Gespräch mit Linke-Chef Bernd Riexinger:"Ich war nie ein Zögling von Lafontaine"

Ein linker Bankkaufmann? Ein Pfadfinder? Ein Ford-Fahrer und Selber-Kocher? Ja, so ein Mann ist der neue Chef der Linken. Das hat Bernd Riexinger wohl selbst am meisten überrascht. Nach Porsche-Klaus führt jetzt also Fiesta-Bernd die Partei. Ein Gespräch über eine langhaarige Jugend in der Bausparkasse, die Grenzen des Pazifismus und sein wahres Verhältnis zu Oskar Lafontaine.

Daniel Brössler und Thorsten Denkler

Die Wahl zum Parteichef der Linken hat das Leben von Bernd Riexinger ordentlich durcheinandergerüttelt. Vor drei Wochen wusste er noch nichts von seinem Glück, am Mittwoch saß er bereits mit Merkel im Bundeskanzleramt, um über den Fiskalpakt zu verhandeln. Noch sucht er eine Wohnung in Berlin. Ost oder West ist ihm egal, Hauptsache nahe am Karl-Liebknecht-Haus, damit er mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen kann.

Bernd Riexinger, Linke

Der neue Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger.

(Foto: dpa)

Riexinger ist da ganz schwäbischer Pragmatiker. Auch ums Büro gab es keinen Streit. Er erbte das Zimmer von Gesine Lötzsch, Schreibtisch aus Kirschbaumfurnier, schwarze Lederbestuhlung.

SZ.de: Herr Riexinger, was für ein Auto fahren Sie?

Bernd Riexinger: Privat? Einen Ford Fiesta.

SZ.de: Nach Porsche-Klaus führt jetzt also Fiesta-Bernd die Partei. Sie treten bescheiden auf. Hilft das der Partei?

Riexinger: Ich hoffe doch.

SZ.de: Schon mal Hummer gegessen?

Riexinger: Einmal, glaube ich. Hummer gehört nicht zu meinen alltäglichen Speisen. Ich koche lieber selbst für Freunde, als dass ich in ein Restaurant gehe.

SZ.de: Sie haben nach Hauptschule und Handelsschule eine Lehre zum Bankkaufmann gemacht. In einer Bausparkasse. Nicht gerade der Hort der Weltrevolution. Wie konnte aus Ihnen nur ein Linker werden?

Riexinger: Ja, ich war jung. (lacht) Die Banklehre war mehr die Idee meiner Eltern. Wir waren ein klassischer Arbeiterhaushalt, mein Vater hat SPD gewählt. Ich habe mich immer als Linken gesehen. Auch geprägt durch gute Lehrer, die in der Studentenbewegung aktiv waren. Damals war alles hochpolitisch. Ich war Schülersprecher und bin dann in der Ausbildung schnell Jugendvertreter meines Jahrgangs geworden.

SZ.de: In die SPD sind Sie nie eingetreten. Warum nicht?

Riexinger: Die SPD war mir damals schon nicht links genug. Ich war immer ein demokratischer Sozialist, habe aber nie eine Partei gefunden, die zu mir gepasst hätte. Ich fühlte mich auch nie als Avantgarde der Arbeiterklasse wie vielleicht ein Jürgen Trittin oder Joschka Fischer. Ich hatte immer eine gewisse Distanz zu Apparaten.

SZ.de: Und dann machen Sie als Gewerkschafter Karriere bis hin zum Chef des Verdi-Bezirks Stuttgart?

Riexinger: Ich habe lange gezögert, als ich angesprochen wurde, in die Landesleitung der damaligen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen zu gehen. Da waren aber ausnahmslos Leute aus der undogmatischen Linken aktiv. Das passte.

SZ.de: Nie gezweifelt, noch auf dem richtigen Weg zu sein?

Riexinger: Nein. Ich bin heute erfahrener, weiß mehr, bin realistischer. Aber in meinen politischen Anschauungen habe ich mich nie verändert.

"Keine Regierung hat das Recht, auf ihr Volk zu schießen"

SZ.de: Eine grundsätzliche Frage: Sind Sie Pazifist?

Riexinger: Ich habe den Kriegsdienst verweigert, weil ich mich als Pazifist sehe. Daran hat sich nichts geändert.

SZ.de: Sind Sie eigentlich wie Frau Kipping der Meinung, Herr Gauck sei ein Kriegstreiber?

Riexinger: Die Linke hat einen klaren Standpunkt: Wir sind gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Krieg ist keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Herr Gauck sieht das anders. Es war also richtig, ihn nicht zu wählen. Eine Friedenspartei kann niemanden unterstützen, der Kriege für richtig hält.

SZ.de: Sie würden also nie anderen Menschen mit der Waffe zur Hilfe kommen?

Riexinger: Ich kann mich nicht entsinnen, dass in den vergangenen Jahrzehnten irgendwo auf der Welt ein Konflikt mit Waffen befriedet wurde.

SZ.de: War es also falsch, dass die Vietnamesen gesagt haben, wir lassen Pol Pot nicht weiter morden? War es falsch, dass die USA in den Zweiten Weltkrieg eingegriffen haben?

Riexinger: Es ist schwer, mit derartigen historischen Vergleichen Antworten auf aktuelle Fragen zu geben.

SZ.de: Es ist schwer zu sagen, ob die USA sich besser herausgehalten hätten?

Riexinger: Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg einen brutalen Angriffskrieg geführt. Ich glaube nicht, dass man die Befreiung von der Naziherrschaft ernsthaft mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vergleichen kann.

SZ.de: Hätten Sie Geld an die Sandinisten in Nicaragua gespendet?

Riexinger: Da haben Menschen für ihre Freiheit unter den Bedingungen einer Diktatur gekämpft. Ich weiß nicht, was ich unter diesen Bedingungen getan hätte.

SZ.de: Dann sind Sie also doch kein Pazifist.

Riexinger: Ich lebe im Jahr 2012 in Deutschland, und ich lehne Krieg als Mittel der Politik ab.

SZ.de: Hätten Sie als Sandinist um ausländische Hilfe gebeten?

Riexinger: Das haben die südamerikanischen Freiheitsbewegungen auch nie gemacht.

SZ.de: Die Libyer, die Syrer, die wollten und wollen Hilfe.

Riexinger: Wer genau hinschaut, sieht, wie komplex die Interessenlagen sind. Richtig ist: Keine Regierung hat das Recht, auf ihr Volk zu schießen.

SZ.de: Bis zur Gründung der WASG hatten Sie keine parteipolitische Bindung. Wie standen Sie zur Figur Oskar Lafontaine?

Riexinger: Er war schon immer ein imponierender Politiker, auch wenn ich früher in manchen Fragen andere Auffassungen hatte.

Klimatische Probleme

SZ.de: Sind Sie heute ein Freund von Lafontaine?

Riexinger: Ein politischer Freund, ja. Aber ich bin kein Zögling von ihm, wie ich immer wieder in der Presse lese. Ich habe ihn kennengelernt, als wir die WASG gegründet haben. Erst war ich kritisch eingestellt. Ich musste die Haltung dann aber revidieren. Das ist schon klasse, was der Mann kann. Seitdem haben wir vielleicht zehnmal intensiver miteinander gesprochen.

SZ.de: Sie wirken wie ein Gegenmodell zu Klaus Ernst. Weniger laut, weniger aufbrausend. So wie bei Westerwelle und Rösler von der FDP. Haben Sie keine Sorge, dass Sie in die Rösler-Rolle hineinrutschen könnten: sehr nett, aber völlig erfolglos?

Riexinger: (schmunzelt) Mit dem Herrn Rösler möchte ich nicht in Verbindung gebracht werden. Ich stehe im Übrigen genauso wie Klaus Ernst und viele andere für eine kämpferische linke Partei.

SZ.de: Gekämpft worden ist in der jüngsten Zeit vor allem innerhalb der Linken. Die Gefahr der Spaltung steht im Raum. Gregor Gysi spricht von Hass, den es in der Bundestagsfraktion gebe. Wie tief sind die Gräben?

Riexinger: Ich sehe mehr und mehr meine These vom Parteitag bestätigt. Wir haben zu 80 Prozent inhaltliche Übereinstimmung. Das betrifft die Kernpunkte unserer Partei. Mit denen können wir Politik machen. Bei den restlichen 20 Prozent geht es zum Teil um klimatische Probleme. Wir müssen als Parteiführung dafür sorgen, dass sich eine andere Diskussionskultur entwickelt.

SZ.de: Vor einigen Jahren kursierte ein Brief, in dem Sie Ihrem Parteitags-Kontrahenten Dietmar Bartsch die charakterliche Eignung zu höheren Ämtern abgesprochen haben. Waren Sie damit Teil der klimatischen Probleme?

Riexinger: Das war erstens nicht mein persönlicher Brief, sondern einer des Landesverbands, dessen Sprecher ich war. Zweitens war er nicht für die Öffentlichkeit gedacht.

SZ.de: Sie haben ihn unterschrieben.

Riexinger: Heute würde ich vielleicht anders vorgehen. Das habe ich auch Dietmar Bartsch gesagt. Damit ist die Sache erledigt.

SZ.de: Haben Sie keine Sorge, dass Sie die 20 Prozent Streitthemen zukleistern, wenn Sie sich auf die 80 Prozent Übereinstimmung konzentrieren?

Riexinger: Damit das klar ist: Wir legen da keinen Zuckerguss drüber. Wir machen Angebote an die Partei, was den Umgang miteinander, die Kommunikation, als auch die Inhalte angeht. Wir sind eine pluralistische Partei mit verschiedenen Strömungen. Die Parteibasis will, dass wir schnell zur Politik zurückkehren.

SZ.de: Bei allem Pluralismus: Die Partei scheint an den Grenzen ihrer Integrationsfähigkeit angelangt zu sein.

Riexinger: Unserem Grundsatzprogramm haben über 95 Prozent der Delegierten zugestimmt. Es gibt da einen großen Konsens.

SZ.de: Dann fehlen nur noch die Wähler. Sie fliegen aus wichtigen Landtagen, büßen selbst im Osten erheblich an Stimmen ein. Ist die Linke irrelevant geworden?

Riexinger: Mindestlohn, Rente mit 67, Hartz IV, in diesen Kernfeldern haben wir die Mehrheit der Menschen hinter uns.

SZ.de: Die finden vielleicht die Positionen gut, aber nicht Ihre Partei.

Riexinger: Wir werden zeigen müssen, dass wir Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, also für Arbeitnehmer, Arbeitslose, Geringverdiener, Rentner und ihre Familien.

"Wir müssen für Wirtschaftswachstum sorgen"

SZ.de: Viele Themen haben andere Parteien übernommen, doch davon können Sie sich nichts kaufen. Entscheidend ist doch, ob Sie die Kraft haben, Ihre Forderungen umzusetzen. Das geht nur wenn Sie regieren. Was Sie nicht wollen.

Riexinger: SPD und Grüne erwecken nur den Eindruck, als wären sie sozialer geworden. Wir sind das Original.

SZ.de: Dafür haben SPD und Grüne Regierungsoptionen.

Riexinger: Das sehe ich noch nicht. Es liegt im Übrigen ja auch nicht an uns, wenn rot-rote Regierungen in den Ländern nicht zustande kamen. In Thüringen, im Saarland oder in Mecklenburg-Vorpommern ist ein ums andere Mal die SPD lieber unter die Decke der CDU geschlüpft.

SZ.de: Wie kommt es dann, dass die Linke in der Öffentlichkeit weder den Eindruck von Regierungsfähigkeit noch von Regierungswillen erweckt?

Riexinger: Parteien erreichen doch nicht nur in der Regierung etwas. Die Grünen haben mehr für den Umweltschutz getan, als sie nicht in der Regierung waren. Es wird darauf ankommen, die Linke als eigenständige Partei zu stärken und die Themen setzen. Und dann werden wir sehen, ob es Regierungsmöglichkeiten gibt.

SZ.de: Wie erklären Sie sich, dass große Teile der Bevölkerung in der Finanzkrise eher der Kanzlerin als Ihren Rezepten vertrauen?

Riexinger: Das werden wir sehen. SPD und Grüne werden für den Fiskalpakt stimmen - das war ja vorauszusehen ...

SZ.de: ... genauso wie Ihr Nein.

Riexinger: Richtig, weil die bisherigen Strategien der Bundesregierung die Krise verschärfen. Die Menschen werden erkennen, dass sie für Rettungspakete bezahlen sollen, die Banken sanieren, aber Sozialabbau in ungeahntem Ausmaß zur Folge haben. Nach diesen Rettungspaketen geht es den einfachen Menschen in Griechenland noch schlechter.

SZ.de: Sie waren ja jetzt im Kanzleramt. Nehmen wir an, Sie wären Kanzler. Wie würden Sie die Euro-Krise stoppen?

Riexinger: Wir würden dafür sorgen, dass die Europäische Zentralbank direkt Kredite an die notleidenden Staaten gibt. Es ist ja nicht erklärbar, dass das Geld günstig an Banken gegeben wird, die es dann teuer weiterverleihen, um ihre Gewinne in die Höhe zu treiben.

SZ.de: Wenn Sonntag in Griechenland die radikalen Linken gewinnen und alle Absprachen aufkündigen, werden Sie wahrscheinlich jubeln. Aber wie erklären Sie den deutschen Steuerzahlern, dass die jetzt für Hunderte Milliarden Euro haften sollen, weil die Griechen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen?

Riexinger: Deutschland hat sich jahrelang mit Lohndumping Exportvorteile in Europa geschaffen. Wie sollen Waren aus Deutschland im Ausland gekauft werden, wenn Griechen, Spanier oder Italiener kein Geld mehr in der Tasche haben? Wir können kein Wirtschaftswachstum auf Kosten anderer Staaten haben. Das ist eine komplexe Frage.

Die Griechen können diese Zwangsjacke der EU nicht akzeptieren, wenn sie ihre Wirtschaft nicht völlig zerstören wollen. Man kann doch dort nicht die Löhne, die Renten extrem kürzen, und meinen, das würde dem Land helfen, aus der Krise zu kommen. Wie soll das gehen?

SZ.de: Die Frage müssten Sie jetzt beantworten.

Riexinger: Wir müssen für Wirtschaftswachstum sorgen, Investitionshilfen geben. Anders wird es nicht funktionieren. Wir müssen ebenso die Einnahmen der Staaten verbessern, das heißt, Vermögende müssen höher besteuert und mit einer Millionärsabgabe herangezogen werden. Wir brauchen definitiv in Europa eine abgestimmte Sozialpolitik und eine gerechtere Verteilungspolitik. Das sagen inzwischen nicht nur Linke. Eine andere Politik ist eine Frage der Vernunft.

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