Konflikt im Kaukasus:Der Terror hat in Russland noch lange kein Ende gefunden

People mourn inside School Number One during a ceremony commemorating the victims of the 2004 hostage crisis in the southern Russian town of Beslan

Menschen gedenken den Opfern, die bei der Geiselnahme einer Schule in der kaukasischen Stadt Beslan im Jahr 2004 ums Leben kamen.

(Foto: REUTERS)
  • In Folge des langjährigen Konflikts im Kaukasus kommt es in Russland immer wieder zu Bombenanschlägen und Geiselnahmen.
  • Viele kaukasische Rebellen sind in die Kriege im Irak und in Syrien gezogen und stellen dort die Sturmtruppen des Islamischen Staats.
  • Ihre Rückkehr nach Russland muss Putin fürchten.

Von Tomas Avenarius

Der Terror in Russland ist zumindest bisher untrennbar mit dem Tschetschenienkrieg verbunden. Der langjährige Konflikt im Kaukasus hat zur Folge, dass Bombenanschläge und Geiselnahmen wie in anderen Teilen der Welt auch in Russland fast schon Alltag geworden sind. Viele Hundert Menschen haben ihr Leben verloren, verstärkte öffentliche Sicherheitsmaßnahmen gehören inzwischen in Moskau, St. Petersburg und anderen russischen Großstädten - und natürlich im Kaukasus - zum normalen Straßenbild.

Die tschetschenischen Rebellen waren bei ihrem Kampf um staatliche Unabhängigkeit ihrer winzigen Republik der russischen Armee in zwei Waffengängen entgegengetreten: von 1994 bis 1996 und dann von 1999 bis 2009. In beiden Kriegen waren sie trotz anfänglicher Erfolge den hochgerüsteten Truppen Moskaus aber hoffnungslos unterlegen. Der Sieg im ersten Krieg war nur ein politischer angesichts der Kriegsmüdigkeit der russischen Öffentlichkeit. Im zweiten Krieg folgte wegen der rücksichtslosen Kriegsführung von Präsident Wladimir Putin dann eine vollständige Niederlage.

Der Terror in Russland selbst, dessen Urheberschaft in den meisten Fällen in Tschetschenien oder in den umliegenden, meist muslimischen Kaukasusrepubliken zu suchen sein dürfte, hat deswegen aber noch lange kein Ende gefunden.

In beiden Kriegen hatten die Aufständischen sehr früh auf Terror als Waffe und Mittel der Kriegsführung zurückgegriffen. Am Anfang standen im ersten Krieg blutige Massengeiselnahmen in Krankenhäusern und Schulen im Kaukasus, die den zunehmend hilflos agierenden russischen Staatschef Boris Jelzin bloßstellten.

2002, im zweiten Krieg, besetzten Tschetschenen dann in Moskau das Dubrowka-Musicaltheater, wo der Klassiker "Nordost" aufgeführt wurde: 850 Besucher wurden zu Geiseln. Etwa 130 der Theaterbesucher und die etwa 40 Militanten starben, als der neue Präsident und Jelzin-Nachfolger Putin die Erstürmung anordnete. Er hatte ein Nervengas zum Betäuben von Großwild in das Theater leiten lassen, bevor seine Spezialpolizisten den Saal stürmten. Zwei Jahre später brachten 30 Kämpfer mehr als 1100 Schüler und Lehrer im Kaukasus-Städtchen Beslan in ihre Gewalt, nach tagelanger Belagerung und erfolglosen Verhandlungen ließ die Moskauer Führung angreifen: Beim Erstürmen der Schule gab es weit mehr als 350 Tote.

Dass die kaukasischen Rebellen zusehends brutaler wurden und Terror für sie immer mehr zur geeigneten Waffe wurde, hatte neben der wachsenden Rücksichtslosigkeit der russischen Kriegsführung noch einen anderen Grund: Vor allem im Lauf des zweiten Tschetschenienkriegs hatten Islamisten gegenüber den tschetschenischen Nationalisten und Traditionalisten das Sagen gewonnen, unterstützt von internationalen Dschihadisten, mit Kontakten zu al-Qaida.

Der Terror geht weiter

Mit der Internationalisierung des Kaukasus-Dschihads änderte sich auch die Natur der Terroranschläge. 2004 kam es zu Attacken gegen zwei Passagierflugzeuge, 90 Menschen starben. Es folgte ein Bombenangriff auf den Schnellzug Moskau- St. Petersburg (2009, 26 Opfer), der Selbstmordanschlag zweier "schwarzer Witwen" auf Moskauer U-Bahnzüge (2010, 40 Tote) sowie 2013 Selbstmordattentate auf einen Bus und auf den Bahnhof in Wolgograd.

Schon vor diesen spektakulären Attacken war es immer wieder zu Bombenanschlägen auf Märkte oder auf Militär- und Polizeieinrichtungen im von Moskau weit entfernten Kaukasus gekommen, oft mit Dutzenden Toten. Besonderes Aufsehen erregten aber die mysteriösen Anschläge auf zwei Wohnhäuser in Moskau 1999: In den Trümmern starben 150 Menschen, verantwortlich gemacht wurden Tschetschenen. Regimekritiker wie der einige Jahre später durch einen merkwürdigen Selbstmord ums Leben gekommene Oligarch Boris Beresowski wiesen auf Unstimmigkeiten hin und versuchten nachzuweisen, dass Putin seine Hand im Spiel gehabt hatte. Der habe einen Vorwand gesucht, einen zweiten Kaukasuskrieg zu beginnen und mit der Rückeroberung die De-facto-Unabhängigkeit Tschetscheniens zu beenden. Mit den Attentaten habe er die Bevölkerung gegen die Kaukasier aufbringen wollen.

Zweifelsfrei nachgewiesen wurde weder eine Verantwortung der Tschetschenen noch eine Verwicklung der russischen Regierung. Der zweite Kaukasus-Krieg begann kurz nach dem Doppelattentat und endete mit der Wiedereingliederung Tschetscheniens in die russische Föderation; dort regiert nun der tschetschenische Autokrat Ramsan Kadyrow mit Putins Segen.

Der Terror aber geht weiter. Ein Grund könnte sein, dass viele kaukasische Rebellen später in die Kriege im Irak und in Syrien gezogen sind. Wegen ihrer Härte stellen sie dort die Sturmtruppen des Islamischen Staats (IS). Ihre Rückkehr nach Russland muss Putin fürchten. Gut möglich, dass es nun so weit ist.

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