Süddeutsche Zeitung

Gesundheitspolitik:Auf sich allein gestellt

In Regionen wie den Kurdengebieten in Syrien, die nicht als Staaten anerkannt sind, kann die WHO wenig zur Corona-Bekämpfung beitragen.

Von Moritz Baumstieger

Nicht jede Regel im Kampf gegen das Coronavirus muss man verstehen. In den faktisch autonom regierten Kurdengebieten im Nordosten Syriens ist etwa der Verkauf von frischer Eiscreme aus hygienischen Gründen verboten - der von abgepackter Ware am Stiel jedoch auch. Nicht jeder hält sich an die Verordnung, in sozialen Medien posteten Bewohner der Region Bilder von klandestinem Geschlecke. Motiv: Schokoeis vor Sonnenuntergang.

Sorglosigkeit in Bezug auf das Virus herrscht in den selbstverwalteten Gebieten aber nicht vor. Zwar ist die Zahl der Fälle bislang gering, die Nachbarn riegelten die Region schon vor Corona weitgehend ab, dementsprechend reisen wenig Menschen ein, die das Virus mitbringen könnten. Dennoch zeigt sich an den syrischen Kurdengebiete exemplarisch, wie das internationale System der Not- und Gesundheitshilfe im Falle von nicht anerkannten Staatsgebilden an politische Grenzen stößt: Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und einige andere Hilfsorganisationen sitzt der einzige Ansprechpartner für Syrien in Damaskus. Sie können jedoch nicht mehr tun als das Regime von Machthaber Baschar al-Assad zu bitten, bei der Vorsorge und bei der Behandlung von Covid-19-Erkrankten auch an die Bürger zu denken, die in Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle lebent.

Und so kommt es, dass die Region, die zwischen der irakischen Grenze im Osten und dem Euphrat im Westen fast ein Drittel des syrischen Staatsgebiets umfasst, eklatant unterversorgt ist - sowohl mit medizinischer Ausrüstung als auch mit Informationen: Erst Ende vergangener Woche etwa erfuhr die Selbstverwaltung, dass in ihren Gebieten längst der erste Corona-Tote nachgewiesen war. Ein 53-jähriger Mann war Ende März in der Stadt Hasakah in ein Krankenhaus eingeliefert worden, wo Ärzte einen Abstrich nahmen und in Ermangelung eigener Labore nach Damaskus schickten. Als der Mann am 2. April starb, hatte man in der syrischen Hauptstadt eine Corona-Infektion festgestellt. Damaskus informierte die WHO, in der Folge passierte jedoch mehr als elf Tage: nichts.

"Interne prozedurale Probleme und Missverständnisse" hätten dazu geführt, dass die lokalen Behörden so lange nicht informiert wurden, sagte nun Rick Brennan, der WHO-Nothilfekoordinator für den östlichen Mittelmeerraum. Man darf vermuten, dass Brennan mit diesen vorsichtigen Worten das Dilemma zu umschreiben versuchte, in dem die WHO in Bezug auf Gebiete wie jene unter der kurdischen Selbstverwaltung steckt: Zwar können die etwa fünf Millionen Einwohner dort der WHO nicht egal sein, zumal Hunderttausende als Flüchtlinge unter katastrophalen hygienischen Bedingungen leben. Gegen ihre Statuten an der Regierung Syriens vorbeiarbeiten kann die Organisation jedoch auch nicht, schließlich ist die formelles Mitglied und somit Ansprechpartner.

Andere international nicht anerkannte Staaten - etwa Separatistengebiete in Osteuropa - haben ein ähnliches Problem, mit Russland jedoch eine Schutzmacht, die Warenverkehr und zumindest ein wenig medizinische Hilfe ermöglicht. Im Nordosten Syriens ist die Lage noch komplizierter. Die Türkei lässt keine Hilfsgüter über die Grenze, der Warenverkehr aus den Regimegebieten ist limitiert - und über den einzigen offenen Grenzübergang zum Irak kommt kaum Hilfe: Nachdem Russland und China im Dezember im Weltsicherheitsrat ein Veto gegen weitere humanitäre Hilfe für die Gebiete in Nordostsyrien einlegten - wohl um die Selbstverwaltung zu Verhandlungen mit dem Regime zu drängen - haben die UN auch Lieferungen von medizinischem Material einstellen müssen.

Unterstützung durch internationale Organisationen habe es so bisher keine gegeben, sagt Ibrahim Murad der SZ, der als Gesandter der Selbstverwaltung ein Kontaktbüro in Berlin betreibt. "Alles, was wir bekommen haben, sind zwei Analysegeräte aus der Autonomen Region Kurdistan im Irak." Dank dieser Laborausstattung und 1500 ebenfalls von den irakischen Kurden gespendeten Testkits können Ärzte in den syrischen Kurdengebieten nun selbst Corona-Tests durchführen und sind nicht mehr auf Damaskus und die WHO angewiesen. Mithilfe des Roten Halbmonds wurde zudem eine Lagerhalle zu einem Krankenhaus für Covid-19-Patienten umgebaut, binnen zwei Wochen wurden dort 120 Betten geschaffen. Da sonst nur 26 von einst 279 medizinischen Versorgungspunkten in der Region voll funktionieren, wäre eine massenhafte Ansteckung dennoch fatal.

Die strengen Regeln zu Ausgangssperren und Geschäftsschließungen wurden am Dienstag bis 1. Mai verlängert. Mit einer Ausnahme: Eis- und Baklavaläden dürfen wieder öffnen. Schließlich beginnt am Freitag der Ramadan, in dem kein Mahl zum Fastenbrechen ohne Nachspeise enden sollte.

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SZ vom 23.04.2020
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