Geschichte der Segelschiffe:Zeitenwende im James River

Ein Gefühl von Nostalgie: die Gorch Fock, wie sie im Herbst 2014 ihren Heimathafen Kiel verlässt.

Das Segelschulschiff der deutschen Marine, die Gorch Fock, hier 2014 vor Kiel:

(Foto: Carsten Rehder/DPA)

Prächtige Segelschiffe beherrschten über Jahrhunderte die Weltmeere - bis 1862 einer der ersten Stahldampfer auftauchte. Rückblick auf ein Zeitalter, das mit einem unfairen Gefecht abrupt endete.

Von Joachim Käppner

Es ist ein seltsames Gefährt, das da am 8. März 1862 bei Hampton Roads aus der Mündung des James River ausläuft. Die CSS Virginia, ganz aus Stahl, gliche einer gefährlichen Panzerschildkröte, wären da nicht der schwarzen Qualm spuckende Schornstein und die aus den Luken ragenden Geschütze.

Draußen vor der Atlantikküste warten ihre Feinde: fünf klassische, aus Holz gebaute Segelschiffe der US-Nordstaaten. Das Sternenbanner weht an deren Heck, himmelhoch ragen die Masten, drohend zeigen sie ihre mit Kanonen gespickte Breitseite. Der Krieg des Nordens, der Union, gegen die Sklavenhalter des Südens, die Konföderierten, geht nun ins zweite Jahr und an Land nicht recht voran. Doch immerhin, die Navy blockiert mit wachsendem Erfolg die Küsten des Südens und damit die Handelsverbindungen der Rebellen nach Europa.

Kaum ist das Stahlschiff in Reichweite, eröffnet das erste Blockadeschiff, die mit 24 Kanonen bestückte Cumberland, das Feuer. Fünf Kriegsschiffe mit 219 Geschützen lassen die Hölle hereinbrechen über die Virginia, Pulverrauch treibt wie dichter Nebel über den Wellen. Sie erhält fast hundert Volltreffer und fährt doch unbeirrt weiter.

Der schlimmste Tag der damals noch jungen US Navy

Fassungslos beobachtet ein Seemann der Nordstaaten, wie die Geschosse an ihr "wirkungslos abprallten, als wären es Erbsen aus Spielzeugflinten". Die Virginia versenkt die Cumberland und die noch größere Congress und beschädigt ein drittes Schiff schwer, das dann strandet.

Es ist, schreibt der Historiker James M. McPherson, "der schlimmste Tag in der 86-jährigen Geschichte der US Navy". Binnen weniger Stunden ging eine Ära zu Ende, jene der großen Segelschiffe, mit denen die Seefahrtsnationen die Meere befuhren und beherrschten; zumindest hat das Ende ihrer Ära an diesem Tag begonnen.

Inzwischen ist das Segelschiff längst ein Mythos geworden, besungen von Shanty-Chören in posthumer Seemannsromantik, die man wohl nicht beleidigt, wenn man ihr bemerkenswerten Mut zum Kitsch bescheinigt: "Windjammer, Windjammer, fahre weit hinaus, stolzes Schiff auf großer Fahrt, das Meer ist Dein Zuhaus."

Bei großen Regatten, Hafengeburtstagen, der Kieler Woche bestaunen Hunderttausende die prächtigen Schiffe, die letzten ihrer Art: Großsegler wie die Kruzenshtern und die Mir aus Russland, Frankreichs Belem oder eben die Gorch Fock, das zuletzt immer unrühmlicher aufgefallene Segelschulschiff der Deutschen Marine. Fast alle gehören sie in die umgangssprachlich weit gefasste Kategorie der "Windjammer", womit, nicht immer korrekt, Großsegler aller Art bezeichnet werden.

Wobei der Jammer im Zusammenhang mit der Gorch Fock zuletzt von ganz anderer Art war. Es gab Todesstürze von Kadettinnen, Mobbingvorwürfe und zuletzt eine so irrsinnige Kostensteigerung für die Instandsetzung, dass man meinen mochte, die Gorch Fock sei für die Deutsche Marine so etwas, was einst der Fliegende Holländer für die sieben Weltmeere war, ein Geisterschiff, das Schrecken verbreitet.

Schon die frühen Zivilisationen nutzten das Segel, eine Abbildung aus Ägypten ist um die 7000 Jahre alt. Die Schiffe der Antike und des Mittelalters führten Segel aber meist eher als Hilfsmittel. Die Trieren Athens, welche bei Salamis 480 v. Chr. die Perser abwehrten, waren eigentlich schnelle, von Ruderern bewegte und bei Sturm nur begrenzt seetüchtige Kampfschiffe, die man vorsichtshalber lieber in Küstennähe hielt. Noch der Sieg einer christlichen Allianz über die gefürchtete osmanische Flotte bei Lepanto 1571 war ein Triumph der geruderten Galeere.

Es gab Ausnahmen wie die Langschiffe der Wikinger, die Hanse-Koggen oder die Großdschunken Chinas, über die der Reisende Marco Polo im 14. Jahrhundert schrieb: "Sie haben vier Masten mit ebenso viel Segeln ... Die größten Schiffe haben eine Besatzung von dreihundert. Man kann die Schiffe mit fünf- bis sechstausend Körben Pfeffer beladen." Erst die Entwicklung hochseetüchtiger Segelschiffe durch die Europäer im 15. Jahrhundert legte jedoch die Grundlage für die Überquerung der Meere - und die unfassbar brutale Unterwerfung fremder Kontinente und Kulturen.

Segelschiffe, auf mehreren Decks mit Kanonen dicht besetzt, waren im 18. und 19. Jahrhundert die Verkörperung von Seemacht. Diese "Linienschiffe" ließen Großbritannien 1798 vor Abukir und 1805 bei Trafalgar über Napoleons Flotten triumphieren.

Aber als 1862 die Nachricht von den Taten der Virginia an der Ostküste der Vereinigten Staaten London erreichte, kommentierte die Times bestürzt: "Standen uns bisher 149 erstklassige Kriegsschiffe zum sofortigen Einsatz zur Verfügung, so sind es jetzt nur noch zwei", nämlich die beiden, freilich noch im Bau befindlichen stählernen Testschiffe der Royal Navy.

Der amerikanische Bürgerkrieg 1861 - 1865 und die industrielle Revolution veränderten den Schiffbau radikal. Das Segel wich der Dampfmaschine, das Holz dem Stahl; und keine 50 Jahre nach dem Einsatz der Virginia rüsteten Europas Mächte ihre Flotten mit "Dreadnoughts" hoch, stählernen Panzerschiffen mit einem furchterregenden Vernichtungspotenzial an schwerster Artillerie. Militärisch hatte das Segel ausgedient.

Als die deutsche Pamir im Atlantik versank, war die große Zeit der Windjammer endgültig vorüber

Doch so leicht gaben sich die Anhänger der Segelschifffahrt nicht geschlagen. Sie sahen ihr Heil in der fortgesetzten zivilen Nutzung, für den schnellen Transport von Waren in einer ökonomisch bereits zusammenwachsenden Welt. Flugzeuge gab es noch nicht.

Geschichte der Segelschiffe: ... oder auf Schallplatten mit Seemannsschlagern.

... oder auf Schallplatten mit Seemannsschlagern.

So wie ein Jahrhundert später Nostalgiker die Ansicht vertraten, das Internet werde eine Episode bleiben oder bestenfalls ein zweitrangiges Hilfsmittel für die analoge Welt, so bezweifelten Nautiker noch lange, dass das Segelschiff von gestern sei. Sie beruhigten sich mit Sprüchen: "Als die Schiffe noch aus Holz waren, waren die Seeleute aus Eisen."

Die Gorch Fock, erst 1958 vom Stapel gelaufen, ist dabei ein Nachzügler. Ihresgleichen entstammt eigentlich dem späten 19. Jahrhundert; die schlanken, schnellen Schiffe waren nicht nur die schönsten, die je gebaut wurden, sondern auch das letzte Aufgebot der alten Seefahrt, um der dampfbetriebenen Konkurrenz im wahrsten Sinne des Wortes davonzusegeln.

On Cutty Sark

Ein Foto der englischen Cutty Sark aus dem Jahr 1938.

(Foto: Getty Images)

Auf die schnellen, zunächst noch aus Holz gebauten Klipper folgten die Windjammer. Woher das Wort kommt, darüber scheiden sich Geister. Es ist auch im Englischen gebräuchlich, bedeutet hier aber eher "Windpresser". So sollen die Matrosen der neuen Dampfschiffe spöttisch die großen Segler genannt haben.

Aber sie hatten noch einmal eine große Zeit. Ihr Rumpf bestand schon überwiegend nicht mehr aus Holz, sondern aus Stahl. Fast 2000 solcher Schiffe, Drei-, Vier- und sogar Fünfmaster wurden damals gebaut mit dem Ziel, Fracht so schnell auf Langstrecken um den Globus zu bringen, wie es den vom Wind unabhängigen Dampfern wegen der Kohleversorgung kaum möglich war.

Eine Weile lang schien das sogar zu funktionieren. "The Flying-P-Liner" der Hamburger Reederei F. Laeisz stellten immer neue Geschwindigkeitsrekorde auf. Manche Segler lieferten sich tagelange Rennen, bei denen es auf jedes Detail des Segelsetzens und des seemännischen Könnens ankam.

So durchsauste die deutsche Fünfmastbark Potosi 1904 das Meer von Chile bis nach England in nur 57 Tagen, wobei die Reise um die Spitze Südamerikas herumführte: Windjammer, die sich durch die gefürchteten Stürme des Kap Hoorns kämpfen, waren ein beliebtes Motiv für Ölgemälde.

Unter einem Bild seines Schiffes wurde der berühmteste deutsche Windjammer-Kapitän bestattet, Robert Hilgendorf, ein Mann mit großem weißen Schnäuzer und noch größerem Selbstbewusstsein, wegen seines Wagemuts "Düwel von Hamborch" genannt, der Teufel von Hamburg. Über ihn hieß es: "Er nutzte den Wind. Er nutzte alle Winde."

Manche Windjammer waren noch nach dem Zweiten Weltkrieg in Betrieb, bereits umweht von einer kräftigen Nostalgie, so als verkörperten die eleganten Schiffe eine Art unschuldige, von den Schrecken des U-Boot-Krieges und der Flugzeugträgerschlachten unberührte Zeit.

Ökonomisch lohnten sich die Frachtfahrten kaum noch; als die mit Gerste beladene deutsche Pamir 1957 auf dem Atlantik in einen Hurrikan geriet und mit 86 Besatzungsmitgliedern (von denen sechs überlebten) sank, war die Zeit der Windjammer abgelaufen.

Ob die in der Werft liegende Gorch Fock jemals wieder auf große Fahrt geht, wie es sich viele in der Deutschen Marine wünschen? Das wird von den Kosten abhängen. In den Marinen vieler Länder gelten solche Windjammer als Schaustücke zur Selbstdarstellung. Aber ihre Hauptaufgabe ist das eigentlich nicht.

Die angehenden Marineoffiziere, die Seekadetten, sind auf den grauen, mit Hochtechnologie ausgerüsteten Kriegsschiffen der Gegenwart Spezialisten für alles Mögliche: digital gestützte Navigation, komplexe Waffensysteme, Raketentechnik. Auf den Windjammer aber sollen sie das traditionelle Handwerk des Seemanns lernen, in allen Details einschließlich des schwindelerregenden Aufstiegs in den Wanten. "Im Herzen ist doch jeder Kamerad ... wir segeln nach guter alter Art", heißt es im Gorch-Fock-Lied. Die Skandale rund um das Schiff haben diesem hehren Anspruch schwerlich genutzt.

Die Virginia übrigens durfte 1862 ihren Sieg über die US Navy nur wenige Stunden auskosten. Gerade noch rechtzeitig beorderte Washington das einzige eigene Panzerschiff, die USS Monitor, zur Rettung der Flotte bei Hampton Roads.

Als die Virginia morgens erneut auslief, um den Segelschiffen der Union den Rest zu geben, erschien die Monitor einem Spiegelbild gleich auf ihrem Kurs. Ein Matrose der Monitor schrieb über die Reaktion auf der Virginia nachher: "Ein Schiff kann tatsächlich genauso verblüfft aussehen wie ein Mensch."

Die beiden Stahlungeheuer beschossen sich stundenlang, keines war wirklich verwundbar. Das Duell endete in einem Patt, die Flotte des Nordens war gerettet. Ein paar Wochen später strandete die Virginia und wurde von der Rebellenarmee gesprengt. Sie hatte Geschichte geschrieben, im Dienst einer schlechten Sache, mit der es bald ebenfalls zu Ende gehen sollte.

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