Kolumne:Mitsprache nicht erwünscht

Wohnen in Berlin

Das Wohnungseigentumsgesetz regelt das Eigentum an einzelnen Wohnungen in größeren Anlagen.

(Foto: dpa)

Ist Wohnungseigentum künftig nur noch Eigentum zweiter Klasse? Ein neues Gesetz entmachtet die kleinen Eigentümer und stärkt Verwalter.

Von Heribert Prantl

Das bisherige Wohnungseigentumsgesetz stammt aus dem Jahr 1951, aus einer Zeit also, in der noch die Brezel-Käfer auf den Straßen fuhren. Der Brezel-VW heißt so, weil er ein zweigeteiltes kleines Heckfenster mit einem Mittelsteg hatte, das an das Laugengebäck erinnerte. Die Teilung des Fensters war nötig, weil damals gebogenes Glas für einen Kleinwagen zu teuer war. Aus ähnlichem Grund entstand vor 70 Jahren das Wohnungseigentumsgesetz. Weil viele Leute sich ein ganzes Haus nicht leisten konnten, wurde per Gesetz die Möglichkeit geschaffen, Häuser in einzelne Wohnungen aufzuteilen und Eigentum an der Wohnung zu erwerben.

Das war bis dahin nicht möglich gewesen. Das Bürgerliche Gesetzbuch kannte nur Eigentum am Grundstück. Das war ein Ordnungsprinzip aus dem römischen Recht: Alles, was mit dem Grundstück fest verbunden ist, also das Gebäude, gehört demnach dem Eigentümer des Grundstücks. Es gab also (mit Ausnahmen in bestimmten Landesteilen) kein Eigentum an Stockwerken, Wohnungen oder Kellern - nur den Eigentümer des Hauses; im Haus gab es gegebenenfalls noch die Mieter.

Das ist seit dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) von 1951 anders. Dieses Gesetz sollte in der Nachkriegszeit den Wohnungsbau stärken und "breiten Bevölkerungsschichten den Erwerb eines Eigenheims ermöglichen". Rechtlich funktioniert das so: Ein "Sondereigentum" an der Wohnung ist verbunden mit einem ideellen Anteil am gemeinsamen restlichen Eigentum; die unlösbare Verbindung von Miteigentum und Sondereigentum bildet das Wohnungseigentum. Neun Millionen Eigentumswohnungen sind seit 1951 auf dieser Basis geschaffen worden.

Der Gesetzgeber von 1951 hatte Mehrfamilienhäuser mit einer überschaubaren Zahl von Wohnungen im Blick, die von den Eigentümern selbst bewohnt werden. In den 70er-Jahren wurden aber dann Anlagen mit bis zu tausend Wohnungen gebaut. Auf der Basis des WEG entstand ein Business-Modell, das dadurch befruchtet wurde, dass Kommunen ihre Wohnungen an private Immobiliengesellschaften verkauften. Immer mehr Unternehmen stiegen ins Geschäft ein; sie sind oft Mehrheitseigentümer in den Wohnanlagen.

Die Eigentumsstruktur ist daher höchst heterogen: Da sind finanziell schwache Eigentümer, die ihre Wohnung selbst nutzen und ihre gesamten Ersparnisse in den Erwerb der Wohnung gesteckt haben; da sind Kleinanleger, die mit der vereinnahmten Miete ihre Einkünfte aufbessern wollen. Und da sind Großinvestoren, die Gewinne sehen wollen. Für sie alle gilt bis heute das Gesetz von 1951: Es läuft und läuft und läuft, allerdings immer holpriger. Es bringt die verschiedenen Interessen immer weniger unter einen Hut; grundlegende Änderungen gab es nicht. Die Gerichte, zumal der Bundesgerichtshof, mussten herumbasteln. Der letzte VW-Käfer lief in Wolfsburg 1974 vom Band, das bauchige Grunddesign war bis dahin nur wenig geändert worden; dann wurde der Käfer vom Golf I abgelöst. Dieser Sprung vom Käfer zum Golf steht dem Wohnungseigentum jetzt bevor: Ein "Modernisierungsgesetz" soll in Kürze verabschiedet werden. Es stellt das Wohnen auf neue Grundlagen. Es geht dabei nicht nur darum, der Elektromobilität (die es bekanntlich 1951 noch nicht gab), Rechnung zu tragen, indem jedem Eigentümer, der das will und selbst finanziert, ein Grundrecht auf eine Ladesäule zuerkannt wird. Das neue Gesetz will vor allem den Sanierungs- und Modernisierungsstau beenden, den es zumal in älteren Wohnanlagen gibt - weil nach noch geltendem Gesetz für Bauveränderungen die Zustimmung aller Eigentümer oder eines hohen Anteils der Eigentümer notwendig ist.

Das wird nun grundlegend anders. Der einzelne Eigentümer wird entmachtet, seine Möglichkeiten, vor Gericht zu klagen, werden sehr gestutzt; und es wird ihm viel schwerer gemacht als bisher, Baumaßnahmen - seien es Fahrradständer, Fahrstühle, Balkone oder energetische Sanierungen - zu verhindern; anteilig zahlen muss er natürlich schon. Für bauliche Veränderungen reicht nämlich künftig die einfache Mehrheit in der Eigentümerversammlung: 51 Prozent beschließen, auch die überstimmten 49 Prozent zahlen. Der Wohnungsverwalter erhält nach neuem Recht die sehr starke Stellung eines Geschäftsführers, mit einer unbeschränkbaren Vertretungsmacht nach außen. Die Eigentümerversammlung als zentrales Entscheidungsorgan der Wohnungseigentümer ist nicht mehr so wichtig wie bisher.

Einen Machtzuwachs erfährt nämlich der Wohnungsverwalter nicht nur durch seine unbeschränkte Vertretungsmacht nach außen, sondern auch dadurch, dass sich seine Geschäftsführungsbefugnis künftig per Gesetz auf alle Handlungen erstreckt, die "die gewöhnliche Verwaltung mit sich bringt". Dabei braucht er also die Eigentümerversammlung ohnehin nicht mehr; er kann hier schalten und walten, wie er will; und er wird oft auch bei kostenintensiven Maßnahmen behaupten, es handele sich um gewöhnliche Verwaltung.

Das neue Recht verlagert Risiken auf die Wohnungseigentümer, meint daher der Deutsche Anwaltverein - zugunsten von Effizienz bei der Wohnungsverwaltung. Wohnungseigentum sei künftig, zumal bei unbedachten Verwaltern, "Risikoanlage". Der Anwaltverein malt den Teufel für Rentner an die Wand, wenn sie Modernisierungen nicht finanzieren können: Sie müssten mit Zwangsversteigerung rechnen. Das "Wohnungseigentum ist kein Eigentum mehr": So hat der Trierer Rechtsprofessor Horst Ehmann in der Juristenzeitung schon vor 20 Jahren gewarnt - angesichts von Einschränkungen der Eigentümerrechte durch den Bundesgerichtshof. Ehmann ist Schüler von Hermann Weitnauer, dem Vater des Wohnungseigentumsgesetzes von 1951.

Wohnungseigentum kein Eigentum mehr? Das war übertrieben. Aber künftig ist der kleine Wohnungseigentümer nur Eigentümer zweiter Klasse. Die großen Eigentümer, also die Mehrheitseigentümer, Investoren und Immobilienunternehmen, müssen sich hingegen keine grauen Haare wachsen lassen: Bei ihnen liegt ja die faktische Macht der Mehrheit, die in der Wohnanlage das Sagen und den Verwalter hat. Das neue Gesetz ist eine politische Grundentscheidung gegen kleine Eigentümer.

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Kolumne von Heribert Prantl

Heribert Prantl ist seit 1. März 2019 Kolumnist und ständiger Autor der Süddeutschen Zeitung. Zuvor leitete er das Ressort Meinung sowie die Innenpolitik und war Mitglied der Chefredaktion. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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