Gesetzesentwurf zur Patientenverfügung:Kontroverse über Leben und Tod

200 Abgeordnete werben im Bundestag für ein Gesetz zur Patientenverfügung - die Union stellt sich der SPD dabei frontal entgegen.

Nina von Hardenberg

Der rechtspolitische Sprecher der SPD, Joachim Stünker, spricht schnell. So schnell als müsste er all die Zeit aufholen, die das Parlament schon beim Thema Patientenverfügung vergeudet hat.

Gesetzesentwurf zur Patientenverfügung: Die Patientenverfügung als letzter Wille: In Deutschland haben gegenwärtig etwa zehn Millionen Bürger Verfügungen unterzeichnet, mit denen sie Ärzten lebensverlängernde Maßnahmen untersagen

Die Patientenverfügung als letzter Wille: In Deutschland haben gegenwärtig etwa zehn Millionen Bürger Verfügungen unterzeichnet, mit denen sie Ärzten lebensverlängernde Maßnahmen untersagen

(Foto: Foto: ddp)

"Neun bis zehn Millionen Menschen in Deutschland haben eine Patientenverfügung abgeschlossen. Ihr Wille muss geachtet werden", sagt er zu Beginn seiner Rede. Und fügt ein wenig pathetisch hinzu: "Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht." Pathos scheint ihm angebracht zu sein, immerhin diskutiert das Parlament an diesem Nachmittag in erster Lesung über ein Gesetz, dass den Übergang von Leben zum Tod betrifft.

Es geht um Patientenverfügungen, in denen Menschen festlegen können, dass sie etwa nach einem Schlaganfall nicht künstlich ernährt oder beatmet werden wollen, wenn es keine Aussicht auf Besserung gibt. Stünker hat einen Antrag eingebracht, der das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu jedem Zeitpunkt garantieren soll. Vorab verfügte Behandlungswünsche muss der Arzt "unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung" befolgen, heißt es darin.

Auch der FDP-Abgeordnete Michael Kauch mahnt zur Eile: "Seit vier Jahren arbeiten wir an diesem Gesetz. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass das Parlament zu einer Entscheidung kommt". Die Mahnung ist berechtigt. Ganz so schnell aber wird es auch dieses Mal nicht gehen. Zwar unterstützen fraktionsübergreifend mehr als 200 Abgeordnete den Antrag Stünkers.

Doch ausgerechnet die Union kündigt massiven Widerstand an. Man müsse die Menschen vor Fehlentscheidungen schützen, argumentiert der Abgeordnete Markus Grübel (CDU): "Ihr Gesetzesentwurf geht von dem elitären Gedanken aus, dass alle Menschen gut informiert sind", wirft er Stünker vor. Ein Arzt, der eine Patientenverfügung in den Händen halte, könne nicht wissen, ob der Patient das richtige Formular ausgewählt habe und ob er gut beraten worden sei. Stünker habe den "Lebensschutz nicht ausreichend berücksichtigt", schimpft Grübel.

Es ist nicht die einzige Attacke auf Stünker die von dem eigenen Koalitionspartner kommt. Bei dieser ethisch schwierigen Entscheidung ist der Fraktionszwang aufgehoben. Die Abgeordneten sollen nur nach ihrem Gewissen entscheiden, wie zuletzt bei der Stammzell-Debatte. Und so paktieren FDP, Grüne und Linke munter mit der SPD, während die Union gegen den Gesetzentwurf wettert, als wäre die große Koalition schon aufgekündigt. "Kein einziger Abgeordneter der Union hat den Stünker-Antrag unterschrieben", sagt der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach mit Häme in der Stimme.

Die Union fühlt sich von dem SPD-Abgeordneten Stünker überrumpelt, der seinen Entwurf an diesem Donnerstag alleine in den Bundestag eingebracht hat. "Vereinbart war, dass wir über alle Anträge nach der Sommerpause beraten", sagt Bosbach. Stünker kontert, er sei froh, dass der Bundestag "endlich" überhaupt ein Gesetz auf den Weg bringe.

Kontroverse über Leben und Tod

Tatsächlich beschäftigt das Thema Patientenverfügung den Bundestag schon seit mehreren Jahren. 2004 hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) einen Gesetzesentwurf eingebracht, musste ihn aber nach Protesten aus dem Bundestag zurückziehen. Die Parlamentarier bestanden darauf, dass ein Gesetz zu einem ethisch so schwierigen Thema aus der Mitte des Bundestages heraus erarbeitet werden müsse. Seitdem basteln unterschiedliche Gruppen im Parlament an einem Entwurf, der die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu diesem Thema in Gesetzesform gießen soll.

Differenzen in der Union

Ein Patient hat das Recht auch lebenserhaltende Behandlungen abzulehnen. Zwangsbehandlungen darf es nicht geben, das hat der Bundesgerichtshof 2005 festgestellt. Doch wann darf eine lebenswichtige Therapie abgebrochen werden, wenn der Patient sich zu dieser Frage selbst nicht mehr äußern kann? Und wie strikt müssen Ärzte vorab verfügte Wünsche befolgen? Der BGH hat hierzu widersprüchlich geurteilt. Und auch die Abgeordneten sind sich nicht einig.

Vor allem in der Union bestehen Differenzen. Fraktionsvize Bosbach warnt: "Es darf keinen Automatismus geben." Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass sich Einstellungen änderten, eine Patiemtenverfügung aber nur selten aktualisiert werde. Ein 18-Jähriger, der schreibe, dass er nie im Rollstuhl sitzen wolle, beurteilt die Situation mit 34 als Familienvater vielleicht anders.

Bosbach will Patientenverfügungen deshalb nur gelten lassen, wenn die Erkrankung einen tödlichen Verlauf genommen hat. Ausnahmen sollen nur bei Wachkoma und schwerer Demenz gelten. Bosbach greift damit die Position der Kirchen auf, die auf Fürsorgepflicht und Lebensschutz pochen. CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller, tendiert demgegenüber zu einem liberaleren Ansatz, der nur das Minimale regelt und gleichzeitig Rechtssicherheit für Ärzte schaffen soll.

Bosbach und Zöller wollen während der Sommerpause versuchen, eine Kompromisslinie auszuhandeln. Sie werben dabei auch um die Unterstützung der Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen - und proben so nebenbei schon einmal eine schwarz-grüne Koalition.

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