Geschichte - Kassel:Hessen erinnert an Opfer des Nationalsozialismus

Geschichte - Kassel: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) spricht bei der Gedenkveranstaltung in Kassel. Foto: Swen Pförtner/dpa
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) spricht bei der Gedenkveranstaltung in Kassel. Foto: Swen Pförtner/dpa (Foto: dpa)

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Kassel (dpa/lhe) - Bei einem hessenweiten Gedenktag ist am Freitag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert worden. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) rief bei einer zentralen Gedenkveranstaltung in Kassel zur Verteidigung demokratischer Grundwerte auf. Zudem zähle der Kampf gegen Antisemitismus zu den größten Herausforderungen, sagte er. Das Gedenken sei gleichzeitig eine Mahnung, sich der kollektiven Verantwortung zu stellen und stets wachsam zu bleiben, erläuterte Rhein.

"Die Erinnerung an die Opfer des Holocaust ist untrennbar verbunden mit einer Besinnung auf unsere gemeinsamen Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und die Würde des Menschen." Diese Grundwerte müssten gerade in Zeiten, in denen autoritäre Sehnsüchte und Verschwörungstheorien Konjunktur hätten, immer wieder aufs Neue verteidigt werden, forderte der Regierungschef. "Es ist unser aller Pflicht, dafür zu sorgen, dass Antisemitismus und Rassismus keinen Platz in unserer Gesellschaft haben."

Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft habe systematisch das historisch gewachsene Leben von rund 400 jüdischen Gemeinden in Hessen zerstört. "Aufgrund der besonderen jüdischen Tradition in unserem Land haben wir auch eine besondere historische Verantwortung und die Verpflichtung, das jüdische Leben in Hessen zu fördern und zu schützen", sagte Rhein und erinnerte auch an andere Opfergruppen des Nationalsozialismus wie etwa Sinti und Roma oder Homosexuelle. "Der Blick auf diese Gruppen, ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und brutale Verfolgung sollte für uns stets Anlass und beständige Verpflichtung sein, aufmerksam zu prüfen, wie wir heute mit Minderheiten umgehen."

Nach den Worten von Hessens Landtagspräsidentin Astrid Wallmann sollte der Gedenktag "ein Tag des lebendigen Erinnerns" bleiben. Solange jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie Institutionen polizeilich geschützt werden müssten, "solange dürfen wir als Gesellschaft und als Politik nicht ruhen, sondern müssen unmissverständlich und klar Haltung zeigen", erklärte sie. Der Tag müsse auch weiterhin emotional und intellektuell fordern und aufrütteln.

Am 27. Januar 1945 hatten sowjetische Truppen die Überlebenden des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet. Seit 1996 wird das Datum in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen.

Die Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank startete am Freitag eine Social Media-Gedenkkampagne. "Heute haben wir dank der Sozialen Medien neue Möglichkeiten, Jugendliche direkt zu erreichen", sagte Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte, zu der Kampagne auf Tiktok und Instagram. Darin erläutert etwa eine junge Historikerin, was es mit dem 27. Januar auf sich hat.

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, erinnerte an die enge Verknüpfung des EZB-Hauptgebäudes mit einem Ort nationalsozialistischer Verbrechen. Die Frankfurter Großmarkthalle, die heute Teil des EZB-Gebäudes ist, war damals die Sammelstelle für Juden vor der Deportation. "Vertreter des Nazi-Regimes erniedrigten und beraubten in den Kellerräumen der Großmarkthalle über 10 000 jüdische Frauen, Männer und Kinder, zwangen sie auf Züge in Richtung Ghetto, Konzentrations- und Vernichtungslager und schickten sie damit in den Tod. Nur einige wenige überlebten", schrieb Lagarde im Blog der EZB.

Sie betonte, die Taten hätten nicht im Verborgenen stattgefunden. "Die Großmarkthalle war ein sehr öffentlicher Ort", schrieb sie. "Die Deportation der jüdischen Bevölkerung geschah - genau wie ihre Entrechtung und Unterdrückung in den Jahren zuvor - nicht im Geheimen." Die Opfer seien auf ihrem Weg aus dem Stadtzentrum oft von Passanten verhöhnt worden.

In Frankfurt nahmen am Nachmittag in der Paulskirche auch Schülerinnen und Schüler an einer Gedenkstunde teil. "Ohne um die Judenverfolgung und den systematischen Völkermord an den europäischen Juden zu wissen, wird die Zukunft keine bessere sein, in der sich ein solches Menschheitsverbrechen nicht wiederholt und in der der Mensch den Menschen achtet", betonte Marc Grünberg vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt vor den jungen Leuten.

"Die Geschichte erscheint manchmal ganz weit weg, aber in Wahrheit ist sie nur wenige Augenblicke entfernt", sagte die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg. Es sei von großer Wichtigkeit, das Gedenken an kommende Generationen weiterzugeben.

© dpa-infocom, dpa:230127-99-381015/4

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