Gesuchter General:Der unfassbare Mladic

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Der als Kriegsverbrecher gesuchte ehemalige bosnische Serbengeneral ist weiter auf freiem Fuß. Chefanklägerin Carla Del Ponte dementierte Berichte, wonach der seit zehn Jahren flüchtige Ratko Mladic verhaftet worden sei.

Bernhard Küppers

Höchstens Eingeweihte wussten am Mittwoch, wo sich Ratko Mladic aufhält. Beim Haager Tribunal für Kriegsverbrechen war der frühere General jedenfalls nicht angekommen. Die Belgrader Zeitungen befassten sich mit der Aufregung des Vorabends, der Verwirrung über die angebliche Verhaftung des Armeechefs des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic, die von der Regierung dementiert worden war.

Ist wegen Völkermords in Den Haag angeklagt - General Ratko Mladic. (Foto: Foto: AP)

Viele Medien - wie der renommierte Sender B92 - blieben auch am folgenden Tag noch dabei: Der des Völkermords angeklagte General sei nach seiner Verhaftung längst auf dem Weg zum Haager Tribunal. Chefanklägerin Carla Del Ponte konnte indes die Ankunft zunächst nicht bestätigen. Andere Medien berichteten vorsichtiger und sprachen von noch laufenden Verhandlungen über eine Übergabe.

Ungewiss blieb alles in allem, ob zehn Jahre nach der Anklage der Befehlshaber endlich gefasst oder wenigstens "geortet" ist. Laut der ersten Meldung sollte er sogar in Belgrad verhaftet worden sein, nach einer späteren Version auf dem Berg Cer an der serbischen Grenze zu Bosnien feststecken.

Zeitungen wurden am Mittwoch weit stärker gekauft als sonst, aber ansonsten war alles wie immer in Belgrad. Die Zeitung Glas Javnosti, die "Mladic verhaftet" titelte, war schon über Nacht ausverkauft.

Das führende Blatt aber, die Politika, ignorierte dagegen auf der ersten Seite die vermeintliche Sensation. Stattdessen fand der Leser im Blattinnern einen Bericht mit der ironischen Überschrift: "Medien verhaften Ratko Mladic". Boulevardblätter meldeten "schwierige Verhandlungen" mit Mladic.

Die erste Nachricht von der angeblichen Verhaftung war von dem bosnischen Privatsender BN gekommen. Der Sender in Bijeljina hatte dies allerdings nicht zum ersten Mal gemeldet. Nachdem es die Belgrader Agentur Tanjug aber verbreitet hatte, gab es bei den Medien kein Halten mehr - weit über Serbien und Bosnien hinaus.

Ein Berater des serbischen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica hatte am Dienstag Erwartungen auf eine bevorstehende Auslieferung Mladics an das Haager Tribunal befeuert, bevor sich die Medien am Abend zu überschlagen begannen. Das sei eine "Existenzfrage" wegen der sonst gefährdeten Assoziierungsverhandlungen mit der EU.

Vladeta Jankovic, Ex-Botschafter in London, hatte zugleich aber auch verkündet, dass Mladics Auslieferung in der gleichen Weise geschehen sollte wie bei vorangegangene Fällen. In den vergangenen zwei Jahren sind ein Dutzend Angeklagte von der Regierung Kostunica dazu gebracht worden, sich "freiwillig" zu stellen.

Für ihre "patriotische" Entscheidung wurden sie von Kostunica gelobt oder gar von dem serbisch-orthodoxen Patriarchen Pavle empfangen. Das Dementi einer Verhaftung durch Kostunicas Sprecher Srdjan Djuric wurde deshalb in den Redaktionen nicht für bare Münze genommen. Hatte der überdies noch hinzugefügt, dass die "Desinformation" den Bemühungen der Regierung schade, die Zusammenarbeit mit dem Tribunal "zu Ende zu führen".

Die Radikalen unter Vojislav Seseljs, der in Haager Haft auf seinen Prozess wartet, äußerten eine andere Vermutung. Toma Nikolic, Seseljs Stellvertreter an der Spitze der stärksten Partei Serbiens, glaubte zwar auch, dass sich "etwas tut".

Er verdächtigte die Regierung aber einer "virtuellen Verhaftung, um zu sehen, wie das Volk reagiert". Erst danach würde sie "die Lösung des Problems" bekannt geben. Befremdlicherweise wiederholte Nikolic am Mittwoch ohne nähere Begründung auch seine Ansicht, dass Mladic wie auch Karadzic "nicht lebend nach Den Haag" dürften. Früher hatte es von dem Radikalen auch schon direkte Aufforderungen Mladics zum Selbstmord gegeben.

Gemutmaßt wurde am Mittwoch auch, dass Kostunica die Anrufung der Gerichte vor einer Auslieferung Mladics vermeiden wolle. Deshalb werde der General über den bosnischen amerikanischen Stützpunkt "Eagles" bei Tuzla nach Den Haag ausgeflogen, hieß es. So war auch mit dem Belgrader Machthaber Slobodan Milosevic im Jahr nach seinem Sturz verfahren worden.

Aufruhr gegen eine Auslieferung Mladics wurde in der serbischen Hauptstadt von kaum jemand erwartet. Der Augenblick sei sogar "so günstig wie nie", sagte der Minister Rasim Ljajic. Hätten sich bei einer jüngsten Umfrage doch 57 Prozent für seine Auslieferung ausgesprochen. Den Sinneswandel könnte auch ein im vergangenen Jahr gezeigtes Video verursacht haben, das serbische Paramilitärs bei der Exekution gefangener Muslime aus Srebrenica zeigt.

© SZ vom 23.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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