Gesetzlich garantierte Krippenplätze:Die Furcht der Kommunen vor den Eltern

Kommunalpolitiker blicken dem August 2013 mit Sorge entgegen: Ab dann soll der Rechtsanspruch auf Krippenplätze gelten. Das könnte eine Klagewelle von ungeahntem Ausmaß hervorrufen. Schon jetzt bereiten viele Städte und Gemeinden Notfallpläne vor.

Ulrike Heidenreich

Betreuungsplätze in Deutschland

Grafik: Für so viele Kinder gibt es Betreuungsplätze in Deutschland.

(Foto: Süddeutsche Zeitung)

Der 1. August 2013 ist ein Datum, dem die Politiker in Städten und Gemeinden mit Bangen entgegensehen - und es ist ein Termin, auf den sich Anwälte ganz offensichtlich freuen. Dürfen sie sich doch allerlei neue Mandate erhoffen, wenn der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kleinkinder gilt. In Juristenforen kursieren detaillierte Abhandlungen zur prozessualen Durchsetzung der Ansprüche von klagenden Eltern. Und beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert man "Notfallpläne" für Städte, die am 1. August nicht ausreichend Krippenplätze für Kinder zwischen dem ersten und dritten Geburtstag vorweisen können. Einen "pauschalisierten Schadenersatzanspruch" bringt DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg ins Gespräch - aus Sorge vor der vielbeschworenen Klagewelle. Doch wie sieht diese Welle überhaupt aus?

Es war ein großes Versprechen, als die damalige große Koalition im Jahr 2007 festlegte, dass von 2013 an der Rechtsanspruch gelte. Die angestrebte durchschnittliche Betreuungsquote liegt bei 39 Prozent: 51 im Osten und 37 Prozent im Westen. Wer also sein Kind in einer Krippe betreuen lassen möchte, aber keinen Platz bekommt, kann klagen. Auch wenn die Kommune es nicht schafft, den Anspruch über die Vermittlung an Tagesmütter zu erfüllen, können Eltern bei einem Verwaltungsgericht eine Leistungsklage einreichen.

Bereits jetzt informieren sich Eltern in den sozialen Netzwerken darüber, was sie mit einer Klage überhaupt erreichen könnten. Natürlich kann man auf Glatzen keine Locken drehen, sprich: Wo kein Krippenplatz ist, hilft auch keine Klage. Ein Verwaltungsgericht könnte aber eine Kommune anhalten, die Bildung größerer Krippengruppen zu prüfen oder räumliche Auflagen zu lockern, um mehr Plätze für Kleinkinder zu organisieren. Passiert dann auch nichts, wäre der nächste Schritt für Eltern, auf Schadenersatz zu klagen. Hier könnte zum Beispiel ein Verdienstausfall geltend gemacht werden. Eine andere, für Juristen realistische Möglichkeit wäre es weiter, selbst nach Kinderfrauen und Betreuungsinitiativen zu suchen und jene Mehrkosten geltend zu machen, die entstehen, weil dieses private Modell teurer als der von der Kommune angesetzte Krippenplatz wäre. Hier müssten die Richter dann jeden Fall einzeln betrachten und nachrechnen.

Es mangelt nicht nur an Plätzen

Angesichts der aktuellen Zahlen, dass 220.000 Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren fehlen werden, wäre das ein unvorstellbares Unterfangen. Damit "endlose Rechtsstreitigkeiten, Konflikte und Frustrationen" vermieden werden können, so Gerd Landsberg, sucht man beim DStGB nun nach unbürokratischen Modellen, um die nicht abschätzbare Klagewelle einzudämmen. Um die Höhe seines vorgeschlagenen "pauschalisierten Schadenersatzanspruches" auszuloten, probt Landsberg eine Rechnung mit vielen Unbekannten, immer abhängig von den Kostenunterschieden in den Regionen und der individuellen Betreuungsdauer der Kinder: Setze man beispielhaft fiktive 200 Euro für einen Krippenplatz an, und addiere die später geplanten 150 Euro Betreuungsgeld hinzu, habe man schon eine Basis von 350 Euro. Engagierten die klagenden Eltern eine Tagesmutter für 550 Euro pro Monat, bliebe eine Lücke von 200 Euro. "Eine überschaubare Pauschale, die eine Kommune einige Zeit übernehmen könnte, bis neue Krippenplätze geschaffen sind", so Landsberg.

Und es mangelt ja nicht nur an Plätzen: Nach Berechnungen des Familienministeriums fehlen 14.000 Erzieherinnen und 20.000 Tagesmütter, um den Anspruch zu gewährleisten. Beim Deutschen Jugendinstitut kommt man auf 20.000 fehlende Erzieher, eine Studie der Bertelsmann-Stiftung nennt gar die Zahl von 42.000 Erzieherinnen, die von 2013 an da sein müssten.

Es sind vor allem die Kommunalpolitiker der größeren Städte, die immer wieder eine Verschiebung des Rechtsanspruchs gefordert haben: der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer etwa, der eine Übergangsregelung will, um "nicht in Tausende von Rechtsprozessen zu stürzen". Oder Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD), der den Rechtsanspruch als ein "Versprechen, das der Staat nicht halten kann", bezeichnet. Auch Kölns Stadtchef Jürgen Roters warnt vor der "Gefahr, dass Eltern die Stadt verklagen".

Gerne vergleichen Koalitionspolitiker die Situation mit 1996, als der Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze problemlos eingeführt worden sei. Diese Garantie für Kinder, die das dritte Lebensjahr vollendet haben, wurde jedoch einige Wochen vor Inkrafttreten mit einer Übergangsregelung geschwächt, weil er nicht zu verwirklichen war. Erst seit 1999 gilt dieser Rechtsanspruch uneingeschränkt. Dass sich damals keine Klagewelle erhob, erklärt DStGB-Chef Landsberg so: "Die Anspruchsmentalität und die Erwartungshaltung von Eltern und Wirtschaft haben sich verändert. Wir haben eine andere Zeit, Mütter drängen in den Beruf."

Der Vorschlag, Kita-Gruppen vorübergehend zu vergrößern, um mehr Spielraum zu haben, ist vom Bundeserzieherverband übrigens als "ausgemachter Blödsinn" bezeichnet worden. Sprecher Axel Langner sagt: "Natürlich kann man mehr Kinder in die Kita-Räume zwängen, von Kindeswohl und pädagogischer Qualität kann man dann aber nicht sprechen."

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