Internationaler Gesundheitsgipfel:4,5 Milliarden Impfdosen für die Ärmsten

Virtual G20 summit on the global health crisis, in Rome

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der italienische Premier Mario Draghi trafen sich physisch zum G20-Gipfel in Rom.

(Foto: Yara Nardi/REUTERS)

Pharmakonzerne bangen um ihre Patente für Covid-19-Impfstoffe. Damit die Politik keine Rechte aussetzt, machen sie ein Angebot: Milliarden Dosen zum kleinen Preis für bedürftige Länder. Ob das reicht, ist keineswegs sicher.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Welt will sich besser rüsten für Pandemien. Und wenn sie sich einmal wieder nicht verhindern lassen, so sollen die Politiker wenigstens aus der Corona-Krise die nötigen Lehren ziehen und es beim nächsten Mal besser machen - alle gemeinsam, mit einem Bekenntnis zu einem starken "Multilateralismus der Gesundheit".

In Rom haben sich dafür Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G 20) unter der Schirmherrschaft des italienischen Vorsitzes und der EU-Kommission beraten. Persönlich anwesend in der Villa Pamphilj waren allerdings nur Italiens Premier Mario Draghi und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die anderen Teilnehmer des World Health Summit schalteten sich per Video zu.

"Während wir uns schon auf die nächste Pandemie vorbereiten, muss es unsere erste Priorität sein, die laufende zu überwinden", sagte Draghi. "Wir müssen die Welt impfen und wir müssen uns dabei beeilen." Am Ende des Gipfels haben alle G-20-Teilnehmer eine "Erklärung von Rom" mit 16 Grundsätzen verabschiedet. Das Ziel: Die internationalen Gesundheitsinstitutionen sollen besser aufgestellt sein und besser kooperieren, samt Frühwarnsystemen, sanitären Infrastrukturen, Diagnosemethoden, Apparaturen. Es habe dazu große Einigkeit geherrscht, wie von der Leyen beteuerte.

Doch am Rand wurde auch gestritten, besonders über die Patentrechte für Impfstoffe. Länder wie Indien, Südafrika und die USA haben jüngst dafür plädiert, den Patentschutz der Impfstoffhersteller zeitweilig auszusetzen, damit auch Länder ohne eigene Produktionsanlagen Zugänge zu den Vakzinen haben. So soll ärmeren Ländern, vor allem afrikanischen, geholfen werden. Bill Gates erinnerte in einem kurzen Auftritt daran, dass 80 Prozent der ersten Milliarde Dosen an reiche Länder gingen. "Es gibt nur einen Weg aus der Pandemie: in Gerechtigkeit", sagte Gates.

Bei armen Ländern soll der Profit entfallen

Doch die Forderung provoziert starken Widerstand. Die meisten EU-Länder sind dagegen, den Patentschutz auszusetzen, weil sie fürchten, dass den Konzernen damit Innovationsanreize genommen werden. Zudem habe die EU in den vergangenen Monaten 200 Millionen Impfdosen an 45 andere Länder geliefert, das will man auch als Solidaritätsnachweis anerkannt haben. Von der Leyen kündigte an, "Team Europe" werde weitere 100 Millionen Dosen für die ärmsten Länder bereitstellen. Diese zusätzlichen Dosen würden von Staaten wie Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden zur Verfügung gestellt, heißt es bei der Kommission. Deutschland spende davon bis Jahresende 30 Millionen Dosen, erklärte Kanzlerin Angela Merkel.

Gegen eine Auflösung des Patentschutzes opponieren natürlich auch die Hersteller, die Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt haben. Lieber kommen sie dem Gipfel anders entgegen: Pfizer/Biontech verspricht Ländern mit niedrigen und mittelgroßen Einkommen eine Milliarde Dosen bis Ende 2021 und weitere zwei Milliarden für 2022. Der Preis für erstere soll nur die Herstellungskosten decken, letztere können sich demnach auf hohe Rabatte einstellen. Moderna sagte 90 Millionen für dieses und 900 Millionen für kommendes Jahr zu. Johnson & Johnson will bis Jahresende noch 200 Millionen und 2022 weitere 300 Millionen Dosen an Entwicklungsländer liefern. Den Rahmen soll jeweils Covax abstecken, das internationale Programm für eine faire Impfstoffverteilung.

Niemand ist sicher, bevor nicht alle sicher sind, betonten viele Gipfelredner. Die Pharmaindustrie wies aber auch darauf hin, dass sie Covid-19-Impfstoffe nur deshalb so schnell entwickeln konnte, weil sie in den Jahrzehnten davor Milliarden investiert habe. Ihre Lieferzusagen dienen wohl auch dazu, Patente vor Freigaben zu bewahren.

In der Präambel der "Erklärung von Rom" hat man sich für eine Formulierung entschieden, die Raum für Mittelwege lässt. So soll nach dem Gipfel untersucht werden, wie sich die Welt besser mit Impfstoffen eindecken lässt. Dabei werden sowohl die Welthandelsorganisation (WTO) als auch das Vertragswerk zum Patentschutz (Trips) eine Rolle spielen. Impfstoffentwickler sollen zu freiwilligen, bilateralen Abkommen angehalten werden, damit die Stoffe künftig auch in bedürftigen Ländern hergestellt werden können - gegen Gebühren.

Noch ist das Bangen nicht ausgestanden

Möglich ist aber auch, dass Firmen in bestimmten Notsituationen dazu gezwungen werden, ihre Lizenzen befristet abzugeben oder zu teilen. Außerdem drängt die EU die Pharmaindustrie dazu, Manufakturen in ärmeren Ländern aufzubauen, um Engpässen vorzubeugen. Auch mit gezielten Investitionen im globalen Süden soll der Geist der internationalen Zusammenarbeit gestärkt werden, damit etwa auch in Afrika schnell Impfstoffe produziert werden können.

Chinas Staatschef Xi Jinping sagte: "Wir müssen zusammenhalten und sollten das Virus nicht politisieren oder stigmatisieren." Impfnationalismus sei nicht zulässig. In der Gipfelerklärung betonen die Staaten denn auch, wie wichtig offene Lieferketten sind. Ursula von der Leyen sagte, Exportverbote müssten verhindert werden, und erwartet vom Gipfel "hervorragende Ergebnisse". Schließlich habe man sich als G 20 über Gesundheit noch nie speziell ausgetauscht. Jetzt laute die Botschaft: "Nie wieder."

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