Gesundheitsreform in den USA:Der graue Obama

Mit seiner Pressekonferenz zur Gesundheitsreform wollte der Präsident Führungsstärke beweisen. Doch das Echo ist enttäuschend - dabei hatte er vor allem auf die Blogger gesetzt.

Jannis Brühl

Die Pressekonferenz sollte Bevölkerung und Kommentatoren überzeugen: Barack Obama zeigt in Zeiten sinkender Umfragewerte Führungsstärke und mobilisiert Amerika für die Gesundheitsreform. Doch das Echo auf den Auftritt des Präsidenten am Mittwochabend ist keineswegs euphorisch.

Gesundheitsreform in den USA: Ein müde wirkender Obama am Mittwochabend auf dem Weg zur Pressekonferenz.

Ein müde wirkender Obama am Mittwochabend auf dem Weg zur Pressekonferenz.

(Foto: Foto: dpa)

Der Kampf um die Gesundheitsreform in den Vereinigten Staaten ist auch eine PR-Schlacht. Obama weiß, wie unbeliebt das Unterfangen ist, wie groß die Angst der Amerikaner vor staatlicher Zwangsversicherung und Steuerverschwendung. Deshalb wirbt er unermüdlich für das Projekt, hält in neun Tagen neun Reden zum Thema. Er berief eigens die Pressekonferenz ein, auf der er fast ausschließlich seine Vorstellungen zur Krankenversicherung darlegte. Sie wurde auf den großen Sendern live zur besten Sendezeit übertragen. Zuletzt bat er auch die liberale Blogger-Szene um Unterstützung für die Reform.

Doch es half nichts: Obwohl die Pressekonferenz perfekt durchchoreographiert war, konnte Obama die wachsende Kritik an seiner Regierung nicht abwürgen. Zu abgehoben, zu unmotiviert, zu blutleer, so lautet die Kritik im Internet am Morgen danach.

Kein Beispiel aus der Realität

Dabei hatten es die anwesenden Journalisten ihm so leicht gemacht. Allzu kritisch fragte niemand aus der handverlesen Schar der Pressevertreter. Konservative Medien wie Fox News waren sowieso nicht eingeladen. Acht von zehn Fragen drehten sich um Obamas Hauptanliegen, die Gesundheitsreform. Die Journalisten erlaubten es ihm, bei seinem Wunschthema zu bleiben - "to stay on message" nennt man das in Washington. So konnte der Präsident sich auf seine Botschaft konzentrieren, die live und ungefiltert in Amerikas Wohnzimmer gesendet wurde.

Manch überzeugter Obama-Fan und Verfechter der Reform hatte an dem Auftritt nichts auszusetzen: "Eine bravouröse Performance eines fantastischen Politikers", schreibt die linke Seite talkleft.com.

Doch solche Begeisterung rief der Präsident nur bei wenigen hervor - im Gegenteil. Es sei ja nicht leicht, die Menschen mit der Forderung nach einer Gesundheitsreform zu begeistern, schreibt Ben Smith im einflussreichen Online-Magazin Politico.com. Aber während der Pressekonferenz schien es, "als würde Obama es nicht einmal versuchen." Die Überschrift des Textes: "In einem großen Moment wird Obama klein".

Viel zu abstrakt habe der Präsident über die Gesundheitsvorsorge geredet, schreibt Smith. Nicht einmal habe er ein Beispiel aus der Realität angeführt, etwa eines Kindes, das unter dem derzeitigen System leidet. Das erinnere unangenehm an das Bild, das seine Gegner im Wahlkampf von ihm gezeichnet hatten: Obama, der abgehobene Akademiker.

"Drei Minus"

Kevin Drum, liberaler Blogger auf motherjones.com und grundsätzlich ein Unterstützer des Präsidenten, befindet, der Auftritt sei "nicht einmal annäherungsweise wie seine normale Performance." Er schweife zu sehr ab und vermeide direkte Antworten. Fazit: "drei minus".

Reporter Ben Feller, der die Pressekonferenz mit seiner Frage eröffnen durfte, will in der Erscheinung des Präsidenten gar erste Verschleißerscheinungen erkannt haben. Er bloggt in der Online-Zeitung Huffington Post: "Er sieht grauer aus als der Mann, der für das Präsidentenamt kandidiert hat".

Anfang der Woche hatte Obama persönlich bekannte Blogger in einer Konferenzschaltung darauf eingeschworen, Druck auf zögerliche Kongressabgeordnete auszuüben. Die Auserwählten halten sich bisher mit Kommentaren auffällig zurück. Sie beschränkten sich sich darauf, alle paar Minuten das Geschehen auf der Pressekonferenz auf Twitter zusammenzufassen.

Lesen Sie weiter, warum die Zeit der Kompromisse mit den Republikanern vorbei ist.

Der Ton im Netz wird schärfer

Obamas Parteifreunde im Kongress äußern sich unterdessen widersprüchlich zum weiteren Zeitplan in Sachen Gesundheitsreform. Obama hatte während der Pressekonferenz betont, wie wichtig klare Deadlines seien. Nancy Pelosi, demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, erklärte am Mittwoch, die Abgeordneten könnten die Sommerpause durcharbeiten, um die Reform zu verabschieden. Dagegen sagte Dick Durbin, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Senat, in seiner Kammer werde wohl nicht mehr vor dem Herbst darüber abgestimmt.

Gesundheitsreform in den USA: Obama beid er Pressekonferenz. Die Gesundheitsreform durchzuboxen ist jetzt wichtiger als die Zusammenarbeit mit der Gegenseite.

Obama beid er Pressekonferenz. Die Gesundheitsreform durchzuboxen ist jetzt wichtiger als die Zusammenarbeit mit der Gegenseite.

(Foto: Foto: dpa)

Später schließlich wurde mitgeteilt, dass der Kongress erst nach der Sommerpause über das Vorhaben abstimmen werde. Die Entscheidung sei am Mittwochabend in der Hoffnung getroffen worden, sich auf einen von beiden Parteien getragenen Gesetzentwurf zu verständigen, sagte der Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Senat, Harry Reid.

Die Gesundheitsreform polarisiert im Netz, der Ton wird schärfer. Während das Vorhaben für liberale Demokraten eine Herzensangelegenheiten ist, fordern rechte Vordenker wie William Kristol, Chefredakteur des einflussreichen konservativen Weekly Standard noch schärfere Attacken gegen Obamas Projekt. In seinem Blog schreibt er: "Dies ist nicht die Zeit für Zurückhaltung. Go for the kill." (Etwa: "Tötet die Reform.")

Dass die Zeit der Kompromisse mit den Republikanern vorbei ist, sagte auch der wichtigste Berater des Präsidenten David Axelrod im Gespräch mit den auserwählten Bloggern. Die Gesundheitsreform durchzuboxen sei wichtiger als die Zusammenarbeit mit der Gegenseite.

Überdosis Obama

Im Wahlkampf hatten die Blogger bewiesen, dass sie als effektive Multiplikatoren wirken können, um die Marke Obama zu bewerben. Jetzt müssen sei zeigen, dass sie Bürgern und Kongressabgeordneten im Auftrag Obamas auch ein unbeliebtes und kompliziertes Thema - die Gesundheitsreform - schmackhaft machen können.

Indes beschreibt Carol E. Lee, ebenfalls auf Politico.com, ein anderes Problem der medialen Inszenierung des Präsidenten. Die größte Stärke der PR-Strategie des Weißen Hauses könnte zu ihrer größten Schwäche werden: Barack Obama selbst. Bisher war für die Regierung jede Sekunde Gold wert, die der dynamische Präsident über die Bildschirme flimmerte. Doch jetzt, so Lee, könnten die Amerikaner genug von ihrem Präsidenten haben - sie seien einfach übersättigt. Als Beweis für die extreme Medienpräsenz Obamas führt sie die Primetime-Pressekonferenzen an: Mit der vom Mittwochabend benutzte er das Format vier Mal innerhalb des ersten Halbjahres - so oft wie sein Vorgänger Bush in seiner ganzen Amtszeit.

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