Süddeutsche Zeitung

Gestopptes Projekt Euro Hawk:Drohne mit Fallhöhe

Wer ist verantwortlich für das gescheiterte Projekt Euro Hawk? Verteidigungsministerium und Bundeswehr müssen sich fragen lassen, warum eine halbe Milliarde Euro in die Aufklärungsdrohne gesteckt wurde. Der Grüne Omid Nouripour wittert vor der Wahl gar einen Vertuschungsversuch.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Die Abgeordneten ließen den Staatssekretär erst einmal warten. Es war am Mittwochmorgen, und Stéphane Beemelmans, einer von zwei beamteten Staatssekretären im Verteidigungsministerium, hatte sich zu seinem geplanten Auftritt im Verteidigungsausschuss des Bundestags eingefunden. Doch die Abgeordneten redeten erst einmal ausführlich über Nordkorea und Syrien. Beemelmans musste zuhören. Dann war er dran.

Es war der Tag, nach dem das Verteidigungsministerium hatte verlauten lassen, dass es aus der Beschaffung der Aufklärungsdrohne Euro Hawk aussteigt - mithin aus einem der wichtigsten Rüstungsprojekte der vergangenen Jahre. "Wir ziehen die Reißleine", das war die Botschaft, mit der die Spitze des Hauses am Dienstag versucht hatte, das Desaster zumindest kommunikativ noch einzugrenzen - schließlich vermeide man durch den Stopp weitere Ausgaben von mehreren hundert Millionen Euro. Doch so leicht, das war vorher klar, würden die Abgeordneten der Opposition den Staatssekretär nicht davonkommen lassen - zumal nicht wenige Monate vor der Bundestagswahl.

Zunächst bemühte er sich um Beschwichtigung: Nicht alle Ausgaben seien umsonst gewesen, und die Tests mit dem bereits angeschafften Prototypen des Euro Hawk würden zunächst bis Ende September fortgeführt. Doch damit konnte er die Abgeordneten nicht beruhigen. Auch der stellvertretende Bundeswehr-Generalinspekteur Peter Schelzig hatte keinen leichten Stand, ebenso wenig wie Detlef Selhausen, im Ministerium Leiter der Abteilung Ausrüstung, Nutzung und Informationstechnologie. Doch immer wenn in der angespannten Atmosphäre die Frage nach der Verantwortlichkeit aufkam, wichen die Vertreter des Ministeriums aus.

Die Abgeordneten machten ihrem Ärger daher nach der Ausschusssitzung nochmals ordentlich Luft. "Die haben das Projekt schön weiter vom Parlament finanzieren lassen, ohne uns über die immer größer werdenden Risiken zu informieren", sagte der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels. Sein Parteifreund Rainer Arnold sprach von einem "großen Vertrauensbruch": Seit Ende 2011 sei den Verantwortlichen klar gewesen, welche Schwierigkeiten es bei der Zulassung des Euro Hawk für den europäischen Luftraum gebe.

Das Ministerium begründet den Stopp damit, dass man zusätzlich bis zu 600 Millionen Euro hätte investieren müssen, um den Euro Hawk "zulassungsfähig" zu machen - ohne Gewissheit, dass es dann für die Zulassung reicht. Nach Angaben aus dem Ministerium bestand eines der Probleme bei der Zulassung in unterschiedlichen Standards, die Deutsche und Amerikaner bei der Dokumentation von Testergebnissen anlegen: Für die Zulassung in Deutschland hätten gewisse Informationen gefehlt, die nach amerikanischen Regeln gar nicht dokumentiert werden müssten. Um die Informationen dennoch zu bekommen, hätte die deutsche Seite demnach selbst Tests machen müssen, die dann einen Teil der enormen zusätzlichen Kosten verursacht hätten, die das Ministerium für eine Zulassungsreife veranschlagt.

Bislang wurden allein für die Entwicklung des Euro Hawk mehr als 500 Millionen Euro ausgegeben, hinzu kommen weitere Kosten. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die entwickelte Aufklärungstechnik wohl in einem anderen Fluggerät verwendet werden kann, dieser Teil der Investition also nicht umsonst gewesen sein dürfte, kommt die Opposition auf mehr als 300 Millionen Euro, die in den Sand gesetzt wurden. Nach Rechnung des Ministeriums wurde ein dreistelliger Millionenbetrag klar unterhalb von 300 Millionen umsonst ausgegeben.

"Brauchen zeitnah eine Alternative"

Der Grünen-Verteidigungspolitiker Omid Nouripour nannte noch ganz andere Summen: "Dass die Drohne nicht mehr zum Einsatz kommen wird, wusste die Leitung des Verteidigungsministeriums längst", sagte er. Doch "anstatt rechtzeitig die Reißleine zu ziehen" habe Beemelmans "wissentlich mindestens 650 Millionen Euro Steuergelder verschwendet". Es stelle sich die Frage, "ob dieses Fiasko nicht bis nach der Wahl vertuscht werden sollte", so Nouripour. "Und es stellt sich die Frage, wer für diese immense Vergeudung von Steuermitteln nun die Verantwortung übernimmt." Der Linken-Verteidigungsfachmann Paul Schäfer schloss sich ihm an: Parlament und Öffentlichkeit seien "hinters Licht geführt worden".

Ausnahmsweise herrschte einmal Einigkeit über (fast) alle Fraktionsgrenzen hinweg: Elke Hoff, Verteidigungsexpertin der FDP-Fraktion, fragte in der Sitzung hartnäckig, wer das Desaster denn nun zu verantworten habe. Als man ihr diese Frage ebenso hartnäckig nicht beantwortete und dann noch zur Auskunft gab, es werde "bis Ende des Jahres" eine Alternative geben, also ein Fluggerät, auf das man die einmal entwickelte Aufklärungstechnik montieren könne, reichte es ihr endgültig. Nach dem Ausschuss sagte sie: "Wir brauchen jetzt zeitnah eine Alternative und nicht erst Ende des Jahres." Man könne doch nicht "aus einer über Jahre hinweg für wichtig erachteten Fähigkeit aussteigen, ohne eine Alternative vorzulegen".

Was die Abgeordneten neben vielen weiteren Details erzürnt: In einem am Mittwoch vergangener Woche vorgelegten Bericht des Ministeriums zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr sind die Euro Hawks noch unter "Strukturrelevante Hauptwaffensysteme der Streitkräfte" aufgeführt. Staatssekretär Beemelmans wiederum gab im Ausschuss an, die Entscheidung zum Stopp der Beschaffung sei am Freitag vergangener Woche gefallen - also zwei Tage, nachdem der Bericht im Bundeskabinett war. In der nächsten Sitzung des Ausschusses soll nun Minister Thomas de Maizière (CDU) den Abgeordneten Rede und Antwort stehen.

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SZ vom 16.05.2013
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