Gesundheit:Bis der Arzt kommt

Die moderne Medizin soll nicht nur ein Reparaturbetrieb sein. Sie soll sich um Menschen kümmern - und dadurch auch Krankheiten verhindern. Deshalb steht der Staat in der Pflicht, den Ärzten Hausbesuche besser zu bezahlen. Viele Patienten sind darauf angewiesen.

Von Michaela Schwinn

Nun wollen sie schon wieder mehr Geld. Das mag sich mancher gedacht haben, als die Kassenärztliche Bundesvereinigung in dieser Woche eine höhere Vergütung für Hausbesuche forderte. Tatsächlich ist es nicht neu, dass Ärzte sich wegen der Budgetierung aufregen, dass sie ständig mehr Geld erwarten, obwohl sie bei Weitem nicht zu den Geringverdienern zählen. Ob ihr Meckern auch immer berechtigt ist, mag deshalb dahingestellt bleiben. Bei den Hausbesuchen aber, da ist ihr Protest berechtigt, ja, er könnte sogar noch lauter, noch vehementer sein.

Denn hier geht es nicht nur um ein paar Euro, um ein wenig Fahrgeld. Es geht um ganz essenzielle Fragen: Was bedeutet Gesundheit? Ist es ein Zustand, der durch Medikamente und Maschinen wiederhergestellt werden muss, wenn ein Patient schon schwer krank ist? Oder ist es ein Zustand, den es zu erhalten gilt durch Vorsorge? Und: Wie sollen die finanziellen Ressourcen verteilt werden, wenn es um Gesundheit geht?

Auch wenn Hausbesuche nur einen kleinen Teil der ärztlichen Tätigkeit ausmachen, auch wenn nur wenige Menschen davon profitieren, so hängen diese Besuche doch maßgeblich mit den großen Fragen des Gesundheitswesens zusammen. Denn was würde passieren, wenn kein Arzt mehr zu alten, bettlägerigen, chronisch kranken Patienten kommt, die keine andere Möglichkeit haben, als zu Hause auf Hilfe zu warten? Manche würden öfter den Rettungsdienst rufen, weil sie nicht wissen, was sie sonst tun sollen. Dann landen sie in übervollen Notaufnahmen oder auf Klinikstationen, obwohl ihnen vielleicht ein Medikament oder ein ärztlicher Rat gereicht hätte. Manche müssten aus der eigenen Wohnung oder dem Haus in ein Pflegeheim ziehen, weil sie medizinisch nicht mehr versorgt werden können. Manche würden vielleicht gar keinen Arzt mehr sehen. Krankheiten würden nicht erkannt und verschleppt werden, am Ende stünde eine längere oder kompliziertere Behandlung - falls diese überhaupt noch hilft.

Das darf nicht passieren. Es wäre fatal für Patienten, Angehörige, aber auch für die Krankenkassen, die auf lange Sicht noch viel mehr für Rettungseinsätze und Therapien ausgeben müssten als jetzt schon. Deswegen darf an dieser Stelle nicht gespart werden, die Vergütung muss aufgestockt werden, und zwar in einem Maße, dass sich die Tätigkeit für Ärzte wieder lohnt. Hier ist auch die Regierung in der Pflicht: Sie arbeitet gerade an einem Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung - die perfekte Gelegenheit also, um das Thema aufzugreifen und für Verbesserungen zu sorgen. Im Moment sind die Besuche eine finanzielle Nullnummer für die Ärzte, nicht weiter verwunderlich ist es daher, dass ihre Zahl Jahr für Jahr sinkt und, dass manche Praxen diese Leistung überhaupt nicht mehr anbieten, dass sie sich schlichtweg verweigern.

Es kann nicht sein, dass momentan häufig Helfer und Helferinnen zu Patienten geschickt werden, weil das für die Praxen billiger kommt. Zwar sind diese Besuche besser als nichts, die Helfer messen den Blutdruck und nehmen Blutproben, niemals aber können sie einen Arzt ersetzen, wenn ein Patient sich verändert, wenn seine Haut sich verfärbt, wenn das Gedächtnis nachlässt. Wenn er dringend ärztliche Hilfe braucht.

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