Gerichtsurteil:Shell muss Kohlendioxid-Ausstoß drastisch verringern

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Ein Gericht in Den Haag fällt ein wegweisendes Urteil gegen den Ölkonzern. Im Dienste des Klimaschutzes muss das Unternehmen seine Geschäftspolitik ändern.

Von Thomas Kirchner

Das britisch-niederländische Unternehmen Shell, Europas größter Ölkonzern, muss seinen CO₂-Ausstoß in den kommenden neun Jahren nahezu halbieren. Das entschied ein Gericht in Den Haag am Mittwoch und gab damit der Klage der Umweltschutzorganisation Milieudefensie, anderer Gruppen und mehr als 17 000 Bürgern nach. Sie hatten von Shell eine Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 verlangt, weil das Unternehmen gegen die globalen Klimaziele verstoße.

De facto könnte das Urteil auf eine Halbierung des gesamten Geschäfts von Shell hinauslaufen. 2019 machte der Konzern, der seinen Hauptsitz in Den Haag hat, einen Umsatz von 352 Milliarden Dollar, weit überwiegend mit fossilen Brennstoffen.

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Der Konzern nannte das Urteil "enttäuschend" und will in Berufung gehen

Zum ersten Mal überhaupt zwingt ein Gericht einen großen Konzern damit zu einer weitreichenden Änderung seiner Geschäftspolitik im Dienste des Klimaschutzes. Das könnte in anderen Ländern nachgeahmt werden und große Folgen für die Energiebranche insgesamt haben. Weltweit sind mehr als 1700 Klimaklagen anhängig; meist geht es dabei aber um den Ausgleich von schon entstandenen Schäden.

"Wir erleben hier gerade alle zusammen einen historischen Wendepunkt", sagte Daniel Pols, Direktor von Milieudefensie. "Dieses Urteil gibt Hoffnung. Es zeigt, dass sich etwas verändern kann. Es ist ein enormer Sprung nach vorn, hin zu einer gesunden Erde." Shell nannte das Urteil "enttäuschend" und kündigte an, in Berufung zu gehen. Dem Urteil müsse der Konzern in der Zwischenzeit allerdings schon nachkommen, erklärte das Gericht.

Shell verursacht nach Schätzungen der Kläger rund neun Mal mehr CO₂ als die Niederlande. Der Konzern habe nichts gegen die dadurch verursachte Erderwärmung unternommen, obwohl er seit Jahrzehnten von den schädlichen Konsequenzen des Öl- und Gasverbrauchs gewusst habe.

Roger Cox, einer der Anwälte von Milieudefensie, hatte in der Klage auf interne Shell-Dokumente verwiesen, die schon in den 1980er-Jahren die verheerenden Folgen einer zu erwartenden Erderwärmung um 3,5 Grad bis 2050 aufzeigten. Cox war auch Anwalt der Stiftung Urgenda, die 2015 den niederländischen Staat durch eine Klage zu einer Nachbesserung seiner Klimapolitik gezwungen hatte.

Als Basis der Klage gegen Shell hatte Cox die Vorhersagen des Weltklimarats genommen, die in das Pariser Abkommen von 2015 mündeten. Das Gericht übernahm diese Prognosen vollständig und leitete daraus Verpflichtungen ab, die auch für den Öl- und Gaskonzern gälten. Shell hatte angeführt, dass es sich selbst zum Klimaschutz verpflichtet und beschlossen habe, den CO₂-Ausstoß bis 2030 um 20 Prozent, bis 2035 um 45 und bis 2050 um 100 Prozent zu senken. Das sei nicht konkret genug und voller Vorbehalte, erklärte das Gericht.

Shell engagiert sich zwar auch im Bereich Erneuerbare Energien und weist darauf in seiner Außendarstellung offensiv hin. 2019 aber flossen noch immer 95 Prozent seiner Investitionen in Öl und Gas, ein Anteil, der auch bis 2030 nach bisherigen Plänen nicht wesentlich sinken soll. Um dem Urteil nachzukommen, müsste sich der Konzern vermutlich von einem größeren Teil seines Geschäfts trennen, entweder durch Verkauf oder Stilllegung.

Shell hatte argumentiert, dass dieser Anteil sofort von der Konkurrenz übernommen würde und dem Klima dadurch nicht gedient sei. Das Gericht verwarf dies. "Auch andere Unternehmen müssen ihren CO₂-Ausstoß senken", sagte die Richterin. Man wisse, dass der Konzern zu sehr großen Schritten gezwungen werde, doch werde dies gerechtfertigt durch die Gefahren der Klimaerwärmung.

Auch Unternehmen sind an die Einhaltung von Menschenrechten gebunden

Eine weitreichende Feststellung des Gerichts ist die Aussage, dass auch Unternehmen an die Einhaltung von Menschenrechten gebunden sind. Konkret wurden das Recht auf Leben und auf Familie genannt, wie sie in Art. 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert werden. Konzerne hätten hier eine eigene Verantwortung, sagte die Vorsitzende Richterin. Wie groß diese sei, hänge ab von Art und Dauer des Schadens, den sie anrichten, sowie von ihren Möglichkeiten, daran etwas zu ändern. Diese Verantwortung beziehe sich auf die komplette Wertschöpfungskette des Unternehmens und somit nicht nur auf die eigene Produktion, sondern auch auf Zulieferer und Kunden. Auch sie sind somit von der CO₂-Reduktionspflicht betroffen.

Konzerne und Menschenrechte - ein solcher Zusammenhang ist in der Rechtsprechung bisher noch nie hergestellt worden. Er könnte, wenn höchstinstanzlich bestätigt, weitreichende Folgen für große Konzerne haben, vermutlich über die Energie- und Rohstoffbranche hinaus. In seinem spektakulären Klima-Urteil Ende April hatte auch das Bundesverfassungsgericht einen Bezug zwischen der Gefahr der Klimaerwärmung und Grundrechten gesehen.

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