Gesundheit:Krumm und krümmer

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Diagnose: zu viel Sitzen. Rückenschmerzen (im Bild das Röntgenbild einer geschädigten Wirbelsäule) sind eine Zivilisationskrankheit. (Foto: imago stock&people)

Die Deutschen fühlen sich gesund - aber sie bewegen sich immer weniger. Zivilisationskrankheiten wie Rückenschmerzen, Bluthochdruck und Übergewicht dürften dadurch häufiger werden. Forschern bereitet der Trend große Sorgen.

Von Jens Schneider, Berlin

Die Deutschen bewegen sich immer weniger, und nur fast jeder Zehnte lebt einer neuen Studie zufolge gesund. "Es war noch nie so schlecht wie jetzt", sagt Ingo Froböse. Er leitet das Zentrum für Gesundheit durch Sport und Bewegung an der Deutschen Sporthochschule in Köln, das im Auftrag der Deutschen Krankenversicherung (DKV) zum fünften Mal seit 2010 die Studie "Wie gesund lebt Deutschland?" erstellt hat.

Demnach fühlen sich die meisten Bürger gesund, leben aber nicht entsprechend - und entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, wonach immer mehr Menschen auf ein gesundes Leben achten, ist deren Anteil tatsächlich leicht zurückgegangen. Als Grundlage für die Studie führte ein Meinungsforschungsinstitut im Frühjahr bundesweit 2885 umfangreiche Telefoninterviews. Dabei wurde ermittelt, dass nur noch 43 Prozent aller Befragten das Mindestmaß an körperlicher Aktivität erreichen. Der Wert ging gegenüber den früheren Studien deutlich zurück, noch 2010 lag er bei 60 Prozent.

Der Studienleiter Froböse spricht von einem "traurigen Ergebnis". Immer mehr Menschen würden sich in Arbeit und Freizeit nicht ausreichend bewegen. Damit werde der Weg für zivilisationsbedingte Erkrankungen wie etwa Rückenschmerzen, Übergewicht, Bluthochdruck immer weiter geebnet. Als Maßstab nimmt das Institut die internationale Mindestempfehlung für einen gesunden Lebenswandel. Demnach sollten Erwachsene in der Woche mindestens 150 Minuten moderater Bewegung nachgehen, zum Beispiel zügiges Gehen, oder 75 Minuten intensive körperliche Aktivität absolvieren - etwa joggen.

Im Schnitt verbringen Deutsche an einem Werktag 7,5 Stunden im Sitzen

Der Studie zufolge geht die Zahl der Menschen, die sich während ihrer Arbeit intensiv oder moderat bewegen, immer weiter zurück. Viele unternehmen in der Freizeit nicht genug, um das zu kompensieren. Zehn Prozent gaben an, dass sie sich nie mehr als zehn Minuten am Stück bewegen. "Wir haben eine große Gruppe, die rein gar nichts tut", sagte Froböse.

Zu einem großen Risikofaktor werde für viele das lange Sitzen vor allem im Beruf, da lange und zudem wenig unterbrochene Sitzzeiten das Risiko für die Entstehung von Zivilisationskrankheiten erhöhen können. Diese negativen Effekte könnten nur schwer und auch nur durch ein sehr hohes Maß an körperlicher Aktivität ausgeglichen werden. Im Schnitt verbringen die Deutschen an einem normalen Werktag 7,5 Stunden im Sitzen, bei der Arbeit und vorm Fernseher. Je höher ihr Bildungsabschluss ist, desto länger sitzen die Deutschen während ihrer Arbeitszeit.

Am gesündesten leben die Menschen in Hamburg und Sachsen

In der Studie wurden auch das Ernährungsverhalten, der Umgang mit Alkohol, dem Rauchen und das individuelle Stressempfinden untersucht. Das Gesamtergebnis zeigt, dass über die Hälfte der Befragten - 61 Prozent - ihren eigenen Gesundheitszustand als gut oder sogar sehr gut einschätzte. Jedoch erreichen ihren eigenen Angaben zufolge nur neun Prozent in allen Bereichen die Mindestanforderungen für ein gesundes Leben, weniger als in früheren Studien. Beim Blick auf die Regionen kann angesichts der Zahl der Befragten nur von einem Trend gesprochen werden: Demnach leben ihren Angaben zufolge am gesündesten die Hamburger und Sachsen. Dort pflegen jeweils zwölf Prozent der Befragten einen gesunden Lebensstil. Auf dem letzten Platz landete Hessen mit einem Anteil von sieben Prozent.

Generell pflegen Frauen einen gesünderen Lebenswandel. Vor allem ernähren sie sich bewusster, rauchen weniger und konsumieren seltener Alkohol. Als positive Entwicklung ermittelte die Studie, dass immer mehr Menschen auf das Rauchen verzichten - mittlerweile 79 Prozent.

Im Rahmen der Studie wurden die Menschen auch nach ihrer Fähigkeit befragt, ob und wie gut sie sich während einer Alltagswoche regenerieren können - etwa durch Schlaf, Freizeitbeschäftigung, Pausen und Momente der Ruhe. Vielen gelingt das der Studie zufolge zum Ende einer Woche deutlich schlechter. Generell gaben elf Prozent der Befragten an, dass sie fast nie frisch in ihren Tag starten. 22 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren sind ihren eigenen Angaben zufolge jeden Morgen müde, berichtet Studienleiter Froböse. Sie seien es auch, die am wenigsten häufig ihren Stress bewältigen können. Es sei wichtig, gerade jungen Menschen Regenerationskompetenz zu vermitteln.

Da es sich bei der Studie um die Angaben der Befragten zu ihrem Verhalten handelt, könnte die reale Situation noch schlimmer sein, sagte Froböse. Die Subjektivität präge das Ergebnis, "und das ist schon schlimm genug".

© SZ vom 31.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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