Gescheiterte Sondierungen:Die Liberalen sind nicht allein schuld am Jamaika-Aus

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Es ist zu einfach, der FDP und ihrem Chef Christian Lindner allein die Verantwortung für das Scheitern der Sondierungsgespräche zuzuschreiben. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Man kann sich zu recht über das Agieren der FDP ärgern. Doch über lange Zeit waren es vor allem CSU und Grüne, die das Verhandlungsklima vergiftet haben.

Kommentar von Mike Szymanski

Es ist zulässig, sich darüber zu empören, wie Christian Lindner das Jamaika-Projekt zu Fall gebracht hat. Irgendwann einfach aufzustehen, wenn die anderen Verhandler noch Chancen auf eine Verständigung sehen, wird der Bedeutung einer Regierungsbildung nicht gerecht. Es ging bei den Gesprächen eben nicht darum, einen Abschluss zu bekommen, wie sich das die politischen Geschäftemacher der FDP vorstellten. Nun ist der Schaden beträchtlich. Einerseits für das Land, weil es zwei Monate nach der Bundestagswahl immer noch ohne Regierung dasteht. Andererseits für die Außenwahrnehmung der FDP, die sich demnach verantwortungslos davongestohlen habe.

Es ist jedoch zu einfach, der FDP allein die Verantwortung für das Scheitern zuzuschreiben. Wie CDU, CSU und die Grünen nach bald fünf Wochen der Gespräche nun die Schuld bei der FDP abzuladen versuchen, das grenzt an Verlogenheit. Zu keinem Zeitpunkt war Jamaika an einem Punkt angelangt, an dem die Beteiligten behaupten konnten, in den Kernfragen wie Migration oder Klimaschutz den Zwist wirklich ausgeräumt zu haben.

Umfrage
:Wähler bedauern Scheitern der Sondierungen

Das zeigen erste Umfragen nach dem Ende der Jamaika-Gespräche. Für die Befragten ist zudem klar, wer schuld ist. Ein Überblick in Grafiken.

Von Katharina Brunner und Moritz Zajonz

Die CSU war mal reif für Jamaika, aber das ist eine Weile her

Über lange Zeit waren es vor allem CSU und Grüne, die das Verhandlungsklima vergiftet hatten. Auf Seiten der Christsozialen hat Alexander Dobrindt mit seinen Angriffen auf die Grünen Jamaika sabotiert, wo es nur ging. Der Grünen-Verhandler Michael Kellner versuchte, mit Machtkampfgerüchten die CSU mürbe zu machen. Das Erscheinungsbild, das die Sondierer abgaben, war desolat. Dazu hat sicher auch die FDP ihren Beitrag geleistet. Man kann sich aber über den Vorwurf nur wundern, die FDP enthalte Deutschland eine Koalition vor, die geeignet sei, die Gräben in der Gesellschaft zu überwinden. In den Verhandlungen waren sie zeitweise sogar größer geworden.

Tatsächlich waren Parteien zusammengekommen, denen das Wahlergebnis und die Verweigerung der SPD zunächst nichts anderes übrig gelassen hatten. Aus dieser Konstellation hätte vielleicht mehr erwachsen können. Erkennbar war eine solche Entwicklung bis zuletzt aber nicht. Miteinander zu regieren, allein nur weil man angeblich muss, bleibt aber ein kümmerlicher Antrieb. Für mehr bieten die Umstände 2017 wenig Hoffnung.

Die CSU war vielleicht einmal reif für Jamaika, aber das war in einer Zeit, als sie noch nicht um die Alleinregierung in Bayern fürchten musste. Merkels CDU trägt ihren Anteil am Scheitern, weil ihre Politik des Nichts-wollen-Wollens außer zu regieren zu wenig ist. Die FDP kehrte nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition in den Bundestag zurück und fürchtet nichts mehr, als Fehler zu machen. Wie ruppig die Jamaika-Partner jetzt schon miteinander umgingen, das erinnerte an Schwarz-Gelb, als sich die Partner gegenseitig "Wildsau" und "Gurkentruppe" nannten. Eine Koalition, an der die FDP am Ende kaputtging. Die Liberalen sind noch nicht gefestigt genug für ein Jamaika-Bündnis. Es steht Lindner daher zu, Schaden von seiner Partei abzuwenden.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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