Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Die Selbstgerechten

Der Abrechnungsskandal bei Kontrastmitteln ist symptomatisch für den Missbrauch in der Medizin.

Von Christina Berndt

Man muss kein Revolutionär sein, um sich über das Selbstbedienungsgebaren zu empören, das wie ein hässlicher Eiterherd in den Tiefen des Gesundheitswesens brodelt. Es reicht schon, ein bisschen Solidargefühl zu besitzen. Denn es verstößt zutiefst gegen das Gerechtigkeitsempfinden, wenn Ärzte jedes Jahr knapp 200 Millionen Euro damit verdienen, dass sie Kontrastmittel billig einkaufen können, um es dann zu horrenden Preisen bei Krankenkassen abzurechnen.

Manche Mediziner scheinen das System ohne Unrechtsgefühl auszunutzen, manche sogar behandeln ungeachtet möglicher Nebenwirkungen besonders viele Patienten mit Kontrastmitteln, um den Umsatz zu steigern. Und andere lassen sich verschiedene Rechnungen ausstellen, um bei gesetzlichen und privaten Versicherungen bestmöglich abkassieren zu können. Sie prellen dadurch die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten, die - wenn sie gefragt würde - sicherlich lieber eine bessere Pflegeversicherung mit diesem Geld finanziert wüsste als den Lebensstil von Radiologen, die ohnehin zu den besonders gut verdienenden Freiberuflern zählen.

Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass es um die Solidarität in Solidarsystemen oft schlecht bestellt ist. Gerade deshalb braucht das solidarische Gesundheitssystem - das trotz aller Klagen vor allem von Medizinern eine wirkliche Errungenschaft ist - mehr Schutz. Diesen Schutz müssen die Krankenkassen liefern, die dem Wirtschaftlichkeitsgebot unterliegen und deshalb das Abkassieren mit Kontrastmitteln zu beenden haben.

Verantwortlich ist aber auch der Staat. Der Hinweis von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Kassen müssten es eben richten, ist wohlfeil. Der Minister müsste es vielmehr als seine höchste Pflicht empfinden, den Solidarcharakter des Gesundheitssystems zu bewahren. Das geht nur, wenn er sich in problematische Geschäfte einschaltet.

Das Gesundheitssystem funktioniert glücklicherweise eben nicht nach den Regeln der freien Marktwirtschaft. Der Skandal um die unlauteren Geschäfte mit Kontrastmitteln ist ja nur der letzte Beweis von Missbrauch. Das Gesundheitswesen kennt jede Menge gnadenloser Vorteilsbeschaffer. Da gibt es Pflegedienste, die nicht erbrachte Leistungen abrechnen; da sind Ärzte, die ihren Patienten so viele künstliche Knie und Hüften einsetzen wie sonst nirgends in Europa; da gibt es Pharmafirmen, die Mondpreise für ihre Arzneimittel verlangen so wie die 2,1 Millionen Dollar, die das teuerste Mittel der Welt nun in den USA kostet; und da sind Praxen, die ängstlichen Patienten Selbstzahler-Leistungen aufschwatzen, welche in der Regel aus gutem Grund nicht von den Krankenkassen bezahlt werden.

Mehr Kontrolle über diese Auswüchse ist dringend geboten. Hier wird nicht nur das Geld der Solidargemeinschaft missbraucht und mit der Gesundheit der Patienten gespielt. Letztlich gerät so die Medizin insgesamt in Verruf mit ihren vielen guten Ärzten, die fernab vom Streben nach Gewinnmaximierung ihre Patienten behandeln. Mit jedem dieser Missbrauchsfälle wird das Vertrauen in den Arzt beschädigt. Dies ist ein Preis, den kein Mediziner mit noch so hohen Rechnungen wieder einspielen kann. Vertrauen ist nämlich die wichtigste Grundlage für jede erfolgreiche Behandlung.

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Quelle:
SZ vom 05.08.2019
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