Gespräch mit Gesine Schwan:"Ich bin ein Magnet"

Sie will Bundespräsidentin werden und plädiert für Volksabstimmungen in Sachen EU: Gesine Schwan. Die SPD-Kandidatin über ihre Chancen und unappetitlichen Wahlkampf.

B. Kruse und H.-J. Jakobs

Gesine Schwan hat ein Ziel: Im Mai will sie von der Bundesversammlung zur Bundespräsidentin gewählt werden. Wie bei ihrer ersten Kandidatur 2004 stehen die Chancen eher schlecht. Doch davon will sie nichts wissen: "Meine Chancen sind nach wie vor gut, von der Bundesversammlung gewählt zu werden", sagt sie im Interview.

Gespräch mit Gesine Schwan: Gesine Schwan: "Die Bundestagsabgeordneten laden mich nicht zuletzt ein, weil sie wissen, dass sie volle Häuser kriegen. Ich bin da ein Magnet, ein positives Symbol."

Gesine Schwan: "Die Bundestagsabgeordneten laden mich nicht zuletzt ein, weil sie wissen, dass sie volle Häuser kriegen. Ich bin da ein Magnet, ein positives Symbol."

(Foto: Foto: AP)

Außerdem spricht sie offen über Partizipation in der Politik, über die missglückte Personalpolitik in der CSU und über unappetitliche Erlebnisse während ihres Wahlkampfes.

Gesine Schwan wurde 1943 in Berlin geboren. Sie studierte Romanistik, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft in Berlin und Freiburg/Breisgau und schrieb ihrer Dissertation über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski. Von Oktober 1999 bis September 2008 war sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sei 1972 ist Gesine Schwan in der SPD; sie war unter anderem an der Gründung des Seeheimer Kreises beteiligt.

Gesine Schwan ist in zweiter Ehe mit Peter Eigen verheiratet. Der Jurist war als Direktor der Weltbank für Ostafrika zuständig und gründete die Nichtregierungsorganisation Transparency International, die sich weltweit gegen Korruption engagiert.

sueddeutsche.de: Frau Schwan, vor 40 Jahren gab es in Deutschland schon einmal eine große Koalition - und bei der Wahl des Bundespräsidenten gewann der SPD-Kandidat, ehe dann Monate später die Sozialdemokraten den Kanzler stellten. Sind das die Verhältnisse, von denen Sie heute träumen?

Gesine Schwan: Nein, gar nicht. Es gibt keine Analogie zu 1969. Damals gab es eine lange Vorbereitungsphase für eine sozialliberale Politik, beispielsweise in der Ostpolitik. Jetzt ist die Situation ganz anders. Eine rot-rot-grüne Koalition, an die man heute denken würde, ist im Bund völlig unmöglich. Das würde sowohl die SPD als auch die Linke zerreißen.

sueddeutsche.de: Damals ging es bei der Wahl des Bundespräsidenten Gustav Heinemann um ein "Stück Machtwechsel". Das liegt nun, wie Sie selbst sagen, nicht in der Luft. Woher nehmen Sie dann als SPD-Kandidatin den Optimismus, bei der Wahl Erfolg zu haben?

Schwan: Ich sehe die Wahl des Bundespräsidenten nicht als Testlauf für die Bundestagswahl im Herbst. Es geht hier nicht darum, dass ein politisches Lager die Macht übernimmt - auch wenn es zwischen mir und Horst Köhler gewaltige Unterschiede gibt. Ich stehe für eine Politik, die Parteigrenzen übergreifend Anhänger findet.

sueddeutsche.de: Dennoch wählt die Bundesversammlung - und die Mehrheitsverhältnisse dort sprechen derzeit für eine Wiederwahl von Köhler. Warum laufen Sie sehenden Auges in eine zweite Wahlniederlage nach 2004?

Schwan: Es gibt in der Bundesversammlung keine Mehrheiten im klassischen parteipolitischen Sinne. Schwarz-Gelb kommt zusammen auf 606 Stimmen - das ist keine absolute Mehrheit. Und in allen bisherigen Wahlen hat es nie eine Übereinstimmung zwischen der Fraktionsstärke und den für einen Kandidaten abgegebenen Wählerstimmen gegeben. Ob es diesmal wirklich zu einem schwarz-gelben Bündnis kommt, ist zweifelhaft. Das letzte Mal hat es ja auch schon nicht geklappt.

sueddeutsche.de: Dennoch: Die Gewichte haben sich - nicht zuletzt nach den letzten Landtagswahlen - zu ungunsten der SPD verschoben. Auch die Freien Wähler wollen für Köhler stimmen.

Schwan: Warten wir es ab. Meine Eindruck ist: Meine Chancen sind nach wie vor gut, von der Bundesversammlung gewählt zu werden.

sueddeutsche.de: Man kann aber nicht bestreiten, dass die Wahlmänner und Wahlfrauen nach parteipolitischen Präferenzen ausgesucht werden.

Schwan: Es muss doch einfach von Vorteil sein, wenn es sich eine Kandidatin zur Aufgabe macht, über Parteigrenzen hinweg eine Brücke zwischen Gesellschaft und der Politik zu schlagen.

sueddeutsche.de: Das würde Horst Köhler auch so sagen. Ihr Programm sieht vor, den Menschen wieder Politik näher zu bringen - ist das im Sinne von Willy Brandts "mehr Demokratie wagen" gemeint?

Schwan: Keine Frage, es gibt demokratische Defizite. Erkennbar ist die Politikverdrossenheit in der Gesellschaft an der rückläufigen Wahlbeteiligung und am Vertrauensverlust in demokratische Institutionen. Zur Zeit von Willy Brandt ging es um die Demokratisierung gesellschaftlicher Teilbereiche, beispielsweise der Wirtschaft. Das ist auch heute wichtig. Ich bin beispielsweise eine große Anhängerin von Mitbestimmung. Die entscheidende Neuerung ist, dass die organisierte Zivilgesellschaft mehr Verantwortung bekommen muss. Demokratie wird künftig auf weitere Akteure bauen müssen.

sueddeutsche.de: Das hört sich gut an, aber wie soll das Politik werden? Mehr als ein Plädoyer an den Bürger und Gespräche bleibt Ihnen doch nicht.

Schwan: Das ist doch nicht wenig. Kommunikation ist in der Gesellschaft ein Schlüssel für Erfolg - ebenso wie Moderation und Mediation. Das führt letztlich auch zu mehr Integration des Fremden. Deshalb ist für mich die politische Arbeit an der Basis entscheidend. In den Versammlungen erlebe ich so viele Menschen, die darauf warten, dass man sie zur aktiven Zivilgesellschaft ermutigt.

sueddeutsche.de: Wollen Sie das Internet stärker für den Dialog mit den Bürgern nutzen?

Schwan: Klar, Internet ist mir sehr wichtig. Das können Sie an meiner Webseite www.gesine-schwan.de erkennen. Man muss klar sehen, dass die Jugend nicht mehr die traditionellen Medien nutzt. Ich kann mir auch einen Chat mit der Bundespräsidentin vorstellen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, was Gesine Schwan zu einer Volksabstimmung zum Lissabon-Vertrag sagt und wie sie über die Personalpolitik der CSU denkt.

"Ich bin ein Magnet"

sueddeutsche.de: Das hört sich an, als müsste das Amt des Bundespräsidenten, wie es derzeit verstanden wird, mit Ihrer Wahl erst einmal ordentlich entstaubt werden.

Gespräch mit Gesine Schwan: "Es kommt darauf an, den Sinn für politische Verantwortung zu wecken und zugleich durch eine bunte politische Praxis zu stärken."

"Es kommt darauf an, den Sinn für politische Verantwortung zu wecken und zugleich durch eine bunte politische Praxis zu stärken."

(Foto: Foto: Reuters)

Schwan: Ich stelle mir vor, dass es den modernen Erwartungen einer Gesellschaft entgegenkommen muss. Ein wichtiges Thema für mich ist es, partnerschaftliche Familien zu ermöglichen. Unser Leben ist für Frauen zwischen 29 und 49 eine einzige Rushhour, in der es darum geht, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Ab dem 50. Lebensjahr zählt man zum alten Eisen, obwohl man aufgrund seiner Lebenserfahrung der Gesellschaft viel zu bieten hat.

sueddeutsche.de: Zur Demokratie gehört Partizipation. Soll das Volk den Bundespräsidenten direkt wählen?

Schwan: Nein, den Präsidenten nicht. Das würde zur faktischen Unterminierung des Amtes führen.

sueddeutsche.de: Was empfehlen Sie?

Schwan: Volksentscheide oder auch Volksbefragungen. Wenn sie richtig dosiert sind, können sie die öffentliche Meinung mobilisieren. Besonders virulent ist die Frage in Europa.

sueddeutsche.de: In Frankreich und in den Niederlanden haben die Bürger bei der Wahl die EU-Verfassung abgelehnt. Wollen Sie das riskieren?

Schwan: Man kann daraus nicht folgern, lieber keine Volksabstimmungen durchzuführen. Der Vorteil ist doch, dass durch einen solchen Schritt eine intensive Willensbildung stattfindet. Ein gutes Beispiel dafür ist Polen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Erneuerung in Europa mit einer Volksabstimmung eher möglich ist, als wenn man sie mit einem Parlamentsbeschluss sicher unter Dach und Fach bringt.

sueddeutsche.de: Dann würde also das Volk und nicht das Bundesverfassungsgericht über den Lissabon-Vertrag entscheiden?

Schwan: Ganz grundsätzlich und in die Zukunft gerichtet meine ich: Wir brauchen eine erneuerte Legitimationsdiskussion für die Europäische Union. Wir haben wichtige Kräfte, die auseinanderdriften - nicht nur auf der Linken, sondern auch auf der Rechten.

sueddeutsche.de: Leidet Deutschland eher unter Politik- oder unter Politiker-Verdrossenheit?

Schwan: Wir haben insgesamt in der Gesellschaft eine Erosion von Verantwortungsbereitschaft. Es kommt darauf an, den Sinn für politische Verantwortung zu wecken und zugleich durch eine bunte politische Praxis zu stärken.

sueddeutsche.de: So bunt wie in Bayern und bei der CSU? Da darf ein Bundeswirtschaftsminister zunächst nicht zurücktreten, um dann für ein paar Monate von einem Nachwuchstalent ersetzt zu werden. Ist das ein Vorbild?

Schwan: Eigentlich äußere ich mich nicht zu einzelnen Parteien und Vorgängen. Aber grundsätzlich ist es natürlich schon sehr schwierig, wenn man merkt, dass da Prozesse ablaufen, die sich nicht am Gemeinwohl orientieren. Es läge dann entweder an der Partei zu zeigen, dass hinter einer Entscheidung doch ein tiefes Verständnis für die Allgemeinheit steht - oder man muss in Kauf nehmen, dass ein solches Verhalten von den Bürgern nicht gut angenommen wird.

sueddeutsche.de: Sie haben einen geradezu idealistischen Politikansatz. Den etablierten Parteien geht es aber einfach nur darum, die Themen des Tages zu bestimmen - gerne auch über die Medien.

Schwan: Das kann man auch anders sehen. Die Politik versucht, Dinge zu regeln - ist aber gleichzeitig Beute der Medien. Es handelt sich offenbar um ein Wechselspiel, das ist nicht immer funktional ist für die Demokratie.

Lesen Sie auf der letzten Seite, welche unappetitlichen Erfahrungen Gesine Schwan während ihrer Kandidatur gemacht hat und wie die SPD-Basis auf sie reagiert.

"Ich bin ein Magnet"

Gespräch mit Gesine Schwan: "Es gibt die Tendenz, mich persönlich unsympathisch zu machen. Das ist unter der Gürtellinie."

"Es gibt die Tendenz, mich persönlich unsympathisch zu machen. Das ist unter der Gürtellinie."

(Foto: Foto: Getty Images)

sueddeutsche.de: Welche Erfahrungen haben Sie während Ihrer Kandidatur gemacht?

Schwan: Das war bisher nicht immer ein Zuckerschlecken. 2004 war ich noch niemandem gefährlich und wurde von allen positiv aufgenommen - jetzt ist das anders. Die Chance, dass ich gewinne, ist da. Für manche ist es eine Machtfrage, wer Bundespräsident wird. Das heißt, dass ich mich Kontroversen stellen muss und die sind von Seiten der Politik und mancher Medien nicht immer appetitlich. Aber ich weiß: Konflikte lösen sich nicht, indem man Everybody's Darling ist.

sueddeutsche.de: Was ist "unappetitlich"?

Schwan: Es gibt die Tendenz, mich persönlich unsympathisch zu machen. Das ist unter der Gürtellinie. Einem Mann würde man nicht so ohne weiteres Attribute wie "machtgeil", "ehrgeizig" oder "geltungssüchtig" anheften. Aber bei einer Frau ist das wohl anders.

sueddeutsche.de: Auch in der SPD, Ihrer Partei, wird die Kandidatur kontrovers diskutiert.

Schwan: Ich kann Ihnen für die Parteiführung sagen, dass ich da eine klare Unterstützung habe. Für die SPD-Führung ist es wichtig und legitim, nach den Folgen zu fragen, wenn ich verliere. Was ist am Ende wichtiger: Die Sorge um eine verlorene Wahl oder die Möglichkeit, Position in der Öffentlichkeit zu beziehen?

sueddeutsche.de: Wie ist die Stimmung an der Parteibasis?

Schwan: Hier kann ich mich vor Einladungen kaum retten. Die Bundestagsabgeordneten laden mich nicht zuletzt ein, weil sie wissen, dass sie volle Häuser kriegen. Ich bin da ein Magnet, ein positives Symbol.

sueddeutsche.de. Mehr als 70 Prozent der Wähler sind mit der Amtsführung von Host Köhler zufrieden. Braucht es da wirklich einen Wechsel?

Schwan: Im Grundgesetz ist eine Wahl vorgesehen. Eine Wahl profitiert davon, dass eine Alternative besteht. Und deswegen ist meine Kandidatur auf jeden Fall gut.

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