Süddeutsche Zeitung

Gesundheitspolitik:Hör zu

Innerhalb eines Jahres will die Bundesregierung die Löhne der Altenpfleger verbessern. Bis dahin kämpfen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit ihren Argumenten - und am Ende muss entschieden werden, wer denn bezahlt.

Von Detlef Esslinger

Als Angela Merkel am Montag im St. Johannisstift in Paderborn stand, sagte sie: "Ehrlich gesagt, wenn jemand jeden Tag mit Menschen arbeitet, warum soll der nicht so viel oder etwas mehr verdienen wie jemand, der in 'ner Bank arbeitet, oder an einer Maschine?"

Das ist eine Frage, die sich viele Altenpfleger auch seit Jahren stellen. Examinierte Kräfte kommen im Mittel auf 2600 Euro brutto im Monat; für die Gesamtheit der Beschäftigten in Deutschland liegt dieser Betrag bei 3100 Euro. Tatsächlich dürfte die Differenz mehr als 500 Euro betragen. Viele Pflegerinnen - meistens sind es ja Frauen in dem Beruf - arbeiten Teilzeit; außerdem bildet ein Durchschnittsbetrag nicht ab, wie unterschiedlich in der Branche bezahlt wird: Heime der Kommunen bezahlen auf Grundlage des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst, der in diesem Jahr eine Tarifsteigerung von 1. März an vorsah. Ausgebildete Pfleger erhalten dort zwischen 2600 und maximal 5400 Euro, je nach Tätigkeit und Erfahrung. Heime der Caritas übernehmen diesen Tarifvertrag, aber erst von 1. Juni an. Bei den Wohlfahrtsverbänden gibt es Haustarifverträge, die jedoch in der Regel unter diesem Niveau liegen. Und schließlich gibt es den "BPA-Arbeitgeberverband", der die kommerziell geführten Heime vertritt. Bei ihnen arbeiten gut 300 000 der insgesamt 550 000 Heim-Pfleger. Beim BPA gibt es gar keine Tarifverträge, sondern vom Verband festgelegte Richtlinien. Auf deren Grundlage zum Beispiel werden Pflegern in Hamburg zwischen 2800 und 3500 Euro gezahlt.

Anfang des Monats riefen die Minister Jens Spahn (Gesundheit, CDU), Franziska Giffey (Familie, SPD) und Hubertus Heil (Arbeit, SPD) die "Konzertierte Aktion Pflege" aus. Innerhalb eines Jahres wollen sie etwas gegen den Pflegenotstand unternehmen; dazu gehört ausdrücklich, die Bezahlung in der Branche zu regeln. Dass Löhne unterdurchschnittlich sind, dass Arbeitgeber knickrig beim Urlaub, aber fordernd bei der Arbeitszeit sind - das sind schließlich die Gründe, warum der Beruf als relativ unattraktiv gilt und es zu wenig Altenpfleger gibt. Minister Heil sagte in der Bild am Sonntag: "Wenn es endlich einen Flächentarifvertrag gibt, werde ich den zügig für allgemeinverbindlich erklären. Das wird die Löhne spürbar verbessern."

Endlich? Es gibt ja einen, den des öffentlichen Dienstes. Er ist der großzügigste, gilt aber nur für drei Prozent aller Heime, die der Kommunen. Ihn für allgemeinverbindlich erklären? Es gibt in dieser Branche zwei Besonderheiten. Erstens gehören die Kirchen hier zu den großen Arbeitgebern, in Gestalt von Caritas und Diakonie. Sie bestehen auf ihr eigenes, vom Grundgesetz geschütztes Arbeitsrecht. Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung würde für sie nicht gelten; immerhin handeln sie in paritätischen Kommissionen mit ihren Arbeitnehmern deren Arbeitsbedingungen aus. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer ist jedoch dadurch begrenzt, dass es bei den Kirchen kein Streikrecht gibt.

Zweitens gibt es den BPA-Arbeitgeberverband. Dessen Präsident ist Rainer Brüderle, der frühere FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Er lehnt es ab, mit der für Pfleger zuständigen Gewerkschaft Verdi Tarifverhandlungen zu führen. Brüderle hält ihr vor, doch maximal zwei Prozent aller Pfleger als Mitglied zu haben; wo sei da die Repräsentativität? Die Funktionäre hätten keinerlei Ahnung von der Praxis in den Heimen. "Wir können gerne mit ihnen einen Betriebsausflug dorthin machen", sagt Brüderle. "Aber was bringt's?"

Worum es ihm geht, liegt auf der Hand: Wer Tarifverhandlungen mit Verdi ablehnt, will sie grundsätzlich vermeiden - außer dieser Gewerkschaft kommt ja kaum eine andere dafür infrage.

Liegt es also an den Pflegern selbst, wenn sie keine Tarifverträge haben? Weil kaum jemand von ihnen Mitglied in der Gewerkschaft ist? Die für Gesundheitspolitik zuständige Verdi-Bereichsleiterin Grit Genster sieht es genau andersherum. Der geringe Grad an Organisation liege auch an den privaten Arbeitgebern und den "miesen" Arbeitsbedingungen dort: "30 Prozent der Pfleger arbeiten befristet, und viele ungewollt in Teilzeit. Das behindert natürlich gewerkschaftliches Engagement."

Wer von beiden recht hat, darüber ließen sich endlose Debatten führen. Nur würden sie am Lohn der Pfleger nichts ändern. In der Branche wird deshalb spekuliert, dass Verdi, Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Kirchen sich informell auf synchrone Vereinbarungen verständigen werden - und die kommerziellen Heime sodann einem für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag unterworfen werden.

Für wen wäre das Anlass für Genugtuung, falls es überhaupt dazu kommt? Die Deutsche Stiftung Patientenschutz nennt eine Bezahlung nach Tarif "überfällig". Ihr Vorstand Eugen Brysch fordert aber auch, dass dies "kein Versprechen zu Lasten Dritter" wird. Worauf er anspielt: dass danach der nächste Streit anstünde, das zusätzliche Geld für die Pfleger muss ja irgendwo herkommen. Brysch sagt: "Von der Pflegeversicherung und aus Steuermitteln." Also nicht von den Patienten oder ihren Angehörigen, sondern von allen Bürgern.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2018
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