Gesundheit:Kleine Kliniken sollen schließen

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Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung stellt fest: Bundesweit würden 600 statt 1400 Krankenhäuser ausreichen - um die Patienten besser zu versorgen als bisher.

Von Rainer Stadler, München

In Deutschland könnten 800 der bundesweit 1400 Kliniken geschlossen und die Versorgung der Patienten dennoch verbessert werden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Demnach ließen sich viele Todesfälle und Komplikationen vermeiden, wenn das Fachpersonal in den verbleibenden 600 Kliniken gebündelt würde. "Nur Kliniken mit größeren Fachabteilungen und mehr Patienten haben genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung", argumentieren die Autoren. Diese Kliniken wären dann auch besser ausgestattet, mit Computertomografen und anderem medizinischen Gerät, sowie in der Lage, rund um die Uhr Fachärzte bereitzustellen.

Nicht nur die Qualität der Notfallversorgung und Operationen ließe sich durch eine Konzentration der Krankenhauslandschaft in Deutschland verbessern. Auch der Mangel an Pflegekräften könnte damit aufgefangen werden. Grundsätzlich gebe es zu wenig medizinisches Personal, um die derzeitige Klinikzahl in Deutschland aufrechtzuerhalten, mahnt Jan Böcken, der Gesundheitsexperte der Bertelsmann-Stiftung. Ein Blick ins Ausland zeige zudem, dass in Deutschland vergleichsweise viele Patienten stationär versorgt würden. Mit dem Ausbau ambulanter Strukturen könne diese Zahl um ein Viertel sinken, heißt es in der Studie.

Detailliert untersucht wurde der Großraum Köln/Leverkusen, eine Region mit ländlichen wie auch städtisch geprägten Gebieten. Die Autoren der Studie errechneten für diesen Großraum den Bedarf an Krankenhausbehandlungen im Jahr 2030 und die daraus resultierende Zahl der benötigten Krankenhäuser. Vorausgesetzt wurde dabei, dass die Fallzahlen sinken würden, zum Beispiel aufgrund des Ausbaus ambulanter Behandlungen. Oder weil es "in einer optimierten Krankenhausstruktur" nicht mehr nötig sei, so viele Patienten wie bisher in andere Kliniken zu verlegen. Das Ergebnis: In der untersuchten Region reichten 14 statt bisher 38 Krankenhäuser, um die Patienten besser zu versorgen. Das klinge "zunächst drastisch", sagte einer der beteiligten Forscher. Gemessen an den Leistungen, die Krankenhäuser im Ausland erbringen müssten, oder an der Verweildauer der Patienten ließe sich die Zahl der Kliniken aber noch weiter senken.

Seit Jahren wird diskutiert, die Krankenhausversorgung in Deutschland grundlegend zu verändern. Anlass gab zuletzt wiederum eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung, die sich mit sogenannten Mindestmengen in Krankenhäusern befasste: Vertreter der Krankenkassen, Kliniken und Ärzte hatten sich im Gemeinsamen Bundesausschuss auf Fallzahlen geeinigt, die Ärzte und Kliniken nachweisen müssen, um einen Eingriff vornehmen zu dürfen. Der Ausschuss legte für Organtransplantationen 20 Fälle pro Jahr fest, für die Versorgung von extremen Frühgeburten 14 Fälle jährlich. Die Bertelsmann-Untersuchung ergab allerdings, dass 40 Prozent der Kliniken diese Fallzahlen verfehlten.

Kritiker der Pläne warnen vor der "Zerstörung von sozialer Infrastruktur"

Bei Operationen an der Speiseröhre erreichten sogar weniger als die Hälfte der untersuchten Kliniken die vorgeschriebene Fallzahl. Bei den Eingriffen an der Bauspeicheldrüse erfüllten immerhin zwei Drittel der Klinken die Vorgabe, was aber wohl an der niedrigen Fallzahl von mindestens zehn Eingriffen liegt - Experten zufolge deutlich zu wenig.

Im Ausland sind solche Mindestmengen schon seit Längerem üblich, mit positiven Folgen für die Patienten: In den Niederlanden halbierte sich die Sterblichkeitsrate nach Bauchspeicheldrüsen-Operationen von zehn auf fünf Prozent, nachdem die vorgeschriebene Mindestmenge eingehalten wurde. In Dänemark, wo die Zahl der Kliniken seit Jahren reduziert wird, bei gleichzeitigem Ausbau großer Versorgungszentren, sank die Sterblichkeit nach Herzinfarkten von acht auf vier Prozent. Eine ähnliche Entwicklung in Deutschland würde bedeuten, dass 7000 Menschen weniger pro Jahr an einem Herzinfarkt sterben müssten.

Gegen eine Konzentration auf weniger, aber besser ausgerüstete Kliniken gibt es jedoch auch Widerstand. Wer vorschlage, Hunderte Krankenhäuser "plattzumachen und die verbleibenden 600 Kliniken zu Großkliniken auszubauen, propagiert die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in geradezu abenteuerlichem Ausmaß", kritisierte Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die Bertelsmann-Studie. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte vor Kurzem den Wert kleinerer Kliniken betont: "Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat." Hartwig Bauer, der lange Zeit der Gesellschaft für Chirurgie vorstand und selbst eine Kreisklinik in Niederbayern leitete, versteht die Bedenken. Trotzdem mahnt er, die Deutschen müssten sich von ihrer "Rundum-Vollversorgungsmentalität" verabschieden. Es führe angesichts der Personalknappheit in Medizin und Pflege kein Weg daran vorbei, "die Leute dort einzusetzen, wo sie den größten Nutzen für die Patienten erreichen können".

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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