Gewalt bei Kundgebung:Ratlos in Leipzig

Gewalt bei Kundgebung: Die Polizei bittet per Lautsprecher darum, das Abbrennen von Pyrotechnik zu unterlassen und die Vermummung abzulegen – vergeblich.

Die Polizei bittet per Lautsprecher darum, das Abbrennen von Pyrotechnik zu unterlassen und die Vermummung abzulegen – vergeblich.

(Foto: Stringer/AFP)

Pyrotechnik und Vermummung: Nach der Eskalation einer Demonstration verurteilen selbst Linken-Politiker die beteiligten Autonomen.

Von Antonie Rietzschel, Leipzig

Es beginnt mit einem lauten Knall. Auf der Karl-Liebknecht-Straße im Leipziger Süden stehen Hunderte Menschen zusammen. Sie tragen schwarze Kapuzen über dem Kopf, Schals vor dem Mund. Das Feuer einer Zündschnur ist zu sehen, aus der Menge fliegt ein Böller auf den Gehweg, direkt vor die Füße von Polizisten. Die heben ihre Schilde, um sich zu schützen. Weitere Sprengsätze fliegen. Vermummte dreschen auf Schaufensterscheiben ein. Mit Steinen, die sie aus dem Gehweg gewühlt haben. Und spätestens, als das Glas einer Straßenbahnhaltestelle splittert, wird klar, dass dieser Abend nicht so verlaufen wird, wie es sich Lokalpolitiker - aber auch linke Aktivisten - gewünscht hätten.

In einem bundesweiten Aufruf hieß es: "Alle nach Leipzig, Bullen angreifen!"

Am Sonntag reagierte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) entsetzt auf die Ausschreitungen: "Was geht in Menschen vor, die so hassen? Sie wüten gegen alles, alles, für das wir täglich eintreten: gegen Respekt, gegen Demokratie und Rücksicht und Toleranz". Auch Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) verurteilte die Gewalt. Wer Journalisten und Polizisten angreife, greife die Meinungsfreiheit und die friedliche Gemeinschaft an, schrieb der Minister auf Twitter.

Tatsächlich ging es am Samstag ja eigentlich um den Schutz der Pressefreiheit. Am Mittwoch, 29. Januar, beginnt vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Berufungsverfahren um das Verbot der Internetseite "Linksunten.Indymedia". Das Innenministerium hatte den weiteren Betrieb der Homepage mithilfe des Vereinsrechts zur Straftat erklärt - eine Entscheidung, die verschiedene Organisationen, darunter auch Reporter ohne Grenzen, kritisch sehen.

Bundesweit warben linke Aktivisten und Autonome für die Demonstration in Leipzig. Nur wenige Wochen nach den Ausschreitungen im linksalternativen Viertel Connewitz waren die Befürchtungen groß, dass es während der Demonstration am Samstag erneut zu Gewaltausbrüchen kommen könnte. "Wir suchen die direkte Konfrontation", hieß es in einem Aufruf. "Alle nach Leipzig, Bullen angreifen!"

Mehrere Kandidaten für die anstehende Oberbürgermeisterwahl in Leipzig appellierten deswegen im Vorfeld an die Teilnehmer der Demonstration, keine Gewalt zuzulassen. Auch linke Kreise verurteilten die Gewaltaufrufe. Und tatsächlich bleibt es zunächst ruhig, als sich die ersten Demonstranten am Samstagabend vor dem Bundesverwaltungsgericht versammeln. Ungefähr 1300 stehen in der Kälte zusammen und rufen: "Wir sind Linksunten." Von der Polizei zeigen sich vor allem Beamte, die Leibchen mit der Aufschrift "Kommunikationsteam" tragen. Wasserwerfer und Räumpanzer bleiben außer Sichtweite.

Auch als sich die Demonstranten Richtung Süden bewegen, ist die Stimmung entspannt. Der Protestzug wächst auf 1600 Menschen an und zieht Richtung Karl-Liebknecht-Straße - eine beliebte Ausgehmeile mit hübsch verputzten Fassaden. Drinnen in den Bars sitzen Leipziger beim Rotwein zusammen. Draußen vor der Glasfassade zieht der schwarze Pulk vorbei. Dann zündet einer die erste Leuchtfackel. Böller krachen. Die Polizei bittet per Lautsprecher darum, das Abbrennen von Pyrotechnik zu unterlassen und die Vermummung abzulegen, vergeblich. Die Demonstranten testen die Geduld der Beamten. Böller landen vor deren Füßen. Steine fliegen auf Polizeiwagen. Vermummte pöbeln gegen Journalisten, drohen jenen Prügel an, die mit ihren Handys filmen. Der Schutz der Pressefreiheit, er ist plötzlich egal.

In dem Lärm splitternder Scheiben, explodierender Böller und Geschrei dringt die Stimme einer Versammlungsleiterin kaum noch durch. Als sich die Demonstration auflöst, ist gerade mal die Hälfte der Route geschafft. Etwa 300 Menschen bleiben übrig. Eine neue Versammlung wird angemeldet.

Die Gruppe zieht weiter nach Connewitz. Hier endet die Demonstration friedlich zwischen den Kneipen des Viertels. In einer Nebenstraße inspiziert ein Autobesitzer Kratzer an seinem Kombi. Wenige Meter entfernt schaut ein junger Mann auf die zerschlagene Heckscheibe eines Golfs.

Die Polizei nimmt sechs Demonstranten vorläufig fest, wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung. 13 Beamte sollen leicht verletzt worden sein. Unklar sei, ob es auch verletzte Demonstranten gegeben habe.

Die Zerstörung, die Angriffe - sie lassen am Ende nicht nur Anwohner ratlos zurück. Sondern auch Menschen wie Juliane Nagel. Die Leipziger Linken-Politikerin hatte nach den Vorfällen in Connewitz per Twitter die Polizei scharf kritisiert. Auch an diesem Samstagabend setzt sie einen wütenden Tweet ab. Der betrifft jedoch die eigenen Gefolgsleute: Ob ihr jemand erklären könne, warum die Demonstration so verlaufen sei, schreibt sie. "Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, was das mit den inhaltlichen Zielen, die ich durchaus teile, zu tun hat."

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