Geringschätzung sozialer Berufe:Kinderbetreuung ist mehr als ein Job

Ein bisschen wickeln und Bollerwagen ziehen kann doch jeder: Die Politik hat keine hohe Meinung von sozialer Arbeit - anders kann man Ursula von der Leyens Vorschlag, Hartz-IV-Empfänger zu Erziehern umzuschulen, nicht deuten. Doch wie soll die Zukunft Deutschlands aussehen, wenn der Erzieherberuf ähnlich eingeschätzt wird wie der Job eines Pizzaboten?

Charlotte Frank

Es ist erst eine Woche her, da verblüffte ein Mann namens Bernd Horn aus Herten bei Recklinghausen die Deutschen mit einem ungewöhnlichen Entschluss: Der Frührentner erklärte seine Kandidatur für den Vorsitz der Linkspartei. Das erheiterte viele, in Blogs war von "Politclownerie" die Rede, selbst wohlmeinendere Medien kommentierten die Kandidatur mit lustvoller Süffisanz. Denn Horn ist einfaches Parteimitglied, er hat keine Erfahrung im politischen Geschäft - und wurde dann auch nicht gewählt.

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Das bisschen Kinderbetreuung: Die Arbeit von Erziehern wird in Deutschland nicht genügend gewürdigt.

(Foto: dapd)

Kein Wunder: Es wäre Irrsinn, ein wichtiges Amt jemandem anzuvertrauen, der zwar eine Neigung, aber keine Ahnung von der Sache hat. Diese Erkenntnis ist vernünftig, sie ist sachgerecht und sie ist gesellschaftlicher Konsens.

Leider ist dieses gesellschaftliche Gefühl für Vernunft und Sachgerechtigkeit aber begrenzt: Als vergangene Woche die Kommunen anregten, angesichts des drastischen Mangels an Erziehern die offenen Stellen mit Hartz-IV-Beziehern zu besetzen, war nirgends von Clownerie die Rede.

Auch als nun Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärte, sie suche nach Wegen, 5000 Hartz-IV-Empfänger zu Erziehern weiterzubilden, blieb der Spott aus. Es scheint keinen mehr zu wundern, dass der Beruf des Erziehers ähnlich eingeschätzt wird wie der eines Pizzaboten: als so unwichtig, dass eine gute Ausbildung und eine sensible Kandidatenauswahl zweitrangig sind.

Mögen sich von der Leyen und die Kommunen durchsetzen oder nicht - furchtbar ist schon das Signal, das sie aussenden: Ein bisschen wickeln und Bollerwagen ziehen könne jeder und mehr leiste ein Erzieher ja ohnehin nicht. In dieser Haltung spiegelt sich eine Geringschätzung wider, die in Deutschland nicht nur den Erziehern entgegenschlägt - sondern all jenen, die sich in sozialen Berufen engagieren.

Auch Krankenpfleger und Behindertenbetreuer kennen das: Die mäßige Wertschätzung für ihre Arbeit steht in keinem Verhältnis zur Verantwortung, die sie tragen. Und Altenpfleger wehren sich seit Jahren gegen Pläne, Niedrigqualifizierte und Arbeitslose in Altenheimen einzusetzen. Dennoch tönen solche Forderungen regelmäßig aus Politik und Wirtschaft - ungeachtet der Botschaft, die damit einhergeht.

Die Resterampe der Berufswelt

Wer nichts wird, wird Wirt", hieß es früher. "Wer nichts wird, wird Altenpfleger oder Erzieher", lautet der Gedanke heute. So verkommen die Sozialberufe zur Resterrampe der Berufswelt, zum Sammelbecken für all jene, die sonst nichts finden. Das ist eine denkbar schlechte Werbung für diese Branchen und das ist verheerend für das Gemeinwesen.

Die Gesellschaft wird in Zukunft viel mehr Menschen brauchen, die in sozialen Berufen arbeiten. Schon heute fehlen, schätzt das Bundesfamilienministerium vorsichtig, 14.000 Erzieher und 16.000 Tagesmütter. In der Altenpflege fehlen 52.000 qualifizierte Kräfte; angesichts der Alterung der Bevölkerung ist bis 2025 mit einem Engpass von 260.000 Pflegern zu rechnen. Nur noch 56 Prozent derer, die in der Alten- und Krankenpflege arbeiten, haben auch eine entsprechende Ausbildung. Die Mängelliste ließe sich lange fortsetzen.

Doch so wenig es an unverantwortlichen Notlösungen mangelt, diese Probleme zu beheben, so sehr mangelt es an Mut, die Herausforderungen grundsätzlich anzugehen. Das würde zunächst bedeuten, die Gehälter anzuheben - Erzieher, Alten- und Krankenpfleger kommen derzeit nur auf Einstiegsgehälter von etwas über 2000 Euro brutto. Es würde bedeuten, bessere Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer zu schaffen; es sind in aller Regel Frauen, die ihren physisch wie psychisch belastenden Beruf mit einer Familie vereinbaren müssen. Es würde bedeuten, Ältere möglichst lange im Job zu halten.

Aufstiegsmöglichkeiten schaffen

Vor allem würde es aber bedeuten, Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen, um die sozialen Berufe auch für die Besten eines Jahrgangs attraktiv zu machen; um zu zeigen, dass soziale Arbeit nicht bloß Gedöns ist, das jeder kann, der ein paar Bauklötze zu stapeln in der Lage ist. Doch als etwa die EU-Kommission 2011 Deutschland nahelegte, endlich das Abitur zur Voraussetzung für die Pflegeausbildung zu machen - wie in 25 der 27 EU-Länder der Fall -, sperrten sich alle Parteien: Soziale Kompetenz sei in diesen Berufen wichtiger als Rechtschreibung, hieß es da, und dass der Fachkräftemangel durch höhere Anforderungen verschärft würde.

Es lässt sich genauso die gegenteilige These vertreten: Die niedrigen Anforderungen befördern den Fachkräftemangel, das schlechte Image schreckt Menschen ab. Das bedeutet keineswegs, dass diejenigen, die heute schon soziale Arbeit verrichten, dies nicht hervorragend täten.

Es bedeutet nur, dass es viel mehr Menschen tun könnten, wenn anerkannt würde, was sie für die Gesellschaft leisten: Sie fördern Hilfsbedürftige in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung, schützen sie vor Gefahren, bewahren ihr Wohl, stehen ihren Familien zur Seite. Sie erfüllen mehr als einen Job; sie erfüllen eine gesellschaftliche Funktion. Die lässt sich nicht im Schnellverfahren erlernen, und auch nicht, weil gerade kein anderer Posten in Sicht ist. Die erfordert Talent, Klugheit, Empathie, eine gute Lehre - und eine große Wertschätzung.

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