Gescheiterte Sondierung:"Eine Bewährungsprobe, aber keine Staatskrise"

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Bundestagspräsident Schäuble appelliert an die Bürger, Politiker nicht als Umfaller zu verurteilen, wenn sie Kompromisse eingehen.

Von Robert Roßmann, Berlin

In der Nacht zum Montag sind die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition geplatzt, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist damit eine Regierungsbildung gescheitert. Doch der Bundestag versucht trotz der Malaise, seine Arbeit aufzunehmen. Am Dienstag kamen die Abgeordneten zu ihrer ersten Sitzung seit der Konstituierung des neuen Bundestags zusammen. Um funktionsfähig zu werden, richtete das Parlament eine Art Super-Ausschuss ein. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, damit würde sichergestellt, dass das Parlament "seinen Aufgaben angemessen und verantwortungsvoll" nachkommen könne.

In einer eindringlichen Rede ging Schäuble auch auf die neue politische Lage ein. Er sagte, es gebe zwar keine Staatskrise, Deutschland stehe aber vor einer "Bewährungsprobe". Er appellierte an die Kompromissbereitschaft aller Parteien, um doch noch eine Regierung zu ermöglichen.

Der "Hauptausschuss" soll bis zum Abschluss einer Regierungsbildung die eigentlich üblichen gut 20 Fachausschüsse ersetzen. Ohne diese Ausschüsse funktioniert das Parlament nicht richtig. In ihnen werden Gesetzentwürfe und Anträge von den Fachpolitikern beraten, bevor sie im Plenum beschlossen werden. Bei Koalitionsverhandlungen könnte der Zuschnitt der Ministerien geändert werden - dies hätte auch Änderungen beim Zuschnitt der Fachausschüsse zur Folge, da diese die Ressorts spiegeln. Außerdem ist vor einer Regierungsbildung unklar, wer Minister oder Staatssekretär wird, und damit nicht für die Wahl der Ausschussvorsitzenden zur Verfügung steht.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble redet Parteien und Wählern ins Gewissen. (Foto: Axel Schmidt/Reuters)

Deshalb werden die Fachausschüsse traditionell erst nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen eingerichtet. Damit der Bundestag jetzt trotzdem nicht stillsteht, setzten die Abgeordneten den Hauptausschuss ein. In ihm werden 47 Abgeordnete aus allen Fraktionen sitzen. Den Vorsitz übernimmt Schäuble.

Der Bundestagspräsident sagte in seiner Rede, das Parlament sei mit nun sieben Parteien "politisch bunter" und "lebhafter in der Debatte". In einem Bundestag, der "auf diese Weise durch die Verschiedenheiten in der Gesellschaft geprägt" sei, werde jedoch "die Mehrheitsbildung schwieriger". Demokratie verlange aber Mehrheiten - und "unser Wunsch nach stabiler Ordnung verlangt auch tragfähige Mehrheiten". Schäuble sprach sich damit indirekt, aber deutlich gegen eine Minderheitsregierung aus. Er ließ auch erkennen, dass er eine Neuwahl vermeiden möchte.

Schäuble redete Parteien und Wählern beinahe im Stile eines Politik-Seminars ins Gewissen. Es werde jetzt viel über den Wählerauftrag geredet, sagte der Bundestagspräsident. Ihm fühle sich natürlich jeder Gewählte verpflichtet, "was aber ist der Wählerauftrag?" So einfach und so eindeutig, wie es scheinen mag, sei das nicht. Jede Partei sehe sich in der Pflicht umzusetzen, wofür sie im Wahlkampf geworben habe. Aber zum Wählerauftrag gehöre "eben auch der Auftrag an uns alle, Mehrheiten zu bilden, eine handlungsfähige Regierung zu ermöglichen". Man könne "unterschiedlicher Meinung darüber sein, wie regiert werden soll - aber klar ist, dass regiert werden muss". Beides sei der Auftrag, den die Wähler erteilt haben. Und mit beidem müssten die politisch Verantwortlichen gewissenhaft umgehen. Dies könne "einschließen, dass Parteien nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss kommen, dass sie sich nicht in ein Bündnis mit anderen einlassen wollen". Das müsse aber schlüssig erklärt werden, damit nicht der Eindruck entstehe, man wolle sich der Verantwortung entziehen.

Bundestag setzt Super-Ausschuss ein, um trotz gescheiterter Sondierung arbeitsfähig zu sein

Diese Bemerkung Schäubles wurde auch als Kritik an FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner verstanden, der die Sondierungsgespräche überraschend abgebrochen hatte. Im Gegensatz zu den Fraktionschefs aller anderen Parteien war Lindner jedoch nicht im Bundestag, als Schäuble sprach. Er kam erst etwas später.

Der Bundestagspräsident appellierte auch an die Wähler. Jetzt sei deren "Fairness gegenüber jenen, die sich der Verantwortung stellen", gefragt, sagte Schäuble. Es brauche Verständnis "für die Komplexität der Aufgabe, die Vielzahl von Interessen, Meinungen, Befindlichkeiten mit den Begrenztheiten und der Endlichkeit der Realität zusammenzubringen". Nötig sei auch die Einsicht der Öffentlichkeit, "dass uns das zu Kompromissen zwingt". Es brauche also "Verständnis für die schwierige Gratwanderung, die es für alle bedeutet, die politische Verantwortung tragen, für mehrheitsfähige Kompromisse auch in Teilen vom eigenen Wahlprogramm abzurücken". Das sei weder ein Umfallen noch eine Profilschwäche. Nur so ließen sich "Mehrheiten und dazu notwendige Koalitionen" bilden. "Einigung durch gegenseitiges Nachgeben erfordert Mut", aber nur so bleibe die Entscheidungsfähigkeit gewahrt, die zu Recht von der Politik erwartet werde.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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