Geschichte des Zweiten Weltkrieges:Vollendete Unfähigkeit

Adolf Hitler und Erwin Rommel, 1942

Diktator Adolf Hitler am 30. September 1942 mit Erwin Rommel bei dessen Ernennung zum Generalfeldmarschall

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Hitler inkompetent, Rommel leichtsinnig, Roosevelt manipulierbar: In seiner Geschichte des Zweiten Weltkriegs unterzieht Antony Beevor fast alle Militärführer schärfster Kritik. Beevor weiß, wovon er spricht: Er war Offizier der britischen Armee.

Von Richard Evans

Von Anfang an war der Zweite Weltkrieg in den Augen der Briten und Amerikaner "Der gute Krieg", wie der berühmte Publizist Studs Terkel sein preisgekröntes Buch von 1985 nannte, für das er viele Zeugen der Zeit befragt hatte.

Anders als der Erste Weltkrieg, über den immer noch kontrovers diskutiert wird, ist das Urteil über den Zweiten Weltkrieg bisher einhellig gewesen: Da triumphierte die Demokratie über die Diktatur, Toleranz über Rassismus, Internationalismus über Nationalismus, das gute Augenmaß über den Extremismus, kurz: es triumphierte das Gute über das Böse.

Die Erinnerung daran prägt das politische Bewusstsein, ja die Identität der modernen Welt. Das gilt besonders in Britannien und den USA, die bis heute daraus die Legitimation für ihre Rollen und Ansprüche in der Weltpolitik beziehen. Deren Fundament wird allerdings seit einigen Jahren erschüttert: Pazifisten wie Nicholson Baker verurteilen die Massenbombardierungen deutscher Städte und die Vertreibung Hunderttausender Deutscher.

Amerikanische Isolationisten monieren, die US-Besatzung im Nachkriegsdeutschland habe viel zu viel Kraft und viel zu viel Geld gekostet. Englische Euro-Skeptiker schimpfen: Britanniens Beteiligung am Zweiten Weltkrieg habe es um sein Empire gebracht; man hätte Stalins Russland und Hitlers Deutschland ihren Zwist allein ausfechten lassen sollen. Aus osteuropäischen Staaten und dem Baltikum ist zu hören: Der britische Kriegseinsatz habe am Ende bloß dazu geführt, dass die Länder der sowjetischen Tyrannei anheimgegeben wurden.

Eitler Roosevelt

Mögen manche der Vorwürfe arg überzogen sein, ist doch eines unbestreitbar: So "gut" wie in Terkels Buch werden das britische und das amerikanische Engagement im Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen. Das Gleiche gilt für die Kriegführung, was Antony Beevor in seinem Buch eindrucksvoll zeigt.

Beevor war Offizier in der britischen Armee, bevor er zum Bestseller-Autor wurde: Er schrieb über die Schlacht von Stalingrad 1942/43, über die Landung in der Normandie 1944 und über die Eroberung Berlins durch die Rote Armee 1945.

Antony Beevor: Der Zweite Weltkrieg

Eine Leseprobe stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Beevor ist ein Kriegshistoriker, der die konträren Sichtweisen aller verfeindeten Seiten darstellt. Seine Erzählungen umfassen die Analyse militärischer Strategien und Taktiken, farbige Charakterstudien der Protagonisten sowie mitreißende Geschichten von einfachen Soldaten und Zivilisten. Alle diese Vorzüge finden sich auch in seiner Gesamtdarstellung des Kriegs.

Neues Terrain beschreitet Beevor, indem er zeigt, wie sehr die europäischen Kriegsschauplätze und die im pazifischen Raum aufeinander bezogen waren: Es hat sich tatsächlich um einen Krieg gehandelt und nicht, wie manche meinen, um zwei voneinander weitgehend getrennte Konflikte.

Das Buch beginnt mit der Schilderung der Schlacht zwischen der Sowjetunion und Japan im Mai 1939 am Fluss Chalchin Gol: Überraschenderweise trugen die Truppen des sowjetischen Kommandeurs Georgi Schukow den Sieg davon, was die japanische Militärführung dazu bewog, der Marine-Fraktion in Tokio nachzugeben, die "im Süden zuschlagen" wollte, im Pazifik.

Das wiederum gab Stalin freie Hand, der deutschen Invasion in der Sowjetunion zu begegnen, während die deutsche Eroberung der Niederlande dazu führte, dass diese Niederländisch-Indien, das spätere Indonesien, nicht mehr verteidigen konnten. Die japanische Besatzung dieser Kolonie sowie der britischen Besitzungen Burma und Malaysia war der Anfang vom Ende des europäischen Kolonialsystems und sollte Europas Stellung in der Welt von Grund auf verändern.

"Das größte historische Desaster von Menschenhand"

Auch in diesem Buch hat Beevor alles, was mit der praktischen Seite von Kriegseinsätzen zu tun hat, spannend-plastisch beschrieben. Für die führenden Personen hat er allerdings nicht viel Lob übrig:

  • Roosevelt war eitel und ließ sich von Stalin manipulieren.
  • Churchill war zwar ein Meister der für die Moral so wichtigen Rhetorik, zudem erkannte er frühzeitig, dass der Krieg nur mit Hilfe der USA gewonnen werden konnte, aber auch er ließ sich von Stalin bereden, und seine unausgegorenen strategischen Vorschläge bescherten seinen Untergebenen manche frustrierte Stunde.
  • Hitler war militärisch noch unfähiger, als ehedem schon geschildert wurde: Unflexibel und unnachgiebig, verwechselte er die Motive für taktische Rückzüge mit Feigheit.
  • Der britische General Bernard Montgomery war ein Zauderer und übervorsichtig. Was ihm beim Sieg über Rommel bei El-Alamein zugute kam, erwies sich in anderen Schlachten als Manko: Die Überquerung des Rheins, die den Einsatz von 59 000 Pionieren erforderte, war so sorgfältig vorbereitet, dass sie, so Beevor, als "Lehrstück für eine Generalstabsschulung" getaugt hätte - mit dem Ergebnis, dass die amerikanischen Truppen, die weniger pingelig waren, Montgomery ausstachen und die Brücke von Remagen einnahmen.
  • Rommel, schreibt Beevor, sei unsäglich leichtsinnig gewesen; seine große Reputation rühre lediglich daher, dass Propagandisten der Alliierten ihn hochschrieben, um so zu verschleiern, wie unfähig die britische Führung in Nordafrika agierte.
  • Den britischen Admiral Louis Mountbatten bezeichnet Beevor als "schwindelerregend hochgelobten" Kapitän, der aufgrund seines Charmes und seiner guten Beziehungen zum Königshaus auf Posten gehievt wurde, denen er nicht ansatzweise gewachsen war.
  • Der amerikanische Feldmarschall MacArthur war "ein korrupter Egomane".
  • Schukow ein "Energiebündel", dessen hartherziger Ehrgeiz darauf gerichtet war, als erster sowjetischer General in Berlin einzumarschieren, was etliche Zehntausende seiner Soldaten das Leben kostete.

Wer noch denkt, Kriegführen habe etwas Nobles an sich, wird hier gründlich enttäuscht. Deutsche und japanische Soldaten versahen Leichen mit Sprengfallen, sie erschossen Sanitäter oder gaben vor, sich zu ergeben, nur um dann schnell beiseitezuspringen, während aus versteckten Maschinengewehrnestern das Feuer auf jene eröffnet wurde, die wähnten, sie nun gefangen zu nehmen.

Ausführlich schildert Beevor Massenmorde, Folter und Vergewaltigungen, die japanische und sowjetische Truppen verübten. Noch schlimmer waren die Deutschen und ihre Verbündeten. Aber die Truppen der westlichen Alliierten gehen aus seiner Darstellung auch nicht eben wie Chorknaben hervor.

Beevor hat den Akzent auf Europa und Nordafrika gelegt, denen dreimal so viele Kapitel gewidmet sind wie dem Krieg im Osten. Einige eher unbedeutende Episoden, so etwa die deutsche Invasion auf Kreta, bekommen zu viel Raum - hauptsächlich weil die Briten dort eine wichtige Rolle spielten. Trotzdem gibt das Buch einen gut gewichteten Überblick über den Krieg.

Anders als bei früheren Büchern Beevors haben wir es hier indes nicht mit einer einzelnen Schlacht zu tun, sondern mit zahlreichen Mini-Erzählungen. Eine Schlacht folgt der anderen. Das hat Nachteile: Die Darstellung der Ursachen des Kriegs und seiner Folgen ist etwas oberflächlich ausgefallen. Und die ökonomischen Aspekte kommen so gut wie gar nicht vor.

Kein Krieg ohne Sinn

Nach zighundert Seiten ist immer noch nicht klar, warum die Alliierten den Krieg eigentlich gewonnen haben. Beevors unermüdlich-unerbittliche Beschäftigung mit Individuen macht die Lektüre faszinierend. Aber für überzeugende Erklärungen reicht das am Ende nicht hin.

War der Zweite Weltkrieg ein "guter Krieg"?

Beevor bezeichnet ihn als "das größte historische Desaster von Menschenhand". Aber sinnlos war dieser Krieg gewiss nicht. Angesichts der Ambitionen und der ungeheuren Aggressivität von NS-Deutschland und Japan mussten Britannien, die USA und die Sowjetunion allen Widerstand aufbieten.

Die Vernichtung der Juden und Hitlers Absicht, 45 Millionen Slawen samt anderen "nicht-arischen" Völkern in aller Welt zu eliminieren, machten das Bemühen der Alliierten, das zu stoppen - wie immer dieses Unterfangen im Einzelfall kompromittiert wurde -, am Ende zu einem moralisch gerechtfertigten Krieg.

Übersetzung: Franziska Augstein.

Der NS-Spezialist Richard Evans lehrt Geschichte an der Universität Cambridge (UK). Jüngst erschien von ihm: "Veränderte Vergangenheit. Über kontrafaktisches Erzählen in der Geschichte" (DVA).

Antony Beevor: Der Zweite Weltkrieg. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. C. Bertelsmann, 2014. 976 Seiten, 39,99 Euro.

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