Gernot Erler im Gespräch:"Niebel gefährdet den Erfolg in Afghanistan"

Gernot Erler, Ex-Staatsminister im Auswärtigen Amt und SPD-Vizefraktionschef, über die Risiken deutscher Afghanistan-Politik und die Vorhaben von Entwicklungsminister Niebel.

Peter Lindner

Der SPD-Politiker Gernot Erler gehörte von November 2005 bis Oktober 2009 als Staatsminister im Auswärtigen Amt der Bundesregierung an. Derzeit ist der 65-Jährige Stellvertretender Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Bundestag und für die Bereiche Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik zuständig.

sueddeutsche.de: Herr Erler, Karl-Theodor zu Guttenberg ist der Auffassung, dass man im Hinblick auf die Lage in Afghanistan "umgangssprachlich von Krieg reden" kann. Sehen Sie das genauso?

Gernot Erler: Der Verteidigungsminister hat das Wort "umgangssprachlich" betont. Denn er weiß genau, dass es juristisch problematisch ist, von Krieg zu sprechen. Dafür gibt es weder eine völkerrechtliche Legitimation noch ein Mandat des Deutschen Bundestages. Insofern kommt zu Guttenberg mit dieser Wortwahl in erster Linie den Soldaten entgegen, die viele Situationen dort als Kriegshandlung erfahren. Ihnen fällt es schwer, Diskussionen um andere Bezeichnungen nachvollziehen zu können.

sueddeutsche.de: Sie haben bisher - als Staatsminister und auch danach - darauf verzichtet, das K-Wort in den Mund zu nehmen. Könnten Sie sich zumindest mit dem Ausdruck "kriegsähnliche Zustände" anfreunden?

Erler: Im herkömmlichen Sprachgebrauch mag diese Bezeichnung üblich sein. Doch muss man auch hier aufpassen, wenn man auf den Auftrag am Hindukusch zu sprechen kommt: Nach der neuen Afghanistan-Strategie besteht dieser ja gerade nicht darin, einen militärischen Sieg über die Aufständischen und die Taliban zu erringen, sondern: Die afghanische Regierung zu befähigen, sich selbst zu verteidigen. Das ist ein großer Unterschied.

sueddeutsche.de: Kritiker werfen Ihnen im Zusammenhang mit der Wortwahl vor, die Lage in Afghanistan in den vergangenen Jahren beschönigt zu haben.

Erler: Ich glaube, es war allen Verantwortlichen klar, dass es sich um einen gefährlichen Einsatz handelt. Aber natürlich muss man aufpassen, dass wegen der erwähnten rechtlichen Aspekte und der daraus resultierenden Wortwahl nicht der Eindruck entsteht, dass man die Situation vor Ort verharmlost.

sueddeutsche.de: Ihr Parteikollege, Altkanzler Helmut Schmidt, scheut sich nicht, von "Krieg" zu reden. Kürzlich sprach er davon, dass wir uns langsam an den Gedanken gewöhnen müssten, diesen "Krieg" abzubrechen. Teilen Sie diese Auffassung?

Erler: Ich habe große Mühe, mich diesem Gedanken zu nähern. Denn er hätte unabsehbare Folgen.

sueddeutsche.de: Welche genau?

Erler: Zum Beispiel, dass Afghanistan in einem enorm blutigen Bürgerkrieg versinken würde. Dass all diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren auf den Weg in eine neue Gesellschaft gemacht haben, sich im Stich gelassen fühlen und in ihrem Leben bedroht sind - von den Aufständischen. Diese könnten von den regulären Kräften der afghanischen Regierung noch nicht aufgehalten werden.

Am Ende stünde wahrscheinlich nicht nur eine Kontrolle der Taliban über Afghanistan, sondern ein Angriff auf Pakistan - mit der Option, dass ein Atomstaat unter die Kontrolle von Dschihadisten fällt. Ein Abbruch der Mission wäre deshalb ein Desaster. Stattdessen müssen wir uns intensiv auf die Umsetzung der neuen Afghanistan-Strategie konzentrieren.

sueddeutsche.de: Diese sieht unter anderem vor, den zivilen Aufbau zu forcieren. Hilft da eine "Verzahnung von Bundeswehr und Entwicklungshilfe" weiter, wie sie Entwicklungsminister Dirk Niebel fordert?

Erler: Nein. Er hätte sich lieber vorher bei den wichtigsten deutschen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Afghanistan informieren sollen. Die SPD-Fraktion hat das vor kurzem gemacht. Hier ist deutlich geworden, dass die NGOs sehr genau wissen, dass sie auf ein sicheres Umfeld und die Schutzfunktion der Bundeswehr angewiesen sind - einerseits.

Auf der anderen Seite ist es für Ihre Tätigkeit dringend notwendig, ein eigenes Vertrauensverhältnis zur afghanischen Bevölkerung und den afghanischen Institutionen aufzubauen. Zwingende Voraussetzung ist, dass militärischer und ziviler Auftrag klar unterscheidbar sind. Kurzum: Eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ist bereits der Fall und notwendig - im Gegensatz zu einer Verzahnung oder gar Verschmelzung.

Lesen Sie auf Seite 2, was Gernot Erler von der gemeinsamen Afrika-Reise von Niebel und Außenminister Westerwelle hält - und warum er mit der Außen- und Entwicklungspolitik der FDP-Männer hart ins Gericht geht.

"Absolute Nullnummer"

sueddeutsche.de: Wie passt Niebels Vorschlag zur neuen Afghanistan-Strategie?

Erler: Überhaupt nicht. Sehen Sie: Wir erhöhen jetzt die jährlichen Leistungen im zivilen Aufbau von 220 auf 430 Millionen Euro. Damit dieser Beitrag auch seine Wirkung entfalten kann, ist ein enormes Engagement der NGOs vonnöten. Anders lassen sich diese zusätzlichen Mittel gar nicht zum Fließen bringen.

Dass Niebel nun - ohne mit den Organisationen zu reden - unerfüllbare und für die NGOs sogar gefährliche Forderungen stellt, hilft nicht weiter, im Gegenteil: Niebel gefährdet die Umsetzung der neuen Strategie und damit den Erfolg in Afghanistan.

sueddeutsche.de: Niebel bereist in dieser Woche mit Außenminister Guido Westerwelle afrikanische Länder. Er will, dass sich deutsche Entwicklungshelfer künftig "sehr konzentriert dort engagieren, wo wir auch militärisch Verantwortung tragen". Was könnte das für die deutsche Afrikapolitik bedeuten?

Erler: Im Januar besuchte Niebel Ruanda, den Kongo und Mosambik. Jetzt geht er nach Tansania, Südafrika und Dschibuti. Da kann ich nicht erkennen, dass wir überall militärische Aufgaben haben. Insofern ist das schon wieder ein Widerspruch.

sueddeutsche.de: Die beiden FDP-Minister wollen mit ihrer gemeinsamen Reise signalisieren, dass sie für eine Außen- und Entwicklungspolitik "aus einem Guss" stehen. Wäre eine enge Kooperation der beiden Häuser ein Gewinn?

Erler: Das Problem ist, dass Konzepte für eine sinnvolle Zusammenarbeit bisher fehlen. Die gemeinsame Reise hat für mich einen anderen Hintergrund: Eigentlich wollte ja die FDP das Ministerium für wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung abschaffen und die Arbeit in das Auswärtige Amt integrieren. Jetzt müssen die Liberalen der Öffentlichkeit erklären, warum das plötzlich nicht mehr gilt. Die Doppelreise soll deshalb das Signal geben: Statt Auflösung versuchen wir eine starke Kooperation. Das hat legitimatorischen Charakter.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass sich die Grundorientierung deutscher Außen- und Entwicklungspolitik unter der Ägide zweier FDP-Minister verändert?

Erler: Ich würde gerne überhaupt irgendetwas sehen. Ich möchte noch mal betonen: Von beiden liegt auch diesbezüglich konzeptionell nichts vor - weder im Bereich der globalen Verantwortung der Bundesrepublik noch im Hinblick auf ein zusammenhängendes Konzept für Deutschlands Rolle in der Welt.

Hinzu kommt, dass bei vielen internationalen Fragen die Bundeskanzlerin die Regie an sich gezogen hat - zum Beispiel in der Griechenland-Krise oder in der Frage eines möglichen EU-Beitritts der Türkei. Die deutsche Außenpolitik hat einen guten Namen und ein hohes Prestige bisher gehabt. Das hat mit Personen, aber vor allem auch mit Programmen und Aktivitäten zu tun. Bei Westerwelle und Niebel vermisse ich dies. Was auf diesem Feld seit Antritt der neuen Regierung geleistet wurde, ist eine absolute Nullnummer.

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