Gerichtsurteil:Hohe Haftstrafe in Chemnitz-Prozess

Wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung muss der Syrer Alaa S. neuneinhalb Jahre ins Gefängnis. Der Messerangriff löste fremdenfeindliche Übergriffe aus.

Von Antonie Rietzschel, Dresden

Knapp ein Jahr nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen in Chemnitz ist ein 24 Jahre alter Angeklagter zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Das Landgericht Chemnitz sprach den Syrer Alaa S. wegen gemeinschaftlichen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung schuldig. Daniel H. war in der Nacht zum 26. August 2018 erstochen worden, mitten in der Chemnitzer Innenstadt. Nach dem Tod von Daniel H. war es in Chemnitz zu rechtsextremen Ausschreitungen gekommen. Die Ereignisse bestimmten tagelang die Politik in Deutschland und wurden auch international beachtet. Aus Sicherheitsgründen hatte das Landgericht den Prozess nach Dresden verlegt.

Die Vorsitzende Richterin Simone Herberger sah es als erwiesen an, dass Alaa S. das Opfer am Rande eines Stadtfests angriff, gemeinsam mit Farhad A., der flüchtig ist. Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass es S. war, der auf den Bauch von Daniel H. einstach. Ein Freund von Daniel H. wurde am Rücken getroffen. Er trat im Prozess als Nebenkläger auf.

Angesichts der politischen Brisanz des Verfahrens appellierten die Verteidiger von Alaa S. an Richter und Schöffen, sich nicht von äußeren Einflüssen leiten zu lassen. "Wir verlangen, dass Sie vergessen, was der marodierende Mob von Ihnen erwartet", sagte Anwältin Ricarda Lang mit Blick auf eine für das kommende Wochenende geplante Kundgebung der rechtsextremen Partei Pro Chemnitz. Sie forderte einen Freispruch für ihren Mandanten.

Der Staatsanwaltschaft warf die Verteidigung vor, lediglich einen Schuldigen zu suchen, "damit Chemnitz zur Ruhe kommt". Alaa S. brach vor der Urteilsverkündung sein Schweigen. Allerdings zeigte er keine Reue, wie es sich die Nebenklage erhofft hatte. Stattdessen beteuerte er seine Unschuld. "Ich hoffe nicht, das zweite Opfer des eigentlichen Täters zu werden, indem ich für ihn bestraft werde." Gemeint ist der flüchtige Farhad A. Er, der Angeklagte, wünsche sich, "dass die Wahrheit ans Licht kommt".

Die Suche danach gestaltete sich schwierig. Es fehlen objektive Beweise, die belegen könnten, dass Alaa S. schuldig ist. Weder am Messer noch an der Kleidung von Daniel H. fanden sich DNA-Spuren von Alaa S. Das Gericht stützt sich in seiner Begründung vor allem auf die Aussagen des Hauptbelastungszeugen Younis al-N. Er war zur Tatzeit Koch im Döner-Imbiss "Alanya" und will die Tat aus dem Fenster beobachtet haben. Er hatte zunächst ausgesagt, Alaa S. habe auf Daniel H. eingestochen. Später sprach er von Schlägen.

Richterin Herberger unterstrich in der Urteilsbegründung die Glaubwürdigkeit von Younis al-N. Dessen Aussagen ergäben zusammen mit den Berichten weiterer Zeugen ein eindeutiges Bild. Die Widersprüche erklärte die Richterin mit Drohungen gegen al-N. aus dem Umfeld von Alaa S. Das Gericht widersprach Darstellungen der Verteidigung, wonach die Verurteilung durch Druck zustande gekommen sei. "Wir sind unbeeindruckt von politischen und medialen Einflüssen", sagte Herberger. Die Verteidigung hat Revision gegen das Urteil eingelegt.

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