Gesundheitssystem in der Krise:Das Hellas-Kartell

Jahrelang haben Pharmafirmen in Griechenland von laxen Kontrollen und Korruption profitiert: Sie haben für ihre Produkte erhöhte Preise verlangt. Der griechische Staat hat die Firmen geradezu eingeladen.

Christiane Schlötzer

Hätte das Land mehr Diener und weniger Herren, mehr Männer wie diesen schmalschultrigen Versicherungsvertreter, vielleicht wäre dann alles gutgegangen in Hellas.

EU-Gipfel berät Griechenland-Krise

Ein Defilibrator kostet in Athen 43.000 Euro. Im Nachbarland Zypern nur 11.000 - die Frage ist nur: warum?

(Foto: dpa)

Pantelis Kavvadas stellt ein Glas mit Zuckersirup auf den Tisch, darin schwimmen grüne Pistazien, eine Spezialität seiner Heimatinsel Chios. Neben das bauchige Pistazienglas legt der Mann ein Papierkonvolut, dick wie drei aufeinander gestapelte Fladenbrote. Das Deckblatt ziert der Schriftzug: Elliniki Dimokratia. Das ist die offizielle Bezeichnung Griechenlands.

Pantelis Kavvadas kennt jedes Blatt in dem Papierberg. Er war Beamter. Als 18-Jähriger fing er an, seinem Staat zu dienen. "Ich wollte alles richtig machen", sagt er. Nach 29 Jahren hat er den Dienst quittiert, weil die griechische Republik nicht wissen wollte, was er, der Hartnäckige, herausgefunden hat. Als sein Bericht im August 2006 fertig war, verschwand er, überall wohin er ihn auch brachte, in den Schubladen.

Defilibratoren kosten in Griechenland fast drei Mal mehr als in Frankreich

Jetzt sollten sich eigentlich viele für das Konvolut interessieren, die EU-Kommission zum Beispiel, die ihre Prüfer fast wöchentlich nach Athen schickt, und der Internationale Währungsfonds, oder die Politiker in Berlin. Alle, die Griechenland mit Krediten vor dem Bankrott retten wollen. Wenn sich nämlich nichts ändert an dem, was Kavvadas aufgeschrieben hat, dann werden die vielen Milliarden, die nun nach Athen fließen, in einem schwarzen Loch verschwinden. So viel kann man schon sagen.

Der Beamte hatte damals, in den Jahren 2003 und 2004, einen bösen Verdacht. Er war staatlicher Prüfer für die öffentlichen Krankenhäuser, und er glaubte, dass die Preise für medizinische Produkte - Dialysefilter für Nierenkranke zum Beispiel, oder Stents, die man für kranke Herzen braucht - in Griechenland viel höher sind als im Rest der EU. Die Krankenhäuser verschlingen in Hellas einen riesigen Brocken des staatlichen Budgets. Die Schulden aus den Kliniken haben sich dermaßen aufgehäuft, dass Athen sie vor der EU lieber gleich ganz versteckt hat. Als dies entdeckt wurde, schnellten die offiziellen Defizitzahlen in die Höhe, was letztlich mit zur gegenwärtigen griechischen Krise geführt hat.

Kavvadas recherchierte auf eigene Faust, und er fand heraus: Zum Beispiel Defibrillatoren, Maschinen, die ein flatterndes Herz wieder in Takt bringen: In Zypern kostete ein solches Gerät 11.000 Euro, in Frankreich waren es 15.000. In Griechenland aber wurden dafür 43.000 Euro verlangt.

Das gleiche Muster bei Klinikmaterial: "Bei uns war vieles vier bis fünf Mal, ja bisweilen zehn Mal so teuer", sagt der Ex-Prüfer. Das galt auch für Produkte deutscher Firmen. Er fand Offshore-Unternehmen, registriert in Zypern oder Barbados, die Produkte internationaler Pharmahersteller ein- und wieder ausführten. Bis sie in Hellas ankamen, waren sie wundersamerweise viel wertvoller als vor der langen Reise.

Das Gesundheitssystem ist krank

Wer wissen will, wie der griechische Staat sich ins Unglück geritten hat, der kann in einem Athener Gartenlokal, in dem das Stimmengewirr Schutz vor Lauschern bietet, den unauffälligen Herrn Kavvadas treffen; er kann auch mit Politikern reden, die einen Tag später anrufen und ihre Aussagen korrigieren.

Die EU war schon fast euphorisch, weil Griechenland jetzt so viel tut für die 110 Milliarden Euro, die Europa und der Währungsfonds Athen in den kommenden drei Jahren geben werden; für 22 Milliarden garantiert Deutschland. Weil Athen Ausgaben und Renten kürzt und Steuern erhöht, so dass das Riesendefizit bereits leicht geschrumpft ist. Im labyrinthischen hellenischen Gesundheitswesen aber sehen die EU-Kontrolleure weiterhin das größte Risiko für eine griechische Genesung.

Sind Menschen krank, tun sie meist alles, um wieder gesund zu werden, nichts ist ihnen zu teuer. Und sie quälen sich mit der Frage, was habe ich falsch gemacht, dass ich so leiden muss, auch wenn die Ursachenforschung meist müßig ist. Ist ein Staat krank, lässt sich das Organversagen ganz gut ergründen. Eine wesentliche Rolle spielt im hellenischen Fall ein Gesetz aus dem Jahr 2001. Damals regierte, wie heute wieder, die sozialistische Pasok-Partei. Das Gesetz mit der Nummer 2955 besagte, dass die staatlichen Krankenhäuser auch ohne öffentliche Ausschreibungen, also ohne Suche nach dem jeweils günstigsten Anbieter, einkaufen dürfen, vorausgesetzt: Produkte sind "nicht vergleichbar" oder dienen einem "speziellen Bedarf des Patienten". Näheres regle ein Dekret.

In dem Amtsstuben wird manchem schummrig

Solche Dekrete wurden dann über die Jahre hinweg reichlich verfasst, so viele, bis die Ausnahme die Regel war, bis praktisch jedes menschliche Ersatzteil, vom Hüftgelenk bis zum kleinsten Knöchelchen in diese Kategorie fiel. Augenlinsen ebenso wie Herzschrittmacher. Das hat das Hellas-Kartell erst möglich gemacht. Lange Listen mit Höchstpreisen regelten fortan den Markt, gedruckt auf Regierungspapier. Ein zwölfseitiges Dekret zu Dialysefiltern enthält gar konkrete Produktbezeichnungen mit Preisen und Firmennamen, quer durch den europäischen Markt. Einigen Leuten in den Amtsstuben wurde da schon ein wenig schwummrig ob der offensichtlichen Verstöße gegen europäisches Wettbewerbsrecht. Die konservative Opposition hat die allgemeine Laxheit auch kritisiert - und als sie an die Macht kam, ebenso weitergemacht.

"Wir wussten, dass die Preise höher sind als im Rest Europas", sagt die Abgeordnete der nun wieder regierenden sozialistischen Pasok-Partei, Elpida Tsouri. Die EU hätte "vor vielen Jahren schon eingreifen müssen". Tsouri spricht von einem "Dreieck" aus griechischen Zwischenhändlern der Pharmahersteller, Staat und Ärzten. Man hat zuletzt ein paar Konten von Chefärzten geöffnet und viele Millionen gefunden. Wer die Konten gefüllt hat, ist bislang nicht bekannt. Tsouri sagt, es sei "unmöglich", dass die Hersteller der Produkte, ob in Deutschland, Italien oder Japan, von den griechischen Gepflogenheiten "nichts gewusst haben".

Lesen Sie die ganze Reportage auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung.

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