Geschichte der Gewalt:"Knallt ab den Walther Rathenau"

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Freikorpsverbände halfen in der Weimarer Republik der Regierung im Kampf gegen kommunistische Aufständische - doch die Grenzen zu rechten Terrorzellen waren fließend. Im Bild Soldaten aus Freikorpsverbänden in Berlin 1919. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Von Weimar über die RAF bis hin zu den "Reichsbürgern" von heute: Immer wieder wollten verschiedene Gruppen den Staat mit Waffen ins Wanken bringen. Eine Chronik deutscher Extremisten.

Von Joachim Käppner

Es ist nicht neu, dass sich extremistische Feinde der Demokratie illegal bewaffnen, um gegen "das System" und seine Repräsentanten terroristische Anschläge zu verüben. Neu dagegen ist, dass Menschen wie nicht wenige Reichsbürger sich Schusswaffen ganz legal nach den Regeln des Rechtsstaates beschaffen und selbst erklären, diesen Staat und seine Regeln nicht anzuerkennen.

Früher waren vor allem in der Folge von Kriegen zahlreiche Schusswaffen im Umlauf. Als sehr problematisch erwies sich rasch das Waffenarsenal in den Händen der Feinde der Weimarer Demokratie, vor allem auf Seiten der Rechten. Als die Revolution der Matrosen, Soldaten und Arbeiter im November 1918 das Kaiserreich stürzen ließ und den verlorenen Krieg endlich beendete, da fielen die Bastionen der alten Ordnung meist ohne Widerstand; Kasernen, Polizeistationen, Arsenale wurden geplündert, viele heimkehrende Frontsoldaten gaben ihre Waffen nicht ab.

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Die instabile junge Republik wankte bald unter dem Angriff ihrer Feinde. Diese Feinde trugen Waffen und benutzten sie. Eine Welle brutaler Fememorde erschütterte das Land, mehrere Hundert Menschen starben. Zu den prominentesten Opfern zählten der ehemalige Reichsfinanzminister Matthias Erzberger, der seiner Tochter Maria kurz vor seinem Tod sagte: "Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen." Am 26. August 1921 erschossen ihn rechtsradikale Mörder der "Organisation Consul". 1922 traf es Reichsaußenminister Walther Rathenau, über den antisemitische Freikorpssoldaten bereits gesungen hatten: "Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau."

Diese Freikorps, Freiwilligenverbände zum Schutz gegen kommunistische Aufständische, hatten von Januar 1919 an ausgerechnet die Sozialdemokraten unter ihrem unseligen Wehrexperten Gustav Noske gegründet - und sich damit einen tödlichen Feind geschaffen. Überzeugte Republikaner fanden sich in den Einheiten bald kaum noch, wohl aber vom Krieg entwurzelte, seelisch verwahrloste und politisch radikalisierte Männer wie der Schriftsteller Ernst von Salomon. Zwischen offiziellen Freikorps, die 1919 die zweite Münchner Räterepublik und 1920 den Ruhraufstand im Blut erstickten, und rechten Terrorzellen waren die Übergänge fließend, einen Mangel an Waffen gab es daher kaum.

In der Auseinandersetzung mit dem Terror von rechts versagte die Justiz, die auf dem sprichwörtlichen rechten Auge blind war. Potenzielle Opfer griffen auch deshalb zur Selbsthilfe, wie der prominente Sozialdemokrat Philipp Scheidemann, der vergeblich hartes Durchgreifen gegen Republikfeinde im Militär gefordert hatte. Die Polizei empfahl ihm "stets unauffällige Begleitung durch einen Bekannten. Beide Herren Hand an den schußbereiten Waffen in der Tasche". Scheidemann wehrte 1922 ein rechtes Mordkommando durch Schüsse aus seinem Browning ab.

Auch linksradikale Milizen verfügten vor allem während der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen 1918 bis 1923 über Waffen aus früheren Armeebeständen, sogar Maschinengewehre. Attentate auf Vertreter des Staates verübten nicht nur Rechtsextremisten, sondern auch KPD-Anhänger: So schoss der spätere Stasi-Chef Erich Mielke 1931 auf dem Berliner Bülowplatz zwei Schutzpolizisten von hinten in den Kopf, beide starben.

Ein neueres, in vielen Staaten auftretendes Phänomen sind Amokläufe

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar ebenfalls zahlreiche herrenlose Schusswaffen, flüchtende Einheiten hatten Gewehre und Granaten oft im Wald weggeworfen. Scharfe Kontrollen der Siegermächte und harte Strafen verhinderten aber nach der Kapitulation 1945 eine Wiederholung ähnlicher Zustände wie nach 1918; und nach der totalen Niederlage fehlte es zudem an einer gewaltsamen Opposition gegen die demokratische Ordnung.

Erst die linksextremen Terroristen forderten den Staat von Ende der 1960er-Jahre an wieder aufs Äußerste heraus. Die RAF und die revolutionären Zellen erbeuteten Waffen anfangs oft durch Überfälle und Diebstahl. Den Umgang damit lernten sie später meist in Camps radikaler Palästinensergruppen. Manchmal bauten sie Bomben und Mordapparate auch selbst, wie den Raketenwerfer, der die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe treffen sollte, aber nicht funktionierte.

Ein neueres, in vielen Staaten auftretendes Phänomen sind Amokläufe. In den USA fällt es den Tätern meist leicht, an Waffen zu kommen, da sie dort vielerorts einfach zu kaufen sind. In der Bundesrepublik gelten strenge Waffengesetze, die es Privatpersonen fast unmöglich machen, legal an eine tödliche Schusswaffe zu kommen. Es sei denn, sie benötigen diese nachweislich zum Selbstschutz, sind Jäger oder dürfen aus beruflichen Gründen eine Waffe führen - oder sie gehören zu den 1,35 Millionen im Deutschen Sportschützenbund organisierten Mitgliedern im Land.

Das Sportschützenwesen mit seinen vielen, teils olympischen Disziplinen ist, sind mehrere Auflagen erfüllt, das Zugangstor zu legalem Waffenbesitz. Statistisch bleibt der Missbrauch dieser Waffen durch Sportschützen zwar gering. Dennoch starben seit 1990 mehr Menschen in Deutschland durch Waffen von Sportschützen als früher durch die RAF. Bewaffnete Reichsbürger waren oft als Sportschützen aktiv und durften scharfe Pistolen und Gewehre besitzen. Auch wenn der politisch mächtige Schützenbund durchaus glaubhaft versichert, für Reichsbürger sei in seinen Reihen kein Platz - die Waffen sind nun in den falschen Händen.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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