Gerichtsurteil:Im Zweifel für die Demonstranten

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Die Rechte darf auf ihren Montagsdemos in der Dortmunder Nordstadt – hier im Mai – weiter ihren umstrittenen Slogan skandieren. (Foto: Johannes Neudecker/dpa)

Das OVG Münster sieht in der Parole "Nie, nie, nie wieder Israel" keine Volksverhetzung.

Von Ronen Steinke, Berlin

Die von Neonazis skandierte Parole "Nie, nie, nie wieder Israel" darf weiter skandiert werden, so hat das Oberverwaltungsgericht Münster am Montagabend entschieden. Diese Parole stelle keine strafbare Volksverhetzung gegen Juden dar. Sondern sie sei vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit zulässig als möglicherweise "überspitzte und polemische Kritik" an der Politik des Staates Israel. Damit ist die Dortmunder Polizei mit ihrem Versuch gescheitert, den Anhängern der Partei Die Rechte diese Parole bei ihren montäglichen Demonstrationen zu verbieten. Sie dürfen weiter mit diesem Ruf durch die Straßen ziehen (Az: 15 B 1406/19).

Die drei Richter räumen zwar ein, dass es bei den Demonstrationen der Dortmunder Neonazis eigentlich nicht um den Staat Israel und dessen Politik gehe. Die Versammlung der Partei Die Rechte habe "keinen unmittelbaren thematischen Bezug zu Israel oder dem Nahostkonflikt", heißt es in ihrem Beschluss. Das Motto des Neonazi-Aufzugs lautete: "Sicherheit für die Nordstadt". Auch sei es gut möglich, räumen die Richter ein, das Wort Israel als eine "Chiffre" für Juden zu verstehen. Darauf hatte die Dortmunder Polizei hingewiesen. Die Polizei hatte die Parole deshalb als antisemitisch verbieten wollen.

Schon im NS-Staat, so das Argument der Polizei, waren ähnliche Chiffren üblich. Der Name Israel wurde im NS-Staat allen jüdischen Männern zwangsweise als zweiter Vorname gegeben. "Juda verrecke" lautete eine Parole, mit der die Nazis auch auf das einstige Reich Juda im 6. Jahrhundert vor Christus anspielten. Die Partei Die Rechte propagiere nicht nur "wiederkehrend Antisemitismus", heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen, sondern sie verherrliche auch die NS-Zeit und unterstütze Holocaust-Leugner.

Die Richter wenden dann aber ein: Vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit müsse man heute stets fragen, ob eine Äußerung nicht auch in harmloserer Weise interpretiert werden könne - gewissermaßen im Zweifel für die Demonstranten. Dies verlange die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Und insofern sei eine andere Interpretation der Parole "Nie, nie, nie wieder Israel" zumindest auch denkbar: eine "Kritik an der Politik des Staates Israel".

Die Richter verweisen auch darauf, dass die Dortmunder Neonazis schon im vergangenen Jahr vor demselben Gericht erfolgreich ihre Parole "Nie wieder Israel" verteidigt hatten. Die jetzige, kleine Abwandlung "Nie, nie, nie wieder Israel" könnte eine Anspielung auf diese Vorgeschichte sein - gewissermaßen ein Protest der Neonazis dagegen, dass die Polizei ihr gerichtlich anerkanntes Recht nicht zu respektieren bereit sei. Der Untertitel ihres Demonstrationsmottos lautete: "Gegen die Beschneidung des Versammlungsrecht im Dortmunder Norden, gegen schikanöse Auflagen, gegen den alltäglichen Wahnsinn!" Zumindest sei diese "Auslegungsvariante", schreiben die Richter nun, "nicht hinreichend sicher" ausgeschlossen.

Volksverhetzung setzt nach dem Strafgesetzbuch voraus, dass zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung aufgestachelt wird. Dies kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann der Fall sein, wenn Täter eine Gruppe "ohne Existenzrecht in der Gemeinschaft abqualifizieren".

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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