Gesetz evaluiert:Diskriminierung im Alltag

Seit zehn Jahren gibt es das Gleichbehandlungsgesetz. Nun wird seine Verschärfung gefordert.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Ob Herkunft, Geschlecht oder sexuelle Identität, Lebensalter oder Behinderung - fast jeder Dritte fühlte sich in den vergangenen zwei Jahren diskriminiert in Deutschland. Das ergab eine Umfrage im Rahmen der Evaluierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Das Gesetz, das seit zehn Jahren in Kraft ist, habe die Sensibilität für Benachteiligung gestärkt, sagte Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. "Wir sehen aber auch, dass Diskriminierung immer noch Alltag ist und wohl wieder zunehmen wird." Gründe seien der Flüchtlingszuzug und damit verbundene Ängste. Um Intoleranz effektiver zu bekämpfen, müsse das Gesetz reformiert werden.

Das Gleichbehandlungsgesetz wurde 2006 von der großen Koalition eingeführt, auf Druck der EU und des Europäischen Gerichtshofs. Es soll Benachteiligung verhindern am Arbeitsplatz und im Zivilrecht, etwa bei Anmietung einer Wohnung oder beim Restaurantbesuch mit einem behinderten Kind. Vor seiner Verabschiedung warnte die Wirtschaft vor Kosten von 1,73 Milliarden Euro pro Jahr. Juristen befürchteten eine Klagewelle, andere sahen ein bürokratisches Monster kommen. Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, Michael Fuchs (CDU), warnte damals, Anhänger von Scientology oder NPD könnten sich mit dem Gesetz in Betriebe einklagen.

Das Niveau der Debatte sei im Rückblick "erstaunlich" und erinnere an den aktuellen Streit ums Entgeltgleichheitsgesetz, sagte Lüders. Die Befürchtungen von damals aber hätten sich nicht bestätigt. Der Staat könne zwar keine Toleranz verordnen, wohl aber Möglichkeiten schaffen, sich gegen Intoleranz zu wehren.

Wie viele Menschen seit 2006 geklagt haben, ist nicht bekannt. Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ging nur ein Teil der Beschwerden ein. In 27 Prozent ging es um Diskriminierung wegen Behinderung, in 23 Prozent um Herkunft oder Geschlecht, in 20 Prozent ums Lebensalter, in fünf Prozent um Religion oder sexuelle Identität. 15 000 Menschen hatten sich insgesamt an die Stelle gewandt. In einer Umfrage gaben 31,4 Befragte an, sie seien in den vergangenen zwei Jahren diskriminiert worden, so Lüders. Benachteiligung sei also nicht verschwunden, werde heute aber "klar geächtet und zunehmend offen thematisiert".

Pk zu zehn Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Christine Lüders, 63, leitet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit sechs Jahren. Zuvor war die Pädagogin Beauftragte für Stiftungen im Kultusministerium in Hessen.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Das Gesetz sei ein "Meilenstein". Dennoch bleibe es für viele Betroffene schwer, gegen Diskriminierung rechtlich vorzugehen, sagte Alexander Klose vom Büro für Recht und Wissenschaft Berlin, das die Evaluierung des Gesetzes durchgeführt hat. Oft verhindere die Angst, den Job oder die Wohnung zu verlieren, eine Klage. Hier bleibe die privatrechtliche deutsche Regelung hinter Europarecht zurück. Nötig seien längere Fristen und ein Verbandsklagerecht, das qualifizierten Verbänden erlaube, die Rechte Einzelner vor Gericht wahrzunehmen, ähnlich etwa wie Verbraucherschutzzentralen.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wies dies zurück. "Die Vorschläge aus dem verzerrenden Evaluationsbericht gehören nicht ins Bundesgesetzblatt - sondern in den Papierkorb", meinte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Michael Fuchs dagegen sagte in der ARD, das Gesetz habe sich bewährt. Allerdings lehne er Verbandsklagen ab: "Ich bin dagegen, dass wir eine Art Sittenpolizei in Deutschland aufbauen." Wer Recht suche, könne zum Anwalt gehen.

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