Karl Lauterbach hat keine Angst vor drastischen Worten, das gilt auch an diesem Mittwoch in Berlin. „Wir haben eine beklagenswerte Situation“, sagt Lauterbach. Die Lebenserwartung in Deutschland sei die schlechteste aller westeuropäischen Länder, und das liege auch an den vielen Todesfällen infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Das ist ein Riesenproblem, das seit Jahren ungelöst ist.“
Um das zu ändern, hat das Bundeskabinett nun Lauterbachs „Gesundes-Herz-Gesetz“ verabschiedet. Damit soll Herzerkrankungen besser vorgebeugt und Risikopatienten sollen früher erkannt werden. Früher heißt: schon im Kindesalter.
350 000 Menschen sterben im Jahr infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Konkret sollen für Kinder und Jugendliche zusätzliche Untersuchungen zur Früherkennung angeboten werden, um Risikofaktoren wie erblich bedingte Fettstoffwechselstörungen früher zu erkennen. Ziel ist es, die Quoten der Teilnahme an der Jugendgesundheitsuntersuchung J1 deutlich zu steigern. Zudem sollen Medikamente wie Lipidsenker bei jungen Patienten viel häufiger als bisher zum Einsatz kommen.
Weiter sollen bestehende Gesundheitsuntersuchungen um spezielle Check-ups für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erweitert werden, und zwar für Patienten im Alter von 25, 40 und 50 Jahren. Medikamente, die die Entwöhnung von Tabak-Konsum erleichtern, sollen leichter verordnet werden können: Sie werden künftig nicht nur bei „schwerer Abhängigkeit“ gegeben und auch öfter als nur alle drei Jahre finanziert. Die Kosten für diese Maßnahmen sollen nach Lauterbachs Vorstellung die Krankenkassen tragen.
Dies sei „eines der wichtigsten“ Gesetzesvorhaben aus seinem Haus, sagte Lauterbach. Bisher werde ein großer Teil der Kinder mit Risikofaktoren übersehen. Das Gesetz solle das ändern. „Weniger Herzinfarkte, weniger Schlaganfälle und weniger Demenzerkrankungen“ seien das Ziel. In Deutschland sterben jährlich etwa 350 000 Menschen an den Folgen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung.
Nützt es wirklich, schon Kindern Lipidsenker zu verschreiben?
Für seine Pläne erntet Lauterbach allerdings viel Kritik. Vor allem die Idee, schon Kindern und Jugendlichen Cholesterin- und Lipidsenker zu verschreiben, stößt auf Widerstand. Das flächendeckende Screening von Kindern und Jugendlichen auf Fettstoffwechselstörungen sei nicht sinnvoll und viel zu teuer, hieß es etwa vom AOK-Bundesverband. Der Nutzen sei „nicht belegbar“. Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen kritisiert fehlende wissenschaftliche Evidenz, beim Verband der Ersatzkassen spricht man von einer „undifferenzierten Aufblähung von Früherkennungsuntersuchungen“.
Skepsis gibt es auch beim eigenen Koalitionspartner: Der grüne Gesundheitspolitiker Johannes Wagner etwa sagte, man werde das Gesetz „im parlamentarischen Verfahren genau prüfen“. Es sei wichtig, evidenzbasierte Politik zu machen: „Der aktuelle wissenschaftliche Forschungsstand muss Grundlage für politische Entscheidungen sein.“ Bei der Auswahl der geeigneten Präventionsmaßnahmen müsse „Sorgfalt vor Schnelligkeit“ gehen.
Nicht nur der wissenschaftliche Ansatz in Lauterbachs Vorsorge-Gesetz ist umstritten – auch die organisatorische Umsetzung. Denn der Minister will auch die Apotheken stärker für die Beratung von Patienten in Bezug auf Prävention und Früherkennung einbinden. Das führt zu massiver Kritik etwa von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: „Medizinische Beratungen gehören eindeutig zur Heilkunde“, heißt es dort, „und diese ist Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.“
Die schlechte Stimmung bei seinen Gesprächspartnern dürfte Lauterbach allerdings wenig beeindrucken. Auch seine anderen Gesetzesvorhaben werden stets hitzig diskutiert – besonders rund um die Krankenhausreform werden im Herbst heftige Kontroversen erwartet.