Ohne Herkunft keine Zukunft, lautet ein bekannter Ausspruch des Philosophen Odo Marquard. Zu wissen, wo die eigenen Wurzeln liegen, wer einen gezeugt und wer einen geboren hat, ist für die Entwicklung eines Menschen von zentraler Bedeutung. Erfährt ein Mensch, dass die Eltern nicht die echten Eltern sind, kann ihn das in tiefe Krisen stürzen. Umso mehr, wenn sich das Rätsel der eigenen Geburt auch später nicht mehr aufklären lässt, weil die Verbindung zu den eigenen Wurzeln endgültig gekappt ist. Dennoch werden in Deutschland Jahr für Jahr etwa 100 Kinder anonym geboren, in eine Babyklappe gelegt oder anonym übergeben. Seit 1999 sind es insgesamt 1000 Kinder. 1000 Menschen, von denen die meisten nie erfahren werden, wer ihre Eltern sind.
Familienministerin Kristina Schröder will diese unbefriedigende Situation nun ändern, indem sie ein neues Angebot für Mütter schafft. Der Gesetzesentwurf, den das Kabinett am Mittwoch verabschiedete, soll Frauen ermöglichen, ihr Kind still und heimlich zu gebären, ohne dass dadurch jeder Kontakt für immer abgerissen ist. Die Kinder können mit 16 Jahren die Identität der Mütter erfahren. Zwei Drittel der anonym gebärenden Mütter bringen die Kinder in Kliniken zur Welt. Künftig soll den Frauen direkt in der Klinik ein Umschlag angeboten werden, in dem sie den Kindern für spätere Zeiten ihre Daten hinterlassen können.
Das Angebot dürfte den Müttern tatsächlich helfen, denn meist hegen diese keine schlechten Gefühle gegen das Kind. Es sind vielmehr finanzielle Sorgen, der Druck des Partners oder die Scham, das Kind aufgegeben zu haben, die Mütter anonym gebären lassen. Manch eine würde vielleicht gerne ein Lebenszeichen hinterlassen. Pragmatisch sind auch andere Teile des Gesetzes, etwa die Notrufnummer, mit der die Ministerin den Schwangeren den Weg zu den zahlreichen bestehenden Hilfen ebnen will, darunter den 2000 Stellen der Schwangerschaftskonfliktberatung.
Die Ministerin schafft also praktische Erleichterungen; eine Wende in dem Umgang mit den rechtlich hochumstrittenen anonymen Geburten aber gelingt ihr eben nicht. Babyklappen etwa bleiben, anders als der Ethikrat schon 2009 gefordert hat, weiterhin erlaubt. Das Gesetz mag einigen Frauen helfen, aber es bleibt halbherzig.
Der Nutzen von Babyklappen ist zweifelhaft
Die Ministerin befand sich offenbar in einem Dilemma. Einerseits wollte sie die Rechte der Kinder, ihre Vorfahren zu kennen, stärken. Sie folgte damit auch der Rechtsprechung. So hatte eine junge Frau zuletzt vor dem Oberlandesgericht Hamm recht bekommen, die mit Samenspende gezeugt wurde und nun den Namen des Vaters erfahren wollte.
Andererseits aber kann eine Ministerin, die ihre politische Karriere nicht riskieren will, kaum für die Schließung der kleinen Wärmebettchen eintreten, und sei ihr Nutzen noch so zweifelhaft. Zu sehr bedienen Babyklappen den Wunsch einer Gesellschaft, jedes Kind zu retten. Für diesen Wunsch sind Politik und Medien bereit, sich den schönen Geschichten von glücklich aufgefundenen Säuglingen hinzugeben. Zu wenig erfährt die Öffentlichkeit etwa über behinderte Kinder, die in diese Klappen abgeschoben werden. Oder auch über Todesfälle durch schlecht funktionierende Klappen.
Wenn wir nur ein Leben retten, dann hat sich alles gelohnt. Mit diesem Spruch werben die Anbieter von Babyklappen. Was sie nicht sagen, ist, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass damit wirklich Kinder gerettet werden. Die Zahl der Kindstötungen jedenfalls ist nicht zurückgegangen. Und Psychiater bezweifeln, dass die Klappen Mütter erreichen, die im Affekt ihrem Kind etwas antun, weil diese zu einer solchen Planung gar nicht in der Lage sind. Auch Untersuchungen aus Berlin, wo dank intensiver Recherche bis zu einem Drittel der Klappen-Fälle aufgeklärt werden, zeigen, dass die Mütter in der Regel nicht im Affekt handeln. Häufig waren es die Väter, die das Kind ablegten. Die Mütter wiederum handelten zum Teil umsichtig, legten sogar Impfpässe bei.
Für die Frauen ist die Babyklappe eine scheinbar einfache Lösung, doch sie kann zur Falle werden. Sie riskieren nicht nur ihre Gesundheit, wenn sie das Kind ohne Hilfe von Ärzten und Hebammen alleine zu Hause gebären. Auch psychisch ist der Verlust eines Kindes schon für Mütter, die ein reguläres Adoptionsverfahren durchlaufen, oft kaum zu verkraften. Wie viel größer ist die Not, wenn die Anonymität ihnen jeden Zugang zu Hilfen verwehrt. Diese Frauen sollten nicht alleingelassen werden. Sie brauchen Hilfe und Beratung. Was sie nicht brauchen, und was auch ihre Kinder später bitter beklagen werden, ist die Anonymität.