Zeitgeschichte:1979 - das Jahr der Umbrüche

Zeitgeschichte: Wichtige Protagonisten des Jahres 1979: Jimmy Carter, Helmut Schmidt, Ayatollah Khomeini, Papst Johannes Paul II., Leonid Breschnew und Margaret Thatcher.

Wichtige Protagonisten des Jahres 1979: Jimmy Carter, Helmut Schmidt, Ayatollah Khomeini, Papst Johannes Paul II., Leonid Breschnew und Margaret Thatcher.

(Foto: AP/dpa/imago)
  • Das Jahr 1979 brachte etliche welthistorische Umbrüche mit sich.
  • Historiker Frank Bösch hat ihnen ein Buch gewidmet: "Zeitenwende 1979".
  • Es ist ein wunderbarer Brunnen, aus dem man gar nicht genug schöpfen kann.

Rezension von Franziska Augstein

Ende Januar 1979 reiste der chinesische Staatschef Deng Xiaoping in die USA. Es war der erste offizielle Besuch eines führenden Politikers der Volksrepublik in Washington. In derselben Woche säumten Millionen Mexikaner die Straßen, auf denen Papst Johannes Paul II. bei seiner ersten Auslandsreise paradierte. Und am 1. Februar 1979 wurde Ayatollah Khomeini, zurück aus dem Pariser Exil, in Teheran mit so frenetischem Jubel begrüßt, dass er sich angesichts des Andrangs kurzerhand in einen Krankenwagen verzog.

In demselben Jahr gab es in Nicaragua eine erfolgreiche Revolution gegen den Diktator Anastasio Somoza. Margaret Thatcher wurde zur britischen Premierministerin gewählt und setzte eine Revolution eigener Art in Gang: Die Hinwendung zu einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, den Ausverkauf staatlicher Unternehmen und die Deindustrialisierung ihres Landes.

Sowjetische Truppen marschierten 1979 in Afghanistan ein. Südvietnamesen flüchteten vor den nordvietnamesischen Kommunisten in überladenen und nur gerade eben hochseetauglichen Booten auf das Meer - die "Boatpeople". Die erste Weltklimakonferenz fand statt. Und im amerikanischen Atomkraftwerk Harrisburg gab es ein verheerendes Leck.

Außerdem wurde der Nato-Doppelbeschluss verabschiedet, was den Friedensbewegungen in Ost- und Westdeutschland auf einige Jahre hin zu tun gab: Die Sowjetunion wollte ihre veralteten SS-20-Raketen modernisieren. Nicht zuletzt auf Betreiben des deutschen Kanzlers Helmut Schmidt wurde daraufhin von Seiten der USA die Stationierung neuer Atomwaffen in der Bundesrepublik versprochen.

Die Geschichte, verkörpert von dem schließlich dann doch friedsinnigen US-Präsidenten Ronald Reagan und dem KPdSU-Chef Michail Gorbatschow, ging darüber hinweg: In den 80er Jahren, immer noch mitten im Kalten Krieg, vereinbarten die beiden ein immenses Abrüstungsprogramm. Was blieb: Die Demonstranten hatten das absurde Fremdwort "Dislozierung" (für "Stationierung") fest in ihrem Wortschatz und eine Erinnerung daran, dass man auch in einer Demokratie und gemeinsam nicht immer alles erreichen kann (aber die Demos waren prägend für viele).

Außerdem war 1979 die amerikanische TV-Serie "Holocaust" im deutschen Fernsehen zu sehen. Die Serie war hollywoodmäßig kitschig, zeigte aber nebenbei, dass nicht bloß Hitler der Schuldige gewesen war, sondern auch ganz gewöhnliche Deutsche sich an der Vernichtung der Juden mit Engagement beteiligt hatten. Die Abermillionen Fernsehzuschauer waren entsetzt. Nun erst begann die öffentliche Debatte, die es besser Jahrzehnte früher schon gegeben hätte.

"Menschenrechte" waren Politikern damals oft nicht so wichtig

Die Geschichte hat es gewollt, dass das Jahr 1979 etliche welthistorische Umbrüche mit sich brachte. Ihnen hat Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, ein fabelhaftes Buch gewidmet: "Zeitenwende 1979". Seine These ist im Untertitel zusammengefasst: "Als die Welt von heute begann". Das Charmante an dieser These: Sie stammt nicht von Bösch. Etlichen Historikern vor ihm ist auch schon aufgefallen, dass 1979 es in sich hatte. Üblich ist es, dass Autoren überzogene oder gar unhaltbare Thesen aufstellen, um sich interessant zu machen. Der Autor Bösch hat nicht sich selbst interessant gemacht, sondern sein Buch.

Bei seinem großen Unterfangen hat er sich auf Einzeldarstellungen von anderen Historikern verlassen. Hinzugegeben hat er - mit Hilfe von studentischen Kräften, deren Namen er nennt - ausführliche Recherchen in deutschen Archiven. Was da zu finden war, ist mitunter nachgerade atemraubend.

Kein deutscher Politiker darf heute in autoritäre Staaten reisen, ohne auf dem Spickzettel das Wort "Menschenrechte" stehen zu haben. Ende der 1970er Jahre war das noch nicht so. Der deutsche Botschafter in Managua hegte bis zu seiner Ablösung 1978 beste Beziehungen zu Nicaraguas Diktator Somoza.

Frankreichs Präsident Giscard d'Estaing äußerte Helmut Schmidt gegenüber nach dem Sturz des Schahs: Er hoffe sehr, in Iran werde nicht die Linke obsiegen, sondern Ayatollah Khomeini, möge sein Sieg auch "hart und blutrünstig" sein. Schmidt für sein Teil kam es nur darauf an, dass die für die Bundesrepublik sehr lukrativen Wirtschaftsbeziehungen zu Iran erhalten blieben.

Alles, was da ist, wird irgendwann kippen

Als sich in der Türkei 1980 eine Militärjunta an die Macht geputscht hatte und die Bürgerrechte mit Füßen trat, fanden westdeutsche Diplomaten das "akzeptabel". Noch 1984 nannte Kanzler Helmut Kohl El Salvadors widerlichen Diktator José Napoléon Duarte seinen "langjährigen Freund". Jimmy Carter, der sein Präsidentenamt 1981 abgab, hatte aber auf die Menschenrechte gepocht und half so dabei, dass die waltende Nonchalance beim Umgang mit Autokraten abebbte. Und die Bundesrepublik, ein treuer Vasall der USA, machte das dann allmählich mit.

Carter gilt als eher erfolgloser Präsident, aber er war auf der Höhe der Zeit: Menschenfreundlich wie er dachten auch viele junge Leute. In Westdeutschland hatte das marxistische Herumtheoretisieren sich Ende der 70er Jahre totgelaufen. Nach der Revolution in Nicaragua wollten die Linken in dem bitterarmen Land anpacken: Kaffeebohnen pflücken, Schulen bauen, praktisch helfen.

Eine der wenigen komischen Bemerkungen in Böschs Buch ist die Beobachtung, bis 1980 seien so viele Helfer ins Land gekommen, "dass die Sandinisten darum baten, von weiteren Reisen abzusehen". Immerhin: Zuhause konnte man solidarisch den Kaffee aus Nicaragua kaufen, die fair gehandelte "Sandino-Dröhnung", die ausgesprochen bitter schmeckte und nicht eben magenfreundlich war.

Bösch meint, dass die Architektur des Kalten Krieges Ende der 1970er Jahre hier und da zu kippen begonnen habe. Als ein Beispiel dafür nennt er Nicaragua, das gern Hilfe aus Ost und West annahm, weshalb weder Ost noch West den Sandinisten so recht trauten. Die BRD und die DDR gaben viel Geld. Die Sowjetunion indes blieb distanziert: Für sie war das Land zu klein, zu unbedeutend, als dass ihre Oberen an seiner Zukunft hätten mitbauen wollen.

Frank Bösch: Zeitenwende 1979

Frank Bösch: Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann. Verlag C.H. Beck, München 2019. 512 Seiten, 28 Euro.

Alles, was da ist, wird irgendwann kippen, damit hat Bösch schon recht. Vorerst aber befand sich die Welt noch im Kalten Krieg. Kambodschas frühere grausame Führung von Pol Pot galt 1979 bei der US-Regierung als legitim - und so dann eben auch in der BRD. Der Grund war einfach: Pol Pots Herrschaft wurde nach wie vor anerkannt, weil, so Bösch, "das sowjetisch gestützte Vietnam ihn gestürzt hatte".

Nach dem Motto "der Feind meines Gegners ist mein Freund" unterstützten die USA die Islamisten in Afghanistan mit Leidenschaft. Der Einmarsch der Sowjets dort kam so: Die kommunistische Khalq-Partei hatte 1978 (übrigens zur Verblüffung der Sowjets) die Regierung in diesem von Stammesdenken bestimmten, patriarchalischen Land usurpiert. Der neue Ministerpräsident Mohammad Taraki machte sich allgleich unbeliebt. Alphabetisierungskurse auch für Frauen zum Beispiel kamen nicht gut an. Islamistischer Widerstand kam auf. Die Geheimdienste der USA waren darüber informiert. In Washington brach Frohlocken aus - einerseits.

Wo die USA der Sowjetunion ihr "Vietnam" bereiten wollten

Andererseits fürchtete man in den USA, bei dem Bemühen der Sowjetunion, die kommunistische Regierung in Kabul zu stützen, werde es nicht bleiben: Im Falle eines Einmarsches würden die Sowjets in Kabul nicht Halt machen, sondern weiter vordringen wollen, zu den an Öl reichen Regionen, ja bis zum Indischen Ozean.

Der Einmarsch erfolgte Ende 1979. Die USA waren vorbereitet. Von 1979 an gaben sie den Islamisten jede Menge Geld und Waffen. (Sie gaben das Menschenmördern, Leuten wie Gulbuddin Hekmatyār, auch bekannt als "Schlächter von Kabul", der später zum Kampf gegen die USA aufrief.)

1979 sah man die Dinge im Kreml anders: Man wollte nicht an die Ölquellen oder an den Pazifik. Man wollte vielmehr keine Destabilisierung der südlichen Sowjet-Republiken durch islamistische Aufrührer. Bösch hat ein gewisses Verständnis dafür, dass sowjetische Soldaten nach Afghanistan entsandt wurden.

Der Fehler sei gewesen, nach der Installierung eines Moskau-freundlichen Regimes in Kabul nicht sofort wieder abzuziehen. Derweil rieb man sich in Washington die Hände. Im amerikanischen Außenministerium wurde vermerkt, man werde die Mudschaheddin eifrig weiter stärken, mit dem Ziel, der Sowjetunion in Afghanistan "ein Vietnam" zu bereiten.

Frank Böschs Buch ist ein wunderbarer Brunnen, aus dem man gar nicht genug schöpfen kann. Es enthält eine Fülle von Erkenntnissen, deren viele auch Kenner der Zeitgeschichte packen werden.

Sein Fazit, 1979 sei das Jahr gewesen, als die Welt von heute begann: Er hat es gut belegt.

Zur SZ-Startseite
Wiedervereinigung, Tag der deutschen Einheit

Historiker Andreas Rödder
:"Die Deutschen haben die Tendenz zu einem kulturellen Überlegenheitsgefühl"

Was hat sich eigentlich im Gebiet der alten Bundesrepublik durch die Wiedervereinigung verändert? Historiker Andreas Rödder über Kontinuität und Wandel in Westdeutschland.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: