium die Anhörung der Länder und Verbände am Dienstag eingeleitet.

In Berlin heißt es, das Familienministerium habe sich Anfang November über die Blockade des Finanzministeriums hinweggesetzt. Unter der neuen Führung des Christian-Linder-Nachfolgers Jörk Kukies habe das Ressort nun aber zugestimmt.

Das Gewalthilfegesetz soll den Zugang zu Schutz und Beratung bei häuslicher Gewalt gewährleisten. Es sieht vor, dass die Länder bis 2030 das Angebot an Frauenhäusern flächendeckend ausbauen sollen. Vom 1. Januar 2030 an soll ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung gelten. Zudem soll sich der Bund an den Kosten der Frauenhäuser beteiligen. „Deutschland hat ein massives Gewaltproblem gegen Frauen“, sagte Lisa Paus im Bundestag. „Das müssen wir geschlossen angehen.“ Mit dem Gewalthilfegesetz soll ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt sichergestellt werden. Es sei „ein Meilenstein“.

Ob der Entwurf verabschiedet wird, ist äußerst fraglich. Nach dem Scheitern der Koalition und Zweifeln der FDP-Fraktion käme es auf die Union an. Die aber winkt ab.

„Ein Femizid ist keine romantische Beziehungstat. Ein Femizid ist Mord“

„Es ist im Grunde unmöglich, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet wird, weil es zu lang verzögert wurde“, sagt Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der Union. Demnach könnten die geltenden Fristen zur Beteiligung der Länder und Verbände sowie des Bundestages nicht mehr eingehalten werden. „Wir haben bis heute noch nicht einmal einen finalen Gesetzentwurf vorliegen“, sagt Breher. Sie argumentiert, dass der Schutz von Frauen oberste Priorität haben müsse, dies aber nur durch eine Gesamtstrategie umgesetzt werden könne. Diese umfasse nicht nur die Finanzierung der Frauenhäuser, sondern auch Präventionsmaßnahmen, Strafverschärfungen und die Enttabuisierung. „Ein Femizid ist keine romantische Beziehungstat. Ein Femizid ist Mord“, sagt die CDU-Politikerin. 

Verbände fordern dagegen ein Gesetz noch vor der Wahl. „Frauenhäuser und Beratungsstellen benötigen dringend eine einzelfallunabhängige Finanzierung“, sagt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. „Gewaltschutz darf nicht länger Postleitzahlenlotterie sein. Es braucht einen bundeseinheitlichen Rahmen.“ Opfer von häuslicher oder partnerschaftlicher Gewalt müssten endlich einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bekommen, sagt Rock, der den größten Träger von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen in Deutschland leitet. „Wir brauchen ein Gewalthilfegesetz jetzt. Worauf warten wir noch?“

Das fragt sich auch eine Gruppe von 22 Prominenten, die der Sozialverband für eine Aktion gewonnen hat, sie wollen am Dienstag öffentlich für das Gesetz werben. Dazu zählen die Schauspielerinnen Ursula Karven und Eva Mattes, der Schauspieler Uwe Ochsenknecht, der Liedermacher und Regisseur Marc-Uwe Kling, aber auch Manager wie Michael Diederich, der Finanzvorstand von Bayern München.

Auch Catrin Seeger, die aus der täglichen Praxis weiß, worum es für die Opfer geht, dringt auf eine Lösung. „Ich hatte das Gefühl, wir waren noch nie so nah dran“, sagt sie. „Und gleichzeitig waren wir noch nie so weit weg.“ Die Politik müsse erkennen, dass es sich bei der häuslichen Gewalt um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, „es geht alle etwas an“.

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