Geschichte - Mainz:Neutronenoptik entschlüsselt Rätsel von Reliquien-Anhänger

Archäologie
In einer Vitrine des Landesmuseums Mainz liegt ein Reliquien-Anhänger aus dem 12. Jahrhundert. Foto: Peter Zschunke/dpa (Foto: dpa)

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Mainz (dpa/lrs) - Ein bei Ausgrabungen in Mainz gefundener Anhänger aus dem Hochmittelalter enthält fünf kleine Stoffsäckchen mit Knochensplittern. Dies ergab eine Neutronentomographie an der Technischen Universität München (TUM), wie das Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) mitteilte. Anders als Röntgenstrahlen können Neutronen Metalle durchdringen und dabei organische Substanzen sichtbar machen. Bei den Knochensplittern handelt es sich sehr wahrscheinlich um Reliquien von Heiligen, von denen sich der Träger oder die Trägerin des Schmuckstücks eine heilsame oder schützende Wirkung versprach.

Restaurator Matthias Heinzel vom LEIZA, dem ehemaligen Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM), entdeckte bei seinen Restaurierungsarbeiten in der Aufhängungsöse des Schmuckstücks ein 1,5 Millimeter langes Textilfragment aus Seide. "Dies ist der erste Nachweis, dass solche Anhänger womöglich an einer Seidenkordel um den Hals getragen wurden", erklärt er. Der kleine Textilrest blieb über die Jahrhunderte hinweg erhalten, weil der Anhänger aus Kupfer gefertigt wurde - "das ist so giftig, dass Mikroorganismen keine Chance haben, Organisches zu zersetzen", sagt Heinzel.

Gefunden wurde der etwa sechs Zentimeter große und einen Zentimeter dicke Reliquienanhänger im Oktober 2008 bei Ausgrabungen auf dem Gelände des barocken Dalberger Hofs im Zentrum von Mainz. Die Vorderseite zeigt Christus und die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes in vier Halbkreisfeldern. Die ebenfalls kunstvoll gestaltete Emaille-Arbeit auf der Rückseite zeigt Maria und vier weibliche Heilige oder vier Tugenden. Die Ausführung verrät, dass der Anhänger im 12. Jahrhundert in einer Hildesheimer Werkstatt entstand. "Vermutlich wurde er von einer hochgestellten klerikalen Person getragen", sagt Heinzel.

Warum das kostbare Stück dann im 14. Jahrhundert in einer Abfallgrube landete, bleibt ein Rätsel. Nach der Restaurierung ermöglichte es die Neutronenoptik, den Anhänger zu untersuchen, ohne ihn zu öffnen und damit zu zerstören. Die in mehreren Schichten erstellten hochauflösenden Bilder zeigen fünf Reliquienpäckchen. Drei von ihnen enthalten sieben deutlich erkennbare Knochensplitter. In den beiden anderen sind sehr kleine Knochenfragmente und kleine Kügelchen, bei denen es sich um Weihrauch handeln könnte. Eine ergänzende Untersuchung der chemischen Elemente, eine sogenannte Prompten-Gamma-Aktivierungsanalyse, wies unter anderem Kalzium, Wasserstoff und Kalium nach, wie sie für Knochen typisch sind.

Der Anhänger ist von besonderer Bedeutung, da bisher nur drei andere Reliquiare, die als Phylakterium bezeichnet werden, aus der Hildesheimer Werkstatt bekannt sind. Ausgestellt ist das Schmuckstück zurzeit in einer Sonderausstellung des Landesmuseums Mainz mit dem Titel "Aurea Magontia - Mainz im Mittelalter".

© dpa-infocom, dpa:230114-99-215890/2

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