De Maizière und das Euro-Hawk-Debakel:Macher am Abgrund

German Defence Minister Thomas de Maiziere sits in a German army Bundeswehr CH53 helicopter en route from Kunduz to Mazar-i-Sharif

Verteidigungsminister Thomas de Maizière

(Foto: REUTERS)

Verteidigungsminister de Maizière steckt in seiner bisher größten Krise: Mehr als 300 Millionen Euro sind beim "Euro Hawk" verschwendet worden - doch womöglich wird das Debakel noch deutlich teurer. Die Opposition wirft Thomas de Maizière Vertuschung vor, neue Pannen werden bekannt. Es wird gefährlich für den stillen Macher.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Das Dokument stammt aus dem Februar 2008, gezeichnet ist es von Wolfgang Schneiderhan, dem damaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, der die "Konzeptionellen Grundvorstellungen zum Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge in der Bundeswehr" erließ, eingestuft als Verschlusssache "nur für den Dienstgebrauch". Auf Seite acht des Dokuments findet sich eine Formulierung, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt: Drohnen, die "für die Teilnahme am allgemeinen Luftverkehr vorgesehen" seien, müssten "grundsätzlich die gleichen luftfahrtrechtlichen Sicherheitsstandards wie bemannte Systeme erfüllen".

Schon Anfang 2008 also muss man sich im Verteidigungsministerium darüber im Klaren gewesen sein, dass man vor einem Problem stand. Damals war Franz Josef Jung (CDU) Minister, auf ihn folgte Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), von dem im März 2011 Thomas de Maizière das Haus übernahm. Der CDU-Mann galt spätestens seit seiner Zeit als Kanzleramtschef als Alleskönner, doch nun steckt er in der wohl größten Krise seiner langen Laufbahn.

Die Frage ist, wie viel er zu verschulden hat - auch wenn, wie Schneiderhans Drohnen-Erlass belegt, die Problematik vorher bekannt war. In Fachkreisen gab es zudem bereits Jahre vor der Vertragsunterzeichnung, nämlich im Jahr 2004, die Erkenntnis, dass der Aufklärungsdrohne Euro Hawk eine Fähigkeit fehlte, die für die Zulassung unabdingbar war: Ein Automatismus, mit dem Zusammenstöße auch ohne Eingreifen des Piloten am Boden vermieden werden können. Damals regierte noch die SPD, in deren Regierungszeit auch die ersten Überlegungen und Planungen fallen, die Drohne Global Hawk des US-Herstellers Northrop Grumman mit Aufklärungstechnik des europäischen EADS-Konzerns zum Euro Hawk umzurüsten.

Eine Chronologie des Scheiterns

Die Zuspitzung der Probleme folgte dann, als de Maizière bereits übernommen hatte: Allerspätestens seit 2011 war den Verantwortlichen im Ministerium klar, dass es nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Zulassung geben würde. Eine Chronologie des Scheiterns will de Maizière erst am 5. Juni im Verteidigungsausschuss des Bundestags vorlegen - auch wenn sich die Zweifel daran mehren, dass er tatsächlich so lange warten kann.

Am Dienstag etwa schaltete sich Ulrich Kirsch in die Debatte ein, der Vorsitzende des Bundeswehrverbands: "Euro Hawk ist eine Geschichte von Versäumnissen, Unerklärlichkeiten und unerhörten Vorgängen", erklärte er. Er fordere "schnellstmögliche Aufklärung" vom Minister. "Hilfreich" bei der Aufklärung könne ein Untersuchungsausschuss sein, so Kirsch.

Dabei ist noch gar nicht klar, ob es bei jenen mehr als 300 Millionen Euro bleibt, die als Fehlinvestition bereits feststehen. Schließlich finden sich in der Liste der für die Bundeswehr zu beschaffenden Geräte nicht nur fünf Euro Hawks, sondern zudem vier Global Hawks als "nationale Beistellung" zum Nato-Überwachungsprogramm "Alliance Ground Surveillance", kurz AGS. Nicht nur aus der FDP, sondern auch aus der CDU wird gefordert, für dieses Programm kein weiteres Geld bereitzustellen, so lange die Zulassungsprobleme nicht geklärt sind. Die Deutsche Presse Agentur zitierte daraufhin am Dienstag einen Nato-Beamten mit der Einschätzung, das Euro Hawk-Debakel habe für das Programm des Bündnisses keine Folgen.

Opposition sieht das nächste potenzielle Millionengrab

In Deutschland wird allerdings vermutet, dass der Global Hawk zum nächsten Problemfall werden könnte, der Beschwichtigung aus Brüssel mochte sich am Dienstag niemand so recht anschließen. Stattdessen sieht die Opposition das nächste potenzielle Millionengrab: "Die bisherige Planung des Verteidigungsministeriums sieht vor, neben den Euro Hawks vier Global Hawks im Fliegerhorst Jagel zu stationieren", sagt der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels. "Da muss man davon ausgehen, dass diese Drohnen vor einer Zulassung die gleichen Standards erfüllen müssen wie die Euro Hawks", so der Abgeordnete. "Das Ministerium sollte uns so schnell wie möglich erklären, ob hier gerade noch mehr Geld versenkt wird."

Sollte sich herausstellen, dass es beim Global Hawk die gleiche Problematik gibt, hätte das Ministerium tatsächlich ein Problem - zumal die Angelegenheit nicht gerade trivial ist: Es sind, neben den für Deutschland als "Beistellung" vorgesehenen Global Hawks noch weitere Global Hawks für die Nato vorgesehen. "Deshalb ist ja die ganze Zeit nicht absehbar, was das alles kosten wird", sagt der Grünen-Verteidigungspolitiker Omid Nouripour.

Den Verantwortlichen ist es zu heikel, Zahlen herauszugeben

In einer Vorlage des Finanzministeriums von Anfang Mai 2012 wurden die Kosten für die vier national zu beschaffendenden Drohnen auf "schätzungsweise rund 260 Millionen Euro" taxiert, die allerdings "frühestens in den Jahren ab 2015 im Haushalt veranschlagt" würden. Der deutsche Anteil an den in Italien zu stationierenden Nato-Drohnen schnellte im vergangenen Jahr kurzfristig von 400 auf 483 Millionen Euro hoch. Grund dafür war, dass mehrere Partner aus dem Programm ausgestiegen waren. Auf Anfrage vermochte das Verteidigungsministerium am Dienstag nicht zu sagen, ob und wie viel Geld bereits investiert worden ist - den Verantwortlichen dort ist es derzeit offenbar zu heikel, Zahlen herauszugeben, die dann möglicherweise wieder korrigiert werden müssen.

Fest steht, dass der Global Hawk schon rein logisch vor der gleichen Zulassungsproblematik steht - und sich damit noch mehr Fragen ergeben, die das Ministerium beantworten muss. Und schließlich gibt es eine Frage, die noch deutlich über die beiden Fälle hinausgeht: Wie und auf welcher Grundlage könnten unbemannte Fluggeräte überhaupt für den europäischen Luftraum zugelassen werden? Für die Debatte über die Beschaffung von Kampfdrohnen ergibt sich da ein weiteres Problemfeld.

Immerhin, ein Untersuchungsausschuss, wie ihn der Bundeswehrverband ins Spiel gebracht hat, dürfte dem Minister wohl zunächst erspart bleiben: In der SPD herrscht derzeit die Einschätzung vor, dass man sich dafür zeitlich bereits zu nah an der Bundestagswahl befindet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: