Gescheiterter SPD-Chef Beck:Die Gesetze der Macht

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Kurt Beck machte viele Fehler, taktische und strategische. Entscheidend dürfte aber eine charakterliche Schwäche gewesen sein: Beck zeigte Wirkung bei den Angriffen auf seine Person.

Gustav Seibt

Der Machtzerfall eines Spitzenpolitikers verläuft in einer Demokratie in vielerlei Formen.

Trat am Sonntag als SPD-Chef zurück: Kurt Beck (Foto: Foto: ddp)

Bei Kurt Beck, dessen Autorität binnen kurzer Zeit zusammenbrach, addierten sich zwei Dinge: die Erfolglosigkeit nach außen im demokratischen Wettbewerb vor den Augen der Öffentlichkeit und der Loyalitätsverlust bei der eigenen Gefolgschaft.

Die äußere Erfolglosigkeit bemaß sich seit der verlorenen Hamburger Bürgerschaftswahl an den dramatisch sinkenden Umfragewerten und Mitgliederzahlen für die SPD.

Die professionellen politischen Kommentatoren hielten ihm sein strategisches Versagen beim Umgang mit der Linkspartei vor und lieferten so die Begründungen für das unerfreuliche demoskopische Zahlenwerk.

Innerer Autoritätsverfall

Dazu kam ein innerer Autoritätsverfall, der in der jüngeren Geschichte der deutschen Parteien allenfalls mit dem von Rudolf Scharping vergleichbar ist. Kurt Beck wurde zum Gespött.

Die Formulierung des sozialdemokratisch orientierten Historikers Hans-Ulrich Wehler vom "Pfälzer Waldschrat" bezeichnete zuletzt einen Konsens in der Wahrnehmung, die professionelles und intellektuelles Ungeschick registrierte und mit kulturellen Vorbehalten verband. Das Hinterwäldlerische, die Provinzialität der Figur des Mainzer Ministerpräsidenten wurde zu einem gewichtigen Argument.

Darüber darf man sich durchaus wundern, denn die gegen Beck gerichteten Einwände trafen in den achtziger Jahren auch Helmut Kohl, ebenfalls einen pfälzischen Ministerpräsidenten, der aber politisch gut überlebte.

Auch Kohl hielt man das Täppische vor

Auch Kohl hielt man beim Wechsel in die Bundespolitik das Täppische und Unrepräsentative der Erscheinung vor, die Saumagenwelt einer Haltung, der es angeblich an staatspolitischem Rollenbewusstsein und an dem rhetorischen Glamour fehlte, über den seine Konkurrenten Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker geboten.

Doch nachdem diese Vorbehalte 16 Jahre lang an dem unsinkbar wirkenden Kanzler abgeperlt waren, besannen sich intellektuelle Beobachter eines Besseren und begannen Kohls Durchhaltevermögen gegen medialen Spott zu theoretisieren.

Demokratie sei kein Schönheitswettbewerb, stellte Martin Walser fest; dass eine zunächst so uncharismatische Figur wie Helmut Kohl eine so überragende historische Rolle spielen konnte, sagten andere, zeuge für die Reife der Demokratie und die Stärke unseres Verfassungslebens.

Helmut Kohls Bedeutung schien sich in der Umkehrung eines Satzes von Jacob Burckhardt zu bewähren: Größe ist, was wir sind. Am Ende der Geschichte sollte es nicht mehr auf außeralltägliche Führungsqualitäten ankommen, sondern bestenfalls auf die Gewitztheit des Politikers, der ein untrügliches Sensorium für die Wünsche des Wahlvolks und für die taktischen Gelegenheiten des Weltlaufs hat.

Solange hinreichend Schläue da war, sollte Provinzialität, der Lieblingsvorwurf einer ästhetischen Postmoderne, keine Rolle mehr spielen. So verdampfte die klassische Figur des Staatsmannes und damit ein letztes Bestandsstück deutscher Ideologie. Der Weg von Bismarck über Hitler, Adenauer und Brandt zu Kohl bezeichnete eine Bahn bürgerlicher Normalisierung.

Die flamboyanteren Erscheinungen von Gerhard Schröder und Joschka Fischer bedeuteten kein Ausscheren, sondern eine generationenspezifische Anpassung: Die Neue Mitte und ihre anspruchsvollere Lebensart spiegelten nur eine allgemeine, längst auch in der Provinz angekommene Verfeinerung der Lebensformen, deren Sozialtypus bei gewachsenem Wohlstand der elegante Aufsteiger ist.

Die Verkörperung der Farblosigkeit regiert

Und regiert mit Angela Merkel nicht wieder die Verkörperung der Farblosigkeit, im Vergleich zu der beispielsweise Margaret Thatcher den Unterhaltungswert einer Panoptikumspuppe hatte? Verglichen mit Merkels übervorsichtiger Äußerungsweise, deren Lieblingswort vom "deutlich machen" das Gegenteil ihrer realen Wirkung bezeichnet, war selbst Kohls Rhetorik von kaustischem Witz.

Provinzialität ist auf der größer gewordenen Berliner Bühne nicht plötzlich zu einem entscheidenden Kriterium aufgestiegen. Lokalfarbe trugen viele deutsche Politiker, ohne dass es ihnen auf Dauer bei einem Volk geschadet hätte, in dessen historischem Gedächtnis sächsisch oder bairisch redende Monarchen unvergessen sind.

Kurt Beck hat in seiner kurzen Zeit als Parteichef viele professionelle Fehler gemacht, taktische und strategische. Auch fehlte ihm das eiserne Netzwerk einer Hausmacht, an der Helmut Kohl unablässig arbeitete und die ihn von öffentlichen Stimmungsschwankungen weitgehend unabhängig machte.

Entscheidend dürfte aber eine charakterliche Schwäche gewesen sein: Beck zeigte Wirkung bei all den Angriffen, die sich gegen ihn als Person richteten, er reagierte dünnhäutig. Und die Öffentlichkeit stürzte sich mit all der archaischen Grausamkeit, die ihr eigen ist, auf diese Verletzlichkeit, die sie durch mitleidiges Verständnis nur größer machen konnte.

Und damit trat ein ewiges Gesetz der Macht in Kraft: Nie darf der Führer Schwäche zeigen. Vielleicht kann er unter stabilen Verfassungsumständen ohne Charisma auskommen. Aber solange Politik Wettkampf ist, muss er die Kraft haben, so zu tun, als sei er der Stärkste.

© SZ vom 9. September 2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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