Süddeutsche Zeitung

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:Reise durch Amerikas Folterkammern

Schlafentzug, Schläge, simuliertes Ertrinken: Abu Subeida wurde von der CIA in "Black Sites" genannten Geheimgefängnissen gefoltert. Jetzt klagt der frühere Guantanamo-Häftling vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Litauen - eines der Länder, in dem er gequält wurde.

John Goetz und Nicolas Richter

Abu Subeida wusste jahrelang nicht, wo er war. Es war die Hölle, aber die Hölle war an vielen verschiedenen Orten. Wenn die CIA den Terrorverdächtigen aus Saudi-Arabien auf Reisen schickte, wurde er in Ketten gelegt, Augen und Ohren wurden verdeckt, zuweilen bekam er Betäubungsmittel.

Nach der Ankunft in einem neuen Folterknast, auch Black Site genannt, begannen die Qualen. Simuliertes Ertrinken, Licht bei Tag und bei Nacht, ohrenbetäubende Musik, Schlafentzug, Schläge. Soweit es sich nachvollziehen lässt, soll Abu Subeida nach seiner Gefangennahme 2002 in Pakistan etliche der weltweit verteilten geheimen Folterkammern kennengelernt haben - in Thailand, Polen, Guantanamo, Marokko, Litauen. Eine Rundreise wider Willen, die womöglich das Ziel hatte, seinen Aufenthaltsort zu verschleiern und das, was jahrelang mit ihm geschah.

An diesem Donnerstag erhebt Abu Subeida, derzeit wieder in Guantanamo, Klage gegen Litauen, eines der Länder, in dem er mutmaßlich gequält wurde. Die 90-seitige Klageschrift, die der Süddeutschen Zeitung und dem NDR vorliegt, richtet sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg; Abu Subeida beantragt, das Gericht solle die Missachtung seiner Rechte feststellen, vor allem aber Litauen dazu zwingen, den Fall zu untersuchen und ihm Zugang zu Unterlagen und Zeugen zu gewähren.

"Das Ziel der Klage", sagt Helen Duffy von der Menschenrechtsorganisation Interights, "ist es, seine Rechte geltend zu machen - als Mensch, als Opfer von Entführung, Folter und geheimer Gefangenschaft hier auf europäischem Boden."

Das Verfahren Abu Subeidas ist ein besonders prominenter Fall unter vielen, in denen zurzeit die dunkle, jüngere Vergangenheit der CIA und ihrer Komplizen aufgearbeitet wird. So streiten vor amerikanischen Zivilgerichten diverse Fluggesellschaften, die für den US-Geheimdienst den Gefangenentransport abwickelten: "Richmor Aviation" verlangt mehr Geld für ihre Leistungen im Dienste der Terrorbekämpfung, "Vision Airlines" wird von seinen Ex-Piloten darauf verklagt, Risikozuschläge nachzuzahlen für gefährliche Reisen zu den Krisenherden der Welt.

Diese Verfahren ermöglichen neue Einblicke in das aufwendige Programm geheimer Flüge, Gefängnisse und Folterstätten, das nach dem Terror vom 11. September 2001 von der damaligen US-Regierung George W. Bushs auf- und ausgebaut wurde.

Für Menschenrechtsanwälte haben die finanziellen Streitigkeiten der Fluggesellschaften einen großen Vorteil: Die Beteiligten vor den US-Zivilgerichten untermauern ihre Ansprüche mit detaillierten Unterlagen, darunter Verträge, Flug- und Dienstpläne, Abrechnungen internationaler Flughäfen. Aus den Papieren ist unter anderem ersichtlich, wie oft die Maschinen im Dienste der CIA wo landeten oder zwischenlandeten.

Oft kommen dabei Flughäfen in Ländern Osteuropas vor, aber auch Deutschland, dann meistens Frankfurt, zuweilen Ramstein. Anwälte von Terrorverdächtigen haben sich dieses Material inzwischen besorgt, das ihnen Regierungen und Behörden bislang hartnäckig verweigert hatten, und begründen damit eigene Klagen gegen beteiligte Staaten.

Während die Verteidiger von Al-Qaida-Anhängern und Menschenrechtsorganisationen zunächst versucht hatten, die Verantwortlichen der Regierung Bush wegen Folter und Misshandlung vor Strafgerichte zu stellen, rückt nun das Zivilrecht in den Mittelpunkt: Es geht nunmehr um Geld, oder, wie im Fall Abu Subeida, wenigstens um Aufklärung und Würde.

Der Kläger Abu Subeida wurde im März 2002 gefangen genommen, er war einer der ersten vermeintlich höherrangigen Al-Qaida-Mitglieder, die der CIA ins Netz gingen. Dadurch wurde er zu einer Art Versuchskaninchen, wie seine Anwälte schreiben, an dem die CIA diverse Misshandlungsmethoden ausprobierte und - aus ihrer Sicht - optimierte. Offenbar wurde bei ihm genau Buch geführt, wie sich welche Misshandlung auswirkte, die Agenten mussten das Foltern schließlich neu lernen.

Was Abu Subeida widerfahren ist, gilt nach Ansicht von Juristen als ein Tiefpunkt des Kriegs gegen den Terror. Im Jahr 2005 enthüllte die Washington Post, dass die CIA einzelne Terrorverdächtige in Osteuropa verhörte, etwa in Polen und Rumänien. Dass auch der EU-Staat Litauen den Amerikanern geholfen hatte, erfuhr die Öffentlichkeit erst im Jahr 2009 von dem amerikanischen Sender ABC.

Litauen hat sich einer parlamentarischen Untersuchung zufolge relativ schnell nach dem 11. September in Bushs Anti-Terror-Programm eingebracht. Schon 2002 wurde in einem Wohngebiet der Hauptstadt Vilnius ein Gebäude hergerichtet, genannt "Projekt Nummer 1", das als Gefängnis nutzbar war. Zwei Jahre später folgte "Projekt Nummer 2", es lag im Dorf Antaviliai in den Räumen einer ehemaligen Reitschule. Die Immobilie wurde 2004 offenbar an eine amerikanische Briefkastenfirma verkauft.

Subeida, der neben Interights auch von der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve vertreten wird, soll nach deren Angaben 2005 von Marokko nach Litauen verlegt worden sein. Die Klageschrift beruft sich dabei auf "vertrauliche Quellen". Gestützt wird diese Behauptung durch die Flugdaten mehrerer US-Maschinen, die für die CIA unterwegs gewesen sind.

Anders als im Fall der Geheimgefängnisse in Polen und Rumänien, die vom Europarat oder dem EU-Parlament zumindest ansatzweise untersucht wurden, ist über das CIA-Programm in Litauen wenig bekannt. Auffällig ist, dass das Land noch mit der CIA kooperierte, als die Exzesse in deren Geheimprogramm längst bekannt waren. In diesem Lichte, sagt Anwältin Duffy, sei Litauens Versagen beim Schutz der Menschenrechte besonders gravierend. Abu Subeida kann nicht mit Sicherheit rekonstruieren, was ihm dort widerfahren ist.

Das letzte Wort in der Sache haben die Behörden Litauens allerdings schon am 14. Januar dieses Jahres gesprochen, als die Generalstaatsanwaltschaft die Kriminalakte schloss. Auch ein neuer Vorstoß von Reprieve, die Ermittlungen wieder aufzunehmen, blieb jüngst ohne Erfolg. Weil aus Litauen keine weitere Aufklärung zu erwarten ist, wenden sich die Vertreter Abu Subeidas nun an den Gerichtshof in Straßburg. Diese Instanz hat oft bewiesen, dass sie in Folterfällen dieser Art auch mit großen Staaten keine Nachsicht übt.

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SZ vom 27.10.2011/sebi
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